Öko-Produkte und Design:Zu schön, um bio zu sein

Um neue Zielgruppen zu gewinnen, muss die Bio-Branche nicht nur auf den Inhalt ihrer Produkte, sondern auch auf deren Gestaltung setzen. Doch das Wort "Design" ist manchen Herstellern nicht geheuer.

Oliver Herwig

Der Inhalt zählt, allein der Inhalt. Mit diesem Mantra hatte Bio bislang Erfolg. Eingefleischten Vegetariern mochte das Aussehen ihrer Waren wurst sein. Normalos hingegen ließen sich von Recyclingkartons, kruden Logos und Produktnamen aus Grimms Märchenbuch kaum beeindrucken. Doch Bio steht längst für Lebenslust und bewussten Genuss. Erzeuger haben Design entdeckt und umwerben neue Käuferschichten. Eine nicht unumstrittene Strategie. Viele fürchten, erst Stammkunden zu verprellen und am Ende ihre Identität zu verlieren. Wie viel Gestaltung verträgt das Gute, Wahre, Echte?

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Bio ist chic - von der Verpackung kann man das leider nicht behaupten. Auf Bio-Produkten steht nur drauf, was drin ist. Appetitliche Farben? Versprechungen? Bloß nicht! Das könnte nach Gewinnstreben aussehen! Die Berliner Agentur "Schein" hat für uns den Inbegriff eines faden Bio-Labels entworfen.

(Foto: Jan Hülpüsch)

Immer der Nase nach. Die Nürnberger "BioFach"-Messe dampft wie ein Dschungel. Tofu-Schnitzel schmurgeln in großen Pfannen, Bio-Fladen brutzeln vor sich hin, einen Stand weiter duften Brotlaibe (garantiert aus Franken) nach Backstube und Bio-Honig nach Hochalpentälern. 2522 Aussteller, 70 Prozent von ihnen aus dem Ausland, öffnen eine Welt ungeahnter Genüsse. Sofort wird deutlich: Aus der Öko-Ecke ist ein Wachstumsmarkt geworden, handgeschriebene Zettel und Kuli-Etiketten auf Einmachgläsern sind verschwunden, ersetzt durch professionell gestaltete und vermarktete Produkte.

Wie am Stand von Jens Wages. Der 35-Jährige mit Sneakers, hochgekrempelten dunklen Jeans und rotkariertem Hemd unter dem grauen Pullover hat lange in einer Werbeagentur gearbeitet, bis ihm klar wurde, dass er etwas anderes machen musste, etwas, das seiner Überzeugung entspricht. "Wir wollen ehrlich, klar und transparent sein", sagt der Stuttgarter, vor sich ein Sixpack mit Walnuss- und Honig-Senf-Dressing in süßen Gläsern. Das gediegene Design in Erdtönen stammt von seiner Freundin. "Emils" prangt in stilisierter Schreibschrift auf dunklem Fond. Emil heißt der Sohn seines Geschäftspartners Michael Wiese. "Einen nachhaltigeren Namen konnten wir uns nicht vorstellen", sagt Wages. Ein Inder hält vor dem Stand, dippt einen Spieß in das Dressing, probiert und lächelt: "Delicious." "Thanks", freut sich Wages. Jetzt sucht "Emils Feinkost GBR" nach einem Vertrieb, nach Händlern, die "Geschmack ohne Verstärker" suchen und "1A statt E412".

Mit ihrer kompromisslosen Art dürften sich Jungunternehmer Wages und Susanne Schöning, Gründerin der "Zwergenwiese", treffen. In 30 Jahren hat die einstige Bio-WG-Gärtnerin auf der Schwäbischen Alb ein mittelständisches Unternehmen mit rund 60 Mitarbeitern aufgebaut. Presse macht sie selbst. "Bio ist kein Produkt", erklärt die 56-Jährige mit den ausgeprägten Lachfältchen um die Augen, "Bio ist eine Lebenseinstellung." Wer behaupte, er könne sich Bio nicht leisten, wolle sich Bio eben nicht leisten. Schöning kennt ihre Kunden, weiß, dass neue nachgewachsen sind, die mit Fundamentalisten nichts gemein haben. Und sie reagiert: "Bio hat schon lange nichts Exotisches mehr. Wir holen die Menschen da ab, wo sie stehen." Schöning kultiviert keine Berührungsängste gegenüber Design. Das sei "gute Verpackung für eine gute Botschaft". Eine schöne Definition, die nicht alle Bio-Hersteller unterschreiben würden. Schöning inszeniert ihre Marke, wie Zinnsoldaten leuchtet eine ganze Wand aus bunten Streichpasten und Marmeladengläsern.

"Denkleistung" ist gerade ein Lieblingswort von Schöning, zusammen mit "Phantasie". Doch reines Theoretisieren ist ihre Sache nicht, sie packt an, wo es geht. Im Prospekt sieht man sie mit einem Sack Zwiebeln auf der Schulter "bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: Zwiebeln schälen und Tränen vergießen". Das war 1990. Noch heute lässt es sich die Geschäftsführerin nicht nehmen, die Stehtische ihres - zugegeben - majestätischen Messestands zwischen zwei Gesprächen selbst zu wischen.

So funktioniert die Bio-Branche, die voriges Jahr fast sechs Milliarden Umsatz machte und rund 3,7 Prozent des deutschen Nahrungsmittelmarkts ausmacht: Es gibt wenig Marketing-Konzepte, aus denen Produkte wachsen, sondern es läuft umgekehrt. Waren entstehen aus Überzeugung und werden auch so vermarktet. Bio hat Erfolg, und Design ist der Schlüssel zu noch mehr Erfolg. Aber das sehen nicht alle so. Alteingesessene Ökos fürchten zu viel Normalität und misstrauen dem großen Auftritt.

Am Design scheiden sich die Geister. "Es geht die große Angst um, Stammkunden zu verlieren, wenn man zu geleckt daherkommt und sich nicht mehr unterscheidet von konventionellen Waren." So beschreibt ein Experte aus der Bio-Branche, der namentlich nicht genannt werden will, das Dilemma. Design stößt sogar ab: "Gestaltung löst oft Skepsis aus, ja Misstrauen." Design gilt vielen als Effekthascherei. Bio-Produkte sollen nicht zu edel auftreten, denn dann verkommen sie zu einem Luxusprodukt. Im gleichen Atemzug gibt er zu, dass die Zeit des Müsli-Images vorbei sei: "Das Anders-Sein-Müssen, damit man in der Szene anerkannt wird, ist passé." Wie sich treu bleiben - und trotzdem neue Kunden gewinnen? Das ist der Spagat, in dem sich die Bio-Branche gerade befindet.

Was lässt sich schon gegen Stammkunden sagen, die aus fair gehandelten Schokokäfern in stundenlanger Handarbeit ein Schokomemory gestalten und Fotos davon an den Hersteller schicken, zusammen mit handgeschriebenen Briefen? Solche Stammkunden sind unbezahlbar. "Ja, wir haben eine Fangemeinde", sagt Eva Kiene aus dem Marketing von Rapunzel. Fangemeinde! Das kann vielleicht noch Apple von sich behaupten oder der FC Bayern. Fans stellen das größte Kapital der Bio-Branche dar und zugleich ihre größte Hypothek, wenn es darum geht, Bio zu öffnen gegenüber neuen Schichten. Stammkunden sind oft Traditionalisten. Mit Lohas, jenen neuen Käuferschichten also, die nachhaltig, aber hochwertig konsumieren wollen, und Bio-Lifestyle haben sie nichts am Hut.

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