Süddeutsche Zeitung

Kulturverlust:Rettet die Schwimmbäder!

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Vielen herkömmlichen Badeanstalten droht das Aus. Der Unterhalt ist teuer, der Sanierungsstau enorm. Viele Kommunen setzen deswegen auf Spaßbäder. Höchste Zeit, gegenzusteuern.

Kommentar von Matthias Drobinski

Das Schwimmbad gehört zum Sommer wie das Eis und der Sonnenbrand; Kindergekreische, Chlor- und Frittierfettgeruch inklusive. Doch wie lange noch? Jedes zehnte Bad ist seit dem Jahr 2000 geschlossen worden, bundesweit fehlen bis zu 3000 Bademeister. Das trifft gerade die klassischen Freibäder mit Schwimmerbahn und Liegewiese, in denen Generationen von Kindern Schwimmen lernten, in denen Menschen aus engen Wohnungen einige Stunden Sonne, Freiluft, Bewegung genießen konnten.

Ausgerechnet im warmen, langen Sommer 2018 zeigt sich, dass Deutschlands Schwimmbadkultur baden zu gehen droht. Die Folgen sind dramatisch. Ein Viertel der Deutschen gilt mittlerweile als Nichtschwimmer; Schulschwimmen fällt immer häufiger aus, die Zahl der tödlichen Badeunfälle steigt.

Der Grund für diesen Schwimmbadkulturverlust ist schnell zusammengerechnet: Ein Freibad erwirtschaftet im Schnitt 27 Prozent der Kosten, ein Freizeitbad kommt auf 83 Prozent. Der Sanierungsstau allein bei den öffentlichen Schwimmbädern beträgt 14 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass die Kommunen, wenn eine Sanierung ansteht, das gute alte Schwimmbad aus den Fünfzigerjahren in ein schickes neues Spaßbad umbauen: mit Riesenrutsche und Wellnessbecken, in dem warmes Wasser bauchhoch steht, aber ohne Schwimmerbahn.

Kein Wunder, dass kleine Städte und Dörfer endgültig den Stöpsel im Becken ziehen, weil sie sich einen solchen Umbau nicht leisten können. Und seit im vergangenen Jahr der Bundesfinanzhof die Quersubventionierung der Schwimmbäder aus Gewinnen anderer kommunaler Betriebe als unvereinbar mit dem EU-Wettbewerbsrecht rügte, ist unklar, ob das nicht das Aus Hunderter weiterer Bäder bedeutet.

Höchste Zeit, da gegenzusteuern - und das Schwimmbad als Schwimmerbad zu retten. Die öffentlichen Bäder sind, Chlorgeruch und autoritäre Bademeister hin oder her, Räume des Gemeinschaftlichen, gerade für Ärmere, Kinderreiche, Ältere. Sie sind das Bekenntnis, dass auch schwimmen können darf, wer sich ein Spaßbad oder die Mitgliedschaft im Fitnessstudio nicht leisten kann (oder will). Sie sind ein Statement des egalitären Bürgersinns gegen die Privatisierung der Freizeit, der Erholung, des Vergnügens.

Kommunen können sich zusammentun und Bäder sanieren, sie können Trägervereine fördern oder Spaßbäder nur dann genehmigen, wenn es ein Schwimmerbecken mit Schwimmertarif gibt; sie können die Bäder samt ihrer Liegewiesen zu Orten des Sommerlebens machen, mit Konzerten und Freiluftkino. Und für alle, die nicht wollen, dass die Schwimmbäder verschwinden, heißt das: mal wieder schwimmen gehen. Am besten, wenn es gerade geregnet hat, die Luft kühl ist und die Wiese feucht. Und einem das Wasser auf einmal ganz warm vorkommt und man beim Bahnenziehen zu schweben scheint.

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