Online-Therapie:Ferndiagnose in der Ehekrise

Göttinger Psychologen bieten eine Paartherapie im Internet an, die zugleich eine wissenschaftliche Studie ist.

Markus C. Schulte von Drach

Wochenend-Ehe seit Jahren, und immer ging es gut. Doch nun kriselt es; eine Paartherapie ist angesagt. Aber wann? Schließlich sieht man sich ja sowieso nur am Wochenende. Bei diesem Problem wollen Therapeuten der Universität Göttingen Abhilfe schaffen. Online-Paartherapie heißt ihr Angebot, das zugleich eine wissenschaftliche Studie ist.

"Diese Therapie kann völlig unabhängig vom Standort stattfinden", erklärt Projektleiter Ragnar Beer, "sogar in der entspannten Atmosphäre eines Urlaubsorts." Auch wer wegen hoher Arbeitsbelastung keinen Termin oder für den Nachwuchs keinen Babysitter findet, gehört zur Zielgruppe der Wissenschaftler.

Wie bei konventioneller Paartherapie gibt es regelmäßig Gespräche mit dem betreuenden Psychologen - in den Chaträumen auf der Internetseite der Göttinger Therapeuten (www.theratalk.de). Und die sind von den Bahamas genauso gut zu erreichen wie vom Büro in Bitterfeld. Das kostet 300 Euro für die ersten sechs Wochen und bietet hohe Flexibilität: Statt eines wöchentlichen Termins kann man seinem Therapeuten jeden Tag schreiben. Der sieht die Mitteilung und reagiert.

Beide Partner und der Betreuer können sich dabei im selben Chatroom versammeln, oder der Psychologe besucht die Streitenden jeweils einzeln. Dass dabei nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesprochen wird, ist nach Beers Erfahrungen kein Nachteil. Im Gegenteil: "Häufig erleichtert die räumliche Trennung das Gespräch, da viele Menschen empfindlich auf Äußerungen ihres Partners reagieren" und ihn unterbrechen.

Bei Theratalk hingegen muss man bis zum Ende zuhören - beziehungsweise mitlesen. "Besonders Männer scheinen davon zu profitieren, dass sie beim Schreiben die Zeit haben, das auszuformulieren, was sie denken und fühlen", erklärt Beer.

Doch was sich im Chatraum wie ein brauchbarer Kompromiss anhört, muss in den Alltag übertragen werden. Die Göttinger setzen auf Verhaltenstherapie: "Dazu wird ein Training maßgeschneidert", erklärt Beer, "deshalb muss auch unbedingt ein persönlicher Kontakt zwischen dem Therapeuten und den Betroffenen bestehen. " Die Privatsphäre der Teilnehmer, so versichert Beer, bleibt trotzdem gewahrt. Die persönlichen Daten der Paare werden auf dem Postweg übermittelt. Anschließend tritt man nur noch unter einem Spitznamen auf. "Außerdem werden alle Daten wie beim Online-Banking verschlüsselt."

Bei Kollegen findet das Unternehmen der Göttinger Psychotherapeuten im Prinzip Zustimmung. "Wenn bei diesem Projekt täglich Kontakt mit dem Therapeuten aufgenommen werden kann, dann lässt sich eine intensive Beziehung aufbauen", sagt David Althaus von der Universität München, warnt aber zugleich: "Im direkten Therapiegespräch ist der Ausdruck von Gefühlen und mitunter auch gemeinsames Schweigen wichtig."

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