Kolumne: Meine Leidenschaft:"Selbst bei 5:0 habe ich am Ende immer verloren"

Kolumne: Meine Leidenschaft: Enge Verbindung zwischen Mann und Schläger: Schauspieler Oliver Mommsen.

Enge Verbindung zwischen Mann und Schläger: Schauspieler Oliver Mommsen.

(Foto: Marzena Skubatz)

Weil er einfach nie gewinnen konnte, ist er Schauspieler geworden statt Tennisprofi. Seinen Schläger nimmt Oliver Mommsen weiterhin fast täglich in die Hand - doch am liebsten spielt er heute unter einer Brücke.

Von Christine Mortag

"Hundert sind das Ziel." Hundert Schläge gegen die Mauer, ohne Unterbrechung, ohne dass der Ball den Boden berührt. Man kann gar nicht so schnell gucken, wie das gelbe Ding hin- und hersaust, aber bei 27 ist heute Schluss. Der Vorführeffekt. "Mist", sagt Oliver Mommsen. Ein bisschen ärgert es ihn schon, schließlich ist der Schauspieler mehr als nur ein bisschen tennisverrückt: Seinen Wilson-Schläger nimmt er so oft wie möglich in die Hand, am besten täglich.

"Das Problem beim Tennis ist: Du brauchst einen Platz und einen Partner." Das hat ihn immer genervt, er wollte den Sport unabhängig von Verabredungen und Terminen ausüben, auch auf das ganze Drumherum in Vereinen, das Gewese um Punktspiele und Turniere, hatte er keine Lust mehr. Also fing der Ex-"Tatort"-Kommissar an, nach Plätzen außerhalb von Tennisanlagen zu suchen, wo er genauso gut spielen kann. Seine Version erinnert an Guerilla-Tennis, doch es geht ihm nicht um immer ungewöhnlichere und spektakulärere Orte. "Ich brauche einfach nur eine Wand, die ausreichend hoch und breit ist und genügend Raum davor bietet."

So wie die Wand unter der Monumentenbrücke in Berlin-Kreuzberg, zwischen den S-Bahn-Stationen Yorckstraße und Südstern. "Die ist perfekt." Oben rauscht der Hauptstadtverkehr vorbei, unten ist an diesem heißen Donnerstagmorgen nicht viel los. Ein paar Kinder toben nebenan auf dem Spielplatz, ab und zu kommt ein Hundebesitzer oder ein Skater vorbei, man kennt und grüßt sich. Oliver Mommsen, in grauer Sporthose, grauem ausgeleierten T-Shirt und "besonders hässlichen" neongelben Tennisschuhen, ist mit dem Fahrrad gekommen. Er wohnt nicht weit entfernt, im "Bergmannkiez", seit 25 Jahren.

Er beherrscht die Technik, Vorhand wie Rückhand

Warum ausgerechnet dieser massive Brückenpfeiler seine "Lieblingswand" ist, zeigt sich jetzt bei den langen Schlägen. Aus etwa dreizehn Meter Entfernung (so, als würde er auf einem normalen Tennisplatz an der Grundlinie stehen) zimmert er die Bälle gegen die mit Graffitis besprayte Mauer. Mit ordentlich Wumms und derart laut, dass es schon mal Beschwerden gab. Als er sonntags um sieben Uhr morgens mal seine 90-Minuten-Trainingseinheit (Tennis im Wechsel mit Seilspringen) absolvierte, schrie einer aus dem Wohnblock gegenüber: "Ey, Alter, nicht dein Ernst, oder?" Der Wohnblock ist gute 100 Meter entfernt, dazwischen verlaufen S-Bahn-Gleise.

Wer Mommsen beim Tennis zusieht, erkennt schnell: Der versteht was davon. Er beherrscht die Technik, Vorhand wie Rückhand, Ausholbewegung und Beinstellung stimmen, den Ball trifft er im richtigen Moment vor dem Körper. "So richtig schön old school", sagt der 53-Jährige. "Das kriege ich nicht mehr raus." Will er auch gar nicht: Vor der seit einigen Jahren beidhändig geschlagenen Rückhand und diesem "neumodischen, aggressiven Rafael Nadal-Stil" habe er zwar Respekt, aber dafür sei er zu alt, sagt er.

Kolumne: Meine Leidenschaft: Oliver Mommsen hätte Tennisprofi werden können, die Voraussetzungen dafür waren da.

Oliver Mommsen hätte Tennisprofi werden können, die Voraussetzungen dafür waren da.

(Foto: Marzena Skubatz)

Dabei hätte Oliver Mommsen selbst Tennisprofi werden können. Die Voraussetzungen dafür waren da: viel Leidenschaft und ein Weltklasse-Trainer. Sein Stiefvater war Ingo Buding aus der legendären Buding-Tennisfamilie (zu der sein Vater und zwei Schwestern gehörten), dreifacher deutscher Tennismeister und ehemals Kapitän der deutschen Davis-Cup-Mannschaft. Ihn hatte Olivers Mutter 1971 kurz nach der Scheidung von seinem Vater Nino Mommsen geheiratet. "Verrückte Geschichte", erzählt der Schauspieler. "Ingo wohnte damals bei meinem Vater, und meine Mutter wollte eigentlich nur was aus seinem Haus abholen. Stattdessen nahm sie Ingo mit."

Buding betrieb zwei große Tennisanlagen, in Straßburg und in Bandol an der Côte d'Azur. Der kleine Oliver stand also fortan jede freie Minute auf dem Platz an einem der beiden Orte oder arbeitete sich an den riesigen Tenniswänden ab. Er machte den ganzen Zirkus mit, spielte Turniere, Punktspiele. Nur gewinnen konnte er nicht, niemals. Wieso das? "Keine Ahnung, ging einfach nicht. Selbst bei 5:0 habe ich am Ende doch immer verloren." Mal tat ihm der Gegner leid, mal war er selbst zu siegessicher, vor allem war es ihm einfach nicht so wichtig. "Wenn ich wählen muss zwischen Spaß und Sieg, wähle ich immer den Spaß." Bis heute hält er es so, nicht nur beim Tennis, sondern auch bei der Auswahl seiner Rollen.

In der Pubertät war erst mal Schluss mit Tennis

Sein Stiefvater war klug genug, aus ihm keinen zweiten Boris Becker machen zu wollen. "Aus eigener Erfahrung wusste er, dass eine Kindheit als Spitzensportler alles andere als lustig ist." Irgendwann fragte Buding, ein gebürtiger Rumäne mit schwerem Akzent: "Was willst du, Oliverrr? Willst du Tennisprrrofi werden oder weiter Räuber und Gendarm spielen?" Mommsen entschied sich für die zweite Option, später spielte er tatsächlich 17 Jahre lang den Kommissar aka Nils Stedefreund im Bremer "Tatort".

In der Pubertät machte er erst mal Schluss mit Tennis. Mommsen kam aufs Internat. Aus Schloss Salem am Bodensee flog er wegen Regelverstößen direkt wieder raus, in Louisenlund in Schleswig-Holstein durfte er bleiben, weil er in der Theater-AG gerade die Hauptrolle in "Peter Pan" bekommen hatte. Die teuren Privatschulen finanzierte seine wohlhabende Familie väterlicherseits: Der Ururgroßvater war Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen, der Großvater Vorstandvorsitzender der Thyssen AG, der Vater gehörte zum Jet-Set. "Gunter Sachs, Muck und Mick Flick, das war so seine Clique." Hat den Sohn das damals beeindruckt? "Allerdings", sagt Mommsen. "Ich war exakt das, was man sich unter einem Schnösel vorstellt: ein arroganter Kotzbrocken mit Graf-Rotz-Manieren vom Feinsten."

Es fällt schwer, diesen charmanten und total entspannten Typen heute mit dem Alter Ego von damals in Einklang zu bringen. Genauso erstaunlich, dass einer, der sich mit Regeln schwertut, in einem Beruf reüssiert, der zum Großteil daraus besteht, Anweisungen entgegennehmen zu müssen. "Ein Widerspruch, ich weiß, aber der Spaß und die Leidenschaft für die Schauspielerei ist so groß, da nehme ich die Einschränkungen als Herausforderung an", sagt Mommsen. Viel Spaß hatte er gerade erst bei der Komödie "Mein Lotta Leben - Alles Tschaka mit Alpaka", die nächste Woche in die Kinos kommt und in der er den Vater einer pubertierenden Tochter spielt. Seine beiden eigenen Kinder sind schon aus dem Haus. Doch von wegen "Empty-Nest-Syndrom": Eine Woche nach dem jeweiligen Auszug hatte er mit seiner Frau Nicole bereits die ehemaligen Kinderzimmer renoviert.

Kolumne: Meine Leidenschaft: Wenn er für seinen Beruf verreisen muss, hat Oliver Mommsen seine Tennistasche immer dabei.

Wenn er für seinen Beruf verreisen muss, hat Oliver Mommsen seine Tennistasche immer dabei.

(Foto: Marzena Skubatz)

Wenn Oliver Mommsen jenseits von Berlin dreht oder auf der Bühne steht, hat er den Tennisschläger immer dabei. "Irgendeine Wand findet sich immer." Meist trifft er auf jemanden im Team, mit dem er spielen kann. Beim "Tatort"-Dreh in Bremen war es die Cutterin, in Hamburg am St.-Pauli-Theater der Regieassistent, beim "Bergdoktor" in Tirol hat das halbe Team Tennis gespielt. "So gern ich alleine an die Wand spiele, manchmal fehlt mir dabei schon die Interaktion mit dem Gegenüber. Das ist wie in meinem Beruf."

Ins Gepäck kommen aber nicht nur der Schläger, sondern auch die Pilates-Matte, ein Springseil, die Laufschuhe und sein Klapprad. "Ich muss immer in Bewegung bleiben, da bin ich fast schon manisch", sagt Oliver Mommsen. "Außerdem habe ich Setflucht." Heißt, wenn am Ende des Tages die letzte Klappe fällt und der Rest des Teams sich zusammensetzt, schwingt er sich sofort aufs Rad und ist weg. So wie heute. Die Trainingseinheit ist beendet, man sieht ihn nur noch von hinten. Winkend.

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände hat Oliver Mommsen beim Guerilla-Tennis immer griffbereit:

Das Springseil

Kolumne: Meine Leidenschaft: Super Kardiotraining und gut für die Beinarbeit: Mit Seilspringen hält sich Oliver Mommsen fit.

Super Kardiotraining und gut für die Beinarbeit: Mit Seilspringen hält sich Oliver Mommsen fit.

(Foto: Marzena Skubatz)

"Mit den Holzgriffen sieht das Seil aus wie von Manufactum, ist aber von Galeria Kaufhof und schon zehn Jahre alt. Irgendwann war mir klar, technisch werde ich beim Tennis nicht mehr groß was reißen. Wenn ich heute mithalten will, geht das nur über die Kondition. Seilspringen ist ein super Kardiotraining und gut für die Beinarbeit. Darum machen das ja auch alle Boxer. Ich wechsle ab: zehn Minuten Tennis, fünf Minuten Seilspringen."

Das Fahrrad

Kolumne: Meine Leidenschaft: Zwar kein Wohnmobil, dafür kann Oliver Mommsen auf seinem Rad durch den Wald, die Stadt und auf den Berg fahren.

Zwar kein Wohnmobil, dafür kann Oliver Mommsen auf seinem Rad durch den Wald, die Stadt und auf den Berg fahren.

(Foto: Marzena Skubatz)

"Seit Jahren schleiche ich um ein Wohnmobil herum, aber ich bin nicht bereit, 70 000 Euro dafür auszugeben. Auf der Suche nach dem Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit bin ich bei den Gravelbikes gelandet, einer Mischung aus Rennrad und Cyclocrosser, also Räder, die robust sind und auf verschiedenen Untergründen funktionieren. Das hier habe ich bei einem Berliner Fahrradhändler im Schaufenster gesehen und direkt gekauft. Üblicherweise machen die Kunden ja ewig rum mit Customizing und so, ich brauchte nur zwei Satteltaschen extra. Das Gestell ist aus Stahl, richtig schwer. Aber ich kann damit durch den Wald und die Stadt fahren und den Berg hinauf, solange der nicht steiler als 16 Prozent ist."

Der Schläger

Kolumne: Meine Leidenschaft: Der Carving-Ski unter den Tennisschlägern: Was die Auswahl des Modells angeht, ist Oliver Mommsen heute aber leidenschaftslos.

Der Carving-Ski unter den Tennisschlägern: Was die Auswahl des Modells angeht, ist Oliver Mommsen heute aber leidenschaftslos.

(Foto: Marzena Skubatz)

"Was war das früher immer für ein Tamtam um die Schläger. Stundenlang habe ich meine Eltern belatschert, wollte unbedingt genau das Modell, das Björn Borg gerade hatte. Es musste immer das neueste Modell und gleich zwei davon sein, falls im Turnier mal die Saiten reißen, was ständig der Fall war, weil die damals aus Naturdarm waren. Heute bin ich da total leidenschaftslos. Der von Wilson spielt sich von allein, der ist so etwas wie der Carving-Ski unter den Tennisschlägern. Ich habe nur einen, weil die Saiten aus Kunststoff sind und ich eh keine Turniere mehr spiele."

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