Ökologisch korrekte Ernährung:Versuch, eine weiße Weste zu kaufen

Bio-Produkte

Kommt die Bio-Ananas nur mit viel Kerosin zu uns, sollten wir vielleicht besser Äpfel essen.

(Foto: dpa)

Wer glaubt, er erwirbt mit Siegeln automatisch ein reines Gewissen, irrt. Bei Öko-Fleisch, -Gemüse oder -Obst sind Gut und Böse nicht immer klar voneinander zu unterscheiden. Und je mehr man hinterfragt, desto verwirrender kann es werden. Ein Selbstversuch.

Von Violetta Simon

Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Ich bin eine Belastung für den Planeten, auf dem ich lebe. Meine bloße Existenz - die reine Zumutung! Die Milch für meinen Kaffee: subventioniert. Das Korn für mein Brötchen: von überdüngten Böden. Und das Obst in meinem Müsli hat sein makelloses Aussehen einem Pestizid-Cocktail zu verdanken. Mit anderen Worten: So kann es nicht weitergehen. Von heute an versuche ich mich ökologisch korrekt zu ernähren. Und nichts wird mich davon abhalten. Nun ja, fast. Meine beiden Mitbewohner - Mann und Sohn - sind zuweilen kontraproduktiver als jeder innere Schweinehund, ihre Widerstandskraft erbitterter als eine Fressattacke während einer Fastenkur. Aber ich fürchte mich nicht. Schließlich bin ich hier der Chef. Oder?

Recherche

"Erst das Fressen, dann die Moral - wie sollen wir uns künftig ernähren?" Diese Frage hat unsere Leser in der vierten Abstimmungsrunde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von zahlreichen Beiträgen, die sie beantworten sollen. Alles zur Recherche zu Fressen und Moral finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Versuchsstart

Ich eröffne das Abendessen mit einer kurzen Erklärung zur aktuellen Lage: "Von heute an ernähre ich mich ökologisch korrekt. Wer macht mit?" Mein Sohn reflexartig: "Ich!" Nach einem irritierten Seitenblick auf seinen schweigenden Papa fragt er verunsichert: "Äh - was bedeutet das eigentlich?" Die lapidare Erklärung des Vaters - "jede Menge runzliges, aber ungiftiges Gemüse und Obst" - lassen seine Neugierde einem Ausdruck tiefer Abscheu weichen.

"Was ist jetzt, wollt ihr mich hängenlassen? Sind euch Umwelt und unsere Gesundheit egal?", frage ich. "Wir finden es ja ganz toll, dass du dir so viele Gedanken machst", sagt mein Mann, "aber sollten wir nicht besser erst mal von außen dabei zusehen, quasi als Kontrollgruppe?" Ich wusste es. Seufzend lasse ich meinen Blick über den gedeckten Tisch schweifen und überprüfe ihn auf Umweltsünden. "Warum hast du wieder die in Plastik verpackte Wurst gekauft?", frage ich. "Weil ich bis vor fünf Minuten nicht wusste, dass das jetzt unter Strafe steht", höre ich meinen Mann brummen (Antworten auf das Verpackungs-Dilemma finden Sie in unserem Experteninterview). Ignorant. Fehlt nur noch, dass er sagt: "Koch dir einen Hirsebrei, Liebes, und lass mich in Frieden." Das kann ja heiter werden.

Bestandsaufnahme

Ich unterziehe den Kühlschrank einer Inventur und schäme mich angesichts der Gewächshaus-Tomaten, der CO₂-trächtigen Flug-Ananas und der Neuseeland-Äpfel erst einmal in Grund und Boden. Immerhin findet sich darin kein gewissenlos gezüchteten Hybridhühnchen, sondern ein - wie mir der Metzger versicherte - bayerisches Huhn. Ob das allerdings ein glückliches Hühnerleben und biologische Ernährung beinhaltet, wage ich zu bezweifeln.

Komme außerdem zu dem Ergebnis, dass wir eindeutig zu viel "Convenience Food" verwenden: vorgeschnittene, in Plastik verpackte Lebensmittel für Verbraucher, die zu faul sind, den Speck zu würfeln, den Käse vom Stück abzuschneiden und den Joghurt zum Müsli zu portionieren. Hier kann man vermutlich nicht nur Verpackungsmaterial sparen, sondern auch jede Menge Aromen und chemische Zusätze (Antworten zum Thema Klimabilanz von Obst und Gemüse, Convenience Food und Einkauf von Fleisch lesen Sie in unserem Experteninterview).

Schreibe eine Einkaufsliste mit biologisch unbedenklichen Zutaten und mache mich auf den Weg zum nächsten Bio-Supermarkt.

Einkauf

Verbringe zwei geschlagene Stunden im Bio-Supermarkt, weil ich jeden Artikel auf ökologische Gesichtspunkte und Zutaten überprüfe - und bin anschließend noch verwirrter als zuvor. Warum steht auf der Bio-Gemüsebrühe der Hinweis "vegetarisch?" Ist das nicht das Mindeste, was ich von einer Gemüsebrühe erwarten darf? (Der freundliche Verkäufer erklärt mir, dass er vollkommen meiner Meinung sei, dass es sich bei Brühpulver aber ähnlich verhalte wie bei Getreideprodukten. So wie sich darin manchmal Spuren von Erdnüssen befänden, könne diese aufgrund des Herstellungsprozesses Spuren von Fleisch enthalten.) Entscheide mich vorsichtshalber für die vegetarische Gemüsebrühe, ohne Fleischreste.

Wende mich nun der Frischware zu und arbeite mich durch die Gemüseabteilung, wo grüne Paprika aus Marokko und rote Paprika aus Israel einträchtig nebeneinander liegen (mehr zum Thema Fleischessen und zu importierter Bio-Ware lesen Sie in unserem Experteninterview). "Bio - nach EG-Norm", steht auf dem Schild. Klingt fast entschuldigend. Dafür ist Bio-Ware nach EU-Richtlinie günstig. Für echte Demeter-Qualität muss man schon tiefer in die Tasche greifen, vor allem außerhalb der Saison. Andererseits: Diese unterschiedlichen Bio-Kategorien sind ganz schön verwirrend - allein neun Varianten an Zertifikaten finden sich bei Alnatura (hier finden Sie eine Orientierungshilfe im Dickicht der Siegel).

Ernüchterung, Gemüseallergien und ein Ausweg

Hinter den Glastüren des Kühlregals präsentieren sich zahlreiche Wurst- und Käsevariationen in homöopathischen Dosen, alles üppig in Kunststoff verpackt: winzige 80-Gramm-Portionen Schinken und Salami, 100 Gramm, also vier bis fünf Scheiben Schnittkäse, Tofu-Bratlinge im Zweierpack. Und dafür all das Plastik? Dann vielleicht doch lieber 200 Gramm Aufschnitt im Papier aus regionaler Herstellung vom Metzger gegenüber (Antworten auf die Frage "Theke oder Kühlregal?" lesen Sie hier).

Studie zum Einkaufsverhalten bei Bio-Lebensmitteln

Viele Bioprodukte kommen aus dem Ausland. Bei Paprika, beispielsweise, beträgt der Importanteil mehr als 80 Prozent.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Verbringe eine weitere Viertelstunde damit, eine Verkäuferin mit sämtlichen Gemüsesorten zu konfrontieren und sie mit der Frage "Ist das jetzt wirklich bio oder nur nach EU-Richtlinie?" in den Wahnsinn zu treiben. Mit umso mehr Genugtuung registriert sie kurz darauf meinen fassungslosen Blick auf die Summe am unteren Ende des Kassenbons, der sich mir mit unerbittlichem Rattern entgegenschlängelt. Aber so leicht gebe ich nicht auf - ein reines Gewissen ist eben nicht für lau zu haben.

Fragen

Ernüchtert, aber nicht desillusioniert packe ich zu Hause meine Beute aus - und mit ihr eine Reihe an Gewissensfragen: Wie sinnvoll ist der Kauf von ökologisch produzierten Wurst- und Käseprodukten, wenn sie nur in Verbindung mit Verpackungsmüll zu haben sind? Tue ich der Umwelt einen Gefallen, wenn ich auf Fleisch und Wurst verzichte? Wie bio kann Gemüse aus Marokko oder Israel sein? Und warum wird es von so weit her nach Deutschland gekarrt?

Wäre es nicht besser, wenn das Zeug aus deutschen Gewächshäusern käme? Oder man sich einfach nach der Jahreszeit richtet und sich saisonal ernährt? Gibt es eigentlich "gutes" und "böses" Bio? Und wovon, bitteschön, soll ich so ein ökologisch korrektes Leben überhaupt bezahlen? (Die Antworten auf diese und weitere Fragen lesen Sie im Interview.)

Das Telefon läutet und stellt mich vor die nächste Entscheidung: Darf ich eine Einladung zum Essen in ein ökologisches Wirtshaus annehmen, wenn ich dazu in ein Auto einsteigen muss? Ich finde: nein. Und sage ab.

Bedenken

Träume, dass mein Sohn ist in den Hungerstreik getreten ist, weil er in der Schule den Begriff "Gemüseallergie" aufgeschnappt hat. Mein Mann hat sich an unseren Kühlschrank gekettet, um das letzte Brathuhn aus Käfighaltung zu bewachen, während der Tierschutzverein die Küche besetzt und das Kind zwingt, Rohkost zu essen. Im Innenhof pflanzen Männer vom städtischen Gartenbauamt Tomatenstauden, die in Sekundenschnelle wachsen und in unser Schlafzimmer wuchern. Es klingelt an der Tür. Als ich öffne, ergießt sich eine Lawine aus Plastikverpackungen über mich.

Ich erwache schweißgebadet. Irgendwie war mein Leben bis vor einer Woche noch ganz in Ordnung. Inzwischen habe ich zunehmend den Eindruck, dass ich nicht nur eine Belastung für die Umwelt bin, sondern auch für meine Familie. Wenn ich sie in das "Ökorrekt"-Projekt eingliedern will, sollte ich versuchen, sie als Verbündete zu gewinnen. Zum Beispiel durch gemeinsames Pizzabacken: Mit einer Backmischung von Demeter und jeder Menge Bio-Gemüse hantieren wir gemeinsam in der Küche. Und plötzlich kein Wort mehr von wegen Gemüseallergie. Na also. Geht doch.

Fazit

Wir können unser schlechtes Gewissen nicht vor dem Bio-Laden abstellen. Und uns keine weiße Weste mit Produkten aus der Region kaufen. Um sich ökologisch unbedenklich zu ernähren, gehört manchmal mehr, als ein Stadtmensch ohne Gemüsebeet leisten kann. Doch der goldene Mittelweg ist immerhin ein Anfang. Wir bleiben dran.

Die Recherche zu Landwirtschaft und Ernährung: Kein Fressen ohne Moral

"Erst das Fressen, dann die Moral - wie sollen wir uns (künftig) ernähren?" Das wollten unsere Leser in der vierten Runde unseres Projekts Die Recherche wissen. Mit einer Reihe von Beiträgen beantworten wir diese Frage.

  • Fleisch Petrischale Luxus ist, seine Wurst selbst zu machen

    Kochen wir bald selbst im Restaurant an der Ecke? Ernährungsexpertin Hanni Rützler will herausfinden, wie wir in Zukunft essen. Im Interview erzählt sie von Apps, die Bauernmärkte finden, kuratiertem Essen und wozu Bananenschalen dienen können.

  • Dem Erdbeerjoghurt auf der Spur

    Welche Wege haben Milch, Obst und Zucker hinter sich, wenn sie im Fruchtjoghurt landen? Verbraucher werden mit der Frage nach dem Ursprung von Lebensmitteln meist alleine gelassen. Eine Suche nach der Herkunft des Erdbeerjoghurts.

  • Niederkaufungen T Unser Stall, unser Baum, unser Beet

    Wie viel sind Lebensmittel wert? Die Mitglieder der Kommune Niederkaufungen sagen: weit mehr als Autos oder Urlaub. Sie haben ihre Maßstäbe verändert, auch wenn es Geld kostet und anstrengend ist. Ein Besuch bei Menschen, die besonders leben und essen.

  • Foodsharing Recherche Fressen und Moral Geteiltes Essen ist halber Müll

    Wenn ich übriggebliebenes Essen wegwerfe, dann immer mit schlechtem Gewissen. 82 Kilogramm Lebensmittel entsorgt jeder von uns pro Jahr. Die Online-Plattform Foodsharing will Abhilfe schaffen. Wie klappt das mit der Müllvermeidung? Ein Selbstversuch.

  • Raubtier Fleischessen Weniger Fleisch, mehr Mitgefühl

    Menschen sind an den Fleischkonsum angepasst. Und Tiger haben auch kein Mitleid mit ihrer Beute. Wieso habe ich dann Gewissensbisse, wenn ich ein Schnitzel esse? Gerade weil ich ein Mensch bin. Und es ist besser, auf das Mitgefühl zu hören als auf den Gaumen. Ein biologistisches Plädoyer für den Fleischverzicht.

  • Hiltl vegetarische Metzgerei "Die Zürcher haben extrem emotional reagiert"

    Er führt laut Guinness-Buch das älteste vegetarische Restaurant der Welt. Nun hat Inhaber Rolf Hiltl die erste fleischlose Metzgerei in der Schweiz eröffnet. Ein Gespräch über vegetarische Riesengarnelen und veganen Sonntagsbraten.

  • Schlaraffenland ist heute

    Nie waren Lebensmittel so sicher, schmackhaft und gesund wie heute. Doch im Zeitalter der Fertiggerichte und Skandale verklären viele Menschen eine Vergangenheit, die es so niemals gab.

  • Zeigt her eure Einkäufe

    Was und wie kaufen die Menschen in Deutschland ein? Wir haben fünf SZ-Leser besucht und in ihre Kühlschränke geschaut. Regional, günstig oder exotisch - im Gespräch verraten sie, worauf sie beim Einkaufen und Essen Wert legen.

  • Bio-Produkte Versuch, eine weiße Weste zu kaufen

    Wer glaubt, er erwirbt mit Siegeln automatisch ein reines Gewissen, irrt. Bei Öko-Fleisch, -Gemüse oder -Obst sind Gut und Böse nicht immer klar voneinander zu unterscheiden. Und je mehr man hinterfragt, desto verwirrender kann es werden. Ein Selbstversuch.

  • Geheimsache Ekelessen

    Ratten, Dreck, Keime: Kontrolleure finden Verstörendes in Gaststätten. Wer gegen Vorschriften verstößt, dürfen die Bürger aber nicht wissen. Wieso ist Deutschland Transparenz-Entwicklungsland und was bringen Restaurant-"Smileys" in anderen Ländern? Zeit, über Pranger zu reden.

  • Gentechnik Supermarkt Versteckte Gentechnik im Supermarkt

    In der EU werden kaum genmanipulierte Pflanzen angebaut. Dennoch ist Grüne Gentechnik in Supermärkten omnipräsent. Die fehlende Transparenz ist politisch gewollt.

  • Tomaten Gemüse Lebensmittel Die Recherche "Der Preiskampf findet da statt, wo die Masse ist"

    Tomaten sind das meistverkaufte Gemüse in Deutschland. Entsprechend sensibel reagieren die Kunden, wenn die Preise in den Wintermonaten steigen. Welche Kosten bei Produktion und Transport entstehen und warum es ganz einfach ist, gute und günstige Tomaten zu kaufen.

  • Agraratlas Wo sich Deutschlands Schweine ballen

    Wo werden die meisten Schweine gehalten? Wie viel Bio wird in Ihrer Gegend angebaut? Und wo schuften die meisten Saisonarbeitskräfte auf den Feldern? Der Agrar-Atlas gibt Antworten.

  • "Die Tiere fühlen sich wohl"

    Was ist Massentierhaltung? Geflügelzüchter Michael Häsch hat uns mit Kamera in seinen Stall im bayerischen Dietramszell gelassen. Selbstverständlich ist das nicht. Manche Bauern fürchten, Tierschützer würden ihren Stall niederbrennen. Häsch sagt: "Bei mir muss keiner einbrechen, die Leute müssen nur klingeln."

  • Bye-bye, Bio

    Die Bio-Branche boomt und Johann Glockner war dabei. Seit kurzem kommt aus den Eutern seiner Kühe keine Bio-Milch mehr, obwohl sich in seinem Stall kaum etwas ändert. Warum? Eine Spurensuche im Grenzland zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft.

  • Bio-Produkte Die heiligen drei Buchstaben

    Öko-Landwirtschaft erscheint als Inbegriff des Guten. Hohe Erwartungen veranlassen Menschen, Bio-Produkte aus Gründen zu kaufen, die zweifelhaft oder schlicht unrealistisch sind. Was an Bio ist wirklich besser?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: