Orientalischer Tanz:Die Wüstentochter von Bogenhausen

Marianne Schwinghammer hat auf den Tischen türkischer Hochzeitsfeiern getanzt, lange bevor das Wort "Parallelgesellschaft" erfunden wurde. In trister Umgebung bringt sie nun anderen Frauen bei, ihr Becken zittern zu lassen.

Lena Jakat

Die Kamele stapfen durch den Sand, trotten in einer Reihe hintereinander her, vorbei an Palmen und orientalischen Ornamenten. Sie hängen über Marianne Schwinghammers Schulter. Die Frau mit den roten Haaren und dem lila Filzhut wirft die Basttasche auf eine lange Holzbank und entschuldigt sich für die Verspätung. Sie war noch kandierten Ingwer kaufen, für den Hals.

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Das Hüfttuch ist das zweitwichtigste Accessoire der Bauchtänzerin. Dabei kommt es auf die Münzen an: Hauptsache, es scheppert.

(Foto: Lena Jakat)

Es riecht nach altem Schweiß. Schwinghammer reißt erst einmal das Fenster auf. Der Blick geht auf eine architektonische Scheußlichkeit der sechziger Jahre. Orangefarbige Markisen, Balkone aus Sichtbeton, 27 Stockwerke, 500 Wohnungen. Platzsparendes Wohnen aus dem Lehrbuch und eine Monotonie, die den Regisseur jedes Migranten-Dramas aufjuchzen ließe.

Jeden Donnerstag schlingt sich Marianne Schwinghammer im Gymnastiksaal hinter der Bücherei am Münchner Arabellapark ein Tuch um die Hüften und empfängt ihre Schülerinnen. Seit fast dreißig Jahren gibt sie Bauchtanzunterricht. Die 53-Jährige war eine Pionierin des orientalischen Tanzes in München. Sie hat hier auf den Tischen türkischer Hochzeitsfeiern getanzt, lange bevor das Wort "Parallelgesellschaft" erfunden wurde.

Auf türkischen Hochzeiten, egal ob sie in Istanbul gefeiert werden oder mitten in Bayern, übernimmt die Bauchtänzerin traditionell zweierlei Aufgaben: Sie unterhält die Gäste und ist zuständig für die - symbolische - erotische Unterweisung der Brautleute. Ein Brautführer begleitet sie beim Tanz über die Tafeln und achtet darauf, dass die Gäste nicht zudringlich werden. So wollen es das Brauchtum und auch die Kollegen von der Musikgruppe, denn wer auf den Tischen tanzt, bekommt reichlich "Bakschisch", wie Schwinghammer sagt, Trinkgeld.

Scheppernde Hüften

Nach und nach füllen Schwinghammers Schülerinnen den kahlen Mehrzweckraum - jüngere Frauen und ältere, schlanke und weniger schlanke. Die zweite Tasche mit Kamel-Muster landet auf der Holzbank, danach eine dritte. Es sind Basttaschen, wie sie an den Marktständen zwischen Antalya und Hurghada hunderttausendfach verkauft werden. Die Kameltasche scheint das zweitwichtigste Accessoire jeder Bauchtänzerin zu sein. Das wichtigste ist das Tuch. Die Bauchtänzerinnen von Bogenhausen tragen es über Jeans, über Sporthosen oder rosa Röcken mit Zebra-Print. Manche Tücher haben Zotteln, andere erinnern an ein Fischernetz. Entscheidend sind die festgenähten Blechmünzen, die schon das geringste Zucken der Hüften zum Scheppern bringt.

"Und Shimmy!", kommandiert Schwinghammer. Die zierliche Frau macht es vor: Mit rätselhaften Muskelspielen bringt sie ihr Becken zum Zittern, nur das Becken. Der Rest des Körpers bleibt völlig ruhig. Die anderen tun es ihr gleich. Das Geklimper der Blechstücke schwillt zum Geprassel, als elf Hüften auf Schwinghammers Befehl zittern, wackeln und wogen.

Von seinen türkischen und arabischen Wurzeln ist der Bauchtanz an der VHS so weit entfernt wie die Kameltaschen von der Sahara. Und wer bei Bauchtanz automatisch Marokkanerinnen wie Bill Ramseys Zuckerpuppe Suleika erwartet oder Ägypterinnen, die den Bauchtanz Anfang des 20. Jahrhunderts in den Kairoer Kabaretts berühmt machten, wird enttäuscht. Arabische Frauen kommen so gut wie nie in Schwinghammers Kurse. "Gefühlsmäßig sind es noch weniger als früher", sagt die Tanzlehrerin. "Die wachsen damit auf und machen lieber ihren eigenen Stiefel." Sie glaubt schon, dass das Tanzen eine Brücke sein könnte. "Wenn man dabei bleibt." Schwinghammer hält inne. "Vielleicht ist das aber auch einfach typisch deutsch, wie wir hier lernen."

Ihre Schülerinnen geben sich die größte Mühe, den fehlenden kulturellen Hintergrund wettzumachen; nicht nur beim Beckenkreisen und den korrekt gespreizten Finger, sondern auch bei den Kostümen. Samtige Roben mit Trompetenärmeln wehen im Rhythmus von Schwinghammers Anweisungen über das zerkratzte Parkett. Die Frau in lila Orient-Kluft präsentiert stolz einen farblich passenden Beutel. Darin verwahrt sie ihre Zimbeln, Rhythmusinstrumente, zu denen die Bauchtänzerinnen dann greifen, wenn ihnen das Blech-Geschepper der Hüfttücher noch zu leise ist. "Die sind aus dem Internet", sagt sie.

Gymnastiklehrerin mit Hang zur Exotik

In die Heimatländer des Bauchtanzes zu reisen, war für Schwinghammer stets mehr Qual als Vergnügen: Ihr Magen macht das nicht mit. Einige ihrer Schülerinnen waren schon da, haben Kameltaschen gekauft und Tänzerinnen zugesehen. Doch das war nicht ihre Welt. "Das hat mir nicht besonders gefallen", sagt Iris Trappmann. "In Ägypten sind es oft russische Tänzerinnen, die durch die Hotels tingeln." Der Zusammenhang zwischen ihrem Hobby und der arabisch-islamischen Welt leuchtet ihr nicht ein. "Der Islam hat doch nichts mit Bauchtanz zu tun", meint sie. "Dann könnte man ja auch das Schuhplatteln mit der CSU in Verbindung bringen." Sieglinde Straub, seit neun Jahren passionierte Bauchtänzerin, war vom orientalischen Tanz im Orient ebenfalls enttäuscht. "Die sind sehr aufreizend, haben nur ganz wenig an", sagt die junge Frau mit dem türkisfarbenen Kleid. "Das stört mich."

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(Foto: Lena Jakat)

Schwinghammer schüttelt bei diesem Thema den Kopf. "Das ist reine Anmache", sagt sie. "Gierige Blicke haben mich immer angeekelt." Einmal, in Österreich, sollte sie vor mehr als hundert Männern auftreten, als einzige Frau im Saal. Sie ist davongelaufen. Sie sei eben keine "Tavernentänzerin", sagt sie und ihr Ton lässt nicht daran zweifeln, was sie damit meint. "Ich habe das schon genossen so selbstbewusst aufzutreten, dass die Männer manchmal richtig Schiss kriegen", sagt die gebürtige Niederbayerin. Das oberste Gebot für eine Tänzerin laute jedoch, nie etwas mit einem Mann aus dem Publikum anzufangen. Daran hat sie sich gehalten. Ihr ging es schon immer um die Kunst - beim Bauchtanz ebenso wie bei den Bändertänzen im Trachtenverein und den Balkantänzen ihrer Folkloregruppe.

Als Kind hat sie stundenlang vor dem Radio gesessen und sich Tänze ausgedacht. Nur widerstrebend haben ihr die Eltern später erlaubt, Gymnastiklehrerin zu werden. Ein Amerikaner holte sie in eine Folkloregruppe, die zu Volksweisen aus Bulgarien, Mazedonien und Kroatien tanzte. Schwinghammer lächelt beim Erzählen: Sie hat schon immer einen Hang zur Exotik gehabt. Auf einer Tourismusmesse sah sie Ende der siebziger Jahre zum ersten Mal tunesische Bauchtänzerinnen. "Wow, dachte ich, das will ich auch können."

Schwinghammer fand eine Lehrerin und hörte nicht mehr auf zu tanzen. Sie gründete das Bauchtanz-Ensemble "Wüstentöchter" und fing an, selbst Kurse zu geben. An den Wochenenden trat sie auf, drei, vier, fünf Mal. In diesen Stunden wurde sie Teil einer Subkultur aus arabischen Restaurants und türkischen Veranstaltungsräumen. Unter der Woche arbeitete sie im Büro bei Siemens. Zwei Welten, die nicht immer harmonierten: Ihren Partnern fehlte oft das Verständnis für die abendlichen Auftritte. "Na ja, man sagt: 'Eine Tänzerin ist keine Frau zum Heiraten.'" Die Tanzlehrerin geht nach hinten, wo ein schwarzer Stereo-Turm in der Ecke steht und legt eine neue CD ein: Trommeln und wehmütige Geigenklänge. "Das ist einfach meine Musik. Sie inspiriert mich mehr als alles andere."

Schwinghammers Klasse tanzt zu Egyptian Love Affair: Becken kreisen langsam, Oberkörper drehen sich, Hände malen Spiralen in die Luft. Sogar im Neonlicht des Gymnastiksaals hat sich der Bauchtanz bis heute einen Hauch jener Anrüchigkeit bewahrt, die in den achtziger Jahren die Volkshochschulen daran hinderte, den orientalischen Tanz ins Programm aufzunehmen. Gustave Flaubert holte die Bauchtänzerin im 19. Jahrhundert nach Europa - als exotische Kurtisane in seinen Romanen.

Der Begriff des Bauchtanzes soll auf seinen danse du ventre zurückgehen. Der Franzose und seine Frauenfiguren von Salome bis Salammbô haben ein romantisch-erotisches Bild vom Orient begründet, das Matahari sechzig Jahre später festigte und das bis heute nachwirkt. Wie zu Fasching, wenn Schwinghammers Schülerinnen in den Verkleidungskisten nach Pluderhose und Tüllgardine kramen und geschlossen in einem arabischen Restaurant einen arabischen Kostümball feiern. Nach eineinhalb Stunden Shimmys, Kreuzschritten und Beckenkreisen im Gymnastikraum am Arabellapark applaudieren die Bauchtänzerinnen ihrer Lehrerin: Der wöchentliche Ausflug in den Orient ist zu Ende. "Bauchtanzen, das ist Eintauchen in eine fremde Welt", sagt Iris Trappmann. Sie ist zum Bauchtanz gekommen, als sie hörte, das sei - wie das Schwimmen - gut für den Rücken.

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