Ode an Berlin:Du hast ja keine Ahnung, wie schön du bist

Mitte-Schick und Currywurst: Eine Studie hat das Wesen des Hauptstädters ergründet und erklärt, warum er glücklich und unglücklich zugleich ist.

Charlotte Frank

Als Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit im März die Imagekampagne "Be Berlin" startete, stand man als Nicht-Berliner vor einem fragwürdigen Imperativ. Was verlangte der Regierende da? Wie ist man Berlin? Indem man in Jogginghosen schlüpft, Currywürste isst und sich die Haare Zwickau-Rot färbt? Türkisch lernt und aus dem tiefergelegten Auto Proll-Hip-Hop wummern lässt? Oder, indem man sich in Röhrenjeans presst und den auf Briefmarkenformat geschrumpften Ipod mit einem Fahrradhelm-großen Kopfhörer paart?

Ode an Berlin: Große Klappe: Moderatorin und Kolumnistin Sarah Kuttner, geborne 1979 in Ostberlin.

Große Klappe: Moderatorin und Kolumnistin Sarah Kuttner, geborne 1979 in Ostberlin.

(Foto: Foto: dpa)

Die stilistischen Ausformungen unserer Vorurteile kannten kaum noch Grenzen und überschlugen sich irgendwo auf halber Strecke zwischen Cindy aus Marzahn und dem total kreativen Werber aus Berlin-Mitte. Da die Berliner zahlreich sind und jeder schon mal einen zu Gesicht bekommen hatte, erlaubte sich wirklich jeder sein kleines, persönliches Berlin-Klischee.

Seit Dienstag nun ist das auch amtlich. Endlich lässt sich wissenschaftlich fundiert über den Hauptstädter an sich diskutieren: Die Hertie-Stiftung hat ihre "Berlin-Studie" vorgestellt, die auf 315 Seiten der Frage nach Wohl und Wehe des geheimnisvollen Wesens nachspürt. "Wir haben versucht, dem Berliner aufs Maul zu schauen", sagte der Stiftungs-Vorsitzende Michael Endres, wiewohl geborener Münchner, eher im Neuköllner Slang. Damit wollte Endres sagen: Anstatt die Untersuchung auf objektive Datensätze wie Wirtschafts- und Wohlfahrtszahlen zu stützen, haben die Hertie-Wissenschaftler die Berliner nach ihren subjektiven Eindrücken über das Leben in der Hauptstadt befragt.

Dabei kam heraus, was Klaus Wowereit schon im Jahr 2003 festgestellt hatte: Der Berliner ist arm, aber glücklich, vulgo sexy - aber so frech darf natürlich nur Herr Wowereit daherreden, kein Wissenschaftler. Deshalb erklärten die Autoren der Studie, der Politologe Michael Zürn und der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, den Berliner lieber in Zahlen und Zitaten.

Zufrieden in Armut

Zum Beispiel diesen merkwürdigen Zusammenhang von Armut und Zufriedenheit: Zwar sind Arbeitslosigkeit und Hartz-IV-Quote in Berlin so hoch wie in keiner anderen deutschen Stadt - gerade mal 42 Prozent der Berliner, also nicht mal jeder zweite, hat einen Job -, trotzdem geben 89 Prozent von ihnen an, gerne in der Hauptstadt zu leben. "Diesen Gegensatz zwischen den ungünstigen Ausgangsbedingungen und der hohen Zufriedenheit konnten wir selbst kaum glauben", sagte Klaus Hurrelmann bei der Vorstellung der Studie. "Wir haben lange nach methodischen Fehlern gesucht, weil wir eigentlich dachten, wir müssten auf eine grunddeprimierte Stimmung stoßen".

Auf der nächsten Seite: Der Berliner ist ein sonniges Gemüt.

Du hast ja keine Ahnung, wie schön du bist

Aber der Berliner ist wohl einfach ein sonniges Gemüt - einer, der mit großer Mehrheit (86 Prozent) von sich selbst sagt: "Der typische Berliner versteht es, sich zu amüsieren." 84 Prozent der 2000 Befragten charakterisierten den Berliner außerdem mit den Worten, er sei ein Lebenskünstler, der immer wieder über die Runden komme.

Ode an Berlin: Mächtiges Ego: Bürgermeister Klaus Wowereit, geboren 1953 in Berlin-Tempelhof.

Mächtiges Ego: Bürgermeister Klaus Wowereit, geboren 1953 in Berlin-Tempelhof.

(Foto: Foto: dpa)

Bei all dem sind sich die Bewohner ihrer Probleme aber durchaus bewusst - sie beklagen wachsende Armut, mangelnde Jobs, steigende Preise, Kriminalität und Gewalt. Auch die großen sozialen Gegensätze in der Stadt sind für sie ein kritisches Thema; kein Wunder, schließlich prägen diese der Studie zufolge das Klima besonders stark.

Während die Armut steigt, hat sich Berlin in den vergangenen zehn Jahren zu einem Zuwanderungsmagneten für hochqualifizierte Leute aus Kunst, Medien, Design und Werbung entwickelt, die hier viel Geld verdienen: 28 Prozent der Berliner Erwerbstätigen arbeiten in der Kreativwirtschaft.

Außerdem offenbart sich die Berliner Kluft nach wie vor in den Unterschieden zwischen Ost und West. Zwar unterscheiden sich die Lebensumstände der Menschen in den beiden Teilen der Hauptstadt kaum noch voneinander, dennoch gibt fast die Hälfte der Berliner an, man habe nichts gegeneinander, aber auch nicht viel miteinander zu tun.

Wobei man sich natürlich ohnehin mal fragen müsste: Wer von den Berlinern hat das eigentlich noch mitgemacht, das mit West und Ost und der Mauer? Die Hertie-Studie ergibt: 51 Prozent der Bewohner sind gar nicht in Berlin geboren, 23 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Man sollte es bei der Frage mit Theodor Fontane halten. Der hatte schon Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt: "Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner."

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