Neues Luxus-Festival "A Summer's Tale":Früher war mehr Dosenbier

A summers tale

Sonnenbaden auf dem "A Summer's Tale".

(Foto: Nicole Zaddach; Nicole Zaddach/ FKP Scorpio)

Das Musik-Festival "A Summer's Tale" bietet Luxus-Camping, Holzspäne-Toiletten und Drei-Gänge-Menü samt Bio-Weinbegleitung. Ist das noch Rock'n'Roll?

Von Hannah Beitzer, Luhmühlen

Matthias schmeißt einen Wein nach dem anderen in die Runde - und sagt das auch so: in die Runde schmeißen. "Das ist ein typischer Riesling. Er hat diese Säure, ein bisschen zitronig, ein bisschen apfelig", sagt der gelernte Winzer und studierte Weinbauer zu den zwei Dutzend Leuten, die um ihn herum auf Bierbänken im Pavillon "Luhedeck" sitzen und drei Weinflaschen im Kreis gehen lassen. Sie alle sind hier für den Sommelier-Workshop, den der Hamburger Wein-Versand "Tvino" auf dem Festival "A Summer's Tale" gibt.

Zehn bis 15 Euro die Flasche kosten die Weine, die Matthias nach und nach öffnet. Die Besucher in ihren Leinenhosen und Trägerkleidchen wippen mit den nackten, schmutzigen Füßen, die Haut von der Festival-Sonne schon rötlich verfärbt und fragen Dinge wie: "Habt Ihr eigentlich auch vegane Weine?" Matthias, den hier alle auch gern "Mätti" nennen dürfen, nickt und erzählt, welcher junge, angesagte Winzer in Deutschland gerade auf Eiweiß und Gelatine im Wein verzichtet.

"Wein ohne Dresscode" ist das Motto von tvino. Also Wein für alle, die Qualität wollen, dafür auch etwas mehr zahlen, aber trotzdem nicht gerne im weißen Hemd in feinen Restaurants herumsitzen.

Cold-Brew-Coffee statt Dosenbier

So, wie Mätti das Konzept beschreibt, ist eigentlich das ganze Festival "A Summer's Tale", das in diesem Jahr zum ersten Mal in Luhmühlen in der Lüneburger Heide stattfindet. Perfekt für Menschen über 30, gerne mit Kindern, die gerne Musik in freier Natur hören und campen. Die aber nicht mehr lauwarmes Dosenbier trinken wollen, während ihnen der Nachbar an die Zeltwand pinkelt.

An den Essensständen gibt es Deutschlands ersten Lachs-Döner, Cold-Brew-Coffee und den neuesten Fast-Food-Trend Pulled Pork. Wobei "Fast Food" eigentlich falsch ist, denn für den Snack wird Schweinefleisch stundenlang mariniert, bevor es in den Burger kommt. Für alle, denen das nicht exquisit genug ist, gibt es jeden Abend in einem Zelt mit weiß gedeckten Tischen ein Drei-Gänge-Menü für 40 Euro, dazu die passende Weinbegleitung vom Sommelier.

A summers tale

Workshop in einem der Zelte auf dem Festivalgelände.

(Foto: Robin Schmiedebach/FKP Scorpio)

Tagsüber gibt es für die Festival-Besucher Hatha Yoga, Family Yoga, Acro Yoga, Power Yoga, Massage-Workshops, Näh- und Holzschnitzkurse, ein Kinderprogramm, Theater und Vorträge über Urban Gardening, Reisen und Architektur. Abends spielen Musiker wie Tori Amos, Patti Smith, Damien Rice und die ehemalige Moloko-Sängerin Róisín Murphy. Es gibt einen Komfortcamping-Bereich mit extra viel Platz fürs Zelt und Loungemusik zum Sonnenuntergang. Wer will, konnte komplett aufgebaute Zeltunterkünfte im Vorfeld buchen oder mit dem eigenen Wohnmobil anreisen.

Selbst die Klos sind bio

Selbst die Klos fügen sich stimmig ins Bild: Bio-Kompost-Toiletten von einer Firma namens "Goldeimer", die in bunten Farben angemalt sind. Vor dem Container steht eine Tonne mit Holzspänen, in denen Plastikbecher stecken. Für "das große Geschäft", wie es auf einem Schild heißt, müssen die Besucher einfach einen Becher voll Späne mit in die Kabine nehmen und hinterher schütten. Das riecht selbst bei 30 Grad im Schatten nicht wie ein Plumpsklo, sondern fast wie eine Waldlichtung - kein Scherz!

Die Veranstalter von FKP Scorpio, die auch Riesen-Festivals wie das Hurricane organisieren, wollen mit dem Konzept eine neue Zielgruppe erschließen. Eine Zielgruppe, das wird nach einem Gang übers Gelände klar, die nicht auf jeden Cent achten muss. Die Stände mit dem Bio-Essen haben ihren Preis - 7 Euro für das Pulled-Pork-Sandwich zum Beispiel. Das Festival ebenfalls: 169 Euro kosten vier Tage Camping pro Person, 419 Euro pro Familie - und das noch ohne Komfort-Aufpreis.

Ganz neu ist die Idee nicht. Mega-Festivals wie Rock am Ring, Hurricane und Southside bieten inzwischen Luxus-Camping an. Und hochwertiges Essen samt gesellschaftspolitischem Rahmenprogramm gibt es auch auf dem Indiefestival Haldern Pop, das sich jedoch anders als Veranstalter wie FCP Skorpio konsequent Wachstum und Kommerz verweigert. Die Veranstalter von "A Summer's Tale" hätten anders als die Haldener nichts dagegen, wenn das Festival in den nächsten Jahren auf 25 000 Besucher wächst, sagt einer von ihnen im Interview mit der Lüneburger Landeszeitung.

Ist das noch Rock'n'Roll?

Im ersten Jahr hoffen die Veranstalter auf 5000 bis 7000 Gäste. Hat es geklappt? Es gibt noch keine offiziellen Zahlen. Aber ein paar Anhaltspunkte. Das Komfort-Camping ist immerhin schon seit ein paar Wochen ausverkauft. Auf dem normalen Campingplatz ist dagegen noch gut Platz, Tickets für das Festival gab es auch noch für alle, die spontan angereist sind.

So wie Michael, Anfang 30, aus Berlin. Wann er das letzte Mal auf einem Festival war? "Da muss ich kurz überlegen", sagt er, "das müsste vor drei Jahren gewesen sein, da war ich auf dem Melt." Ähnlich ist das auch bei Mareike und Lars aus Hamburg, die mit ihrer vierjährigen Tochter Martha gekommen sind. "Seit Martha auf der Welt ist, waren wir höchstens mal auf einzelnen Konzerten", sagt Mareike - und dass sie das Kinderprogramm prima findet: Zirkusschule, Musik, überhaupt: "Alle nehmen total Rücksicht, es ist einfach entspannt." Klar, hier grölt nachts niemand laut "Helgaaaaa" durch die Zeltreihen - ein Running Gag auf vielen anderen Festivals.

A Summer`s Tale 2015; A Summer's Tale - Luhmühlen

Viele Besucher kommen mit ihren Kindern zum "A Summer's Tale".

(Foto: Ilona Henne // ILOve Photography)

Einzig Martin, 52, graue Locken, runde Brille und seine Freundin Andrea, 48, geben sich als regelmäßige Festivalgänger zu erkennen. "Wir sind eigentlich im Sommer jedes Wochenende irgendwo", sagt er. Sie schiebt hinterher: "Aber nur auf den kleinen Festivals, nicht Rock am Ring oder so."

Fehlt da nicht was?

Beim "A Summer's Tale" treffen Leute aufeinander, die sich so oder so ähnlich auch im Frühstückscafé in Berlin oder Hamburg begegnen. Und auf dem Festival dann Dinge tun, die sie so oder so ähnlich auch in Berlin oder Hamburg tun: Yoga. Wein trinken. Drei-Gänge-Menüs essen. Oder, wie Donnerstagmittag im Pavillon "A Tale's Café", über alternative Arbeitskonzepte diskutieren.

Da stellen die Berlinerinnen Anna Kaiser und Jana Tepe das Prinzip "Jobsharing" vor, wenn also zwei Menschen sich als Team eine Stelle teilen und dabei eng zusammenarbeiten. "Wir sehen darin ein Modell, dass die Arbeit lebensfreundlicher macht", sagt Tepe. "Jeder sollte auch mal die Möglichkeit haben, neben dem Job andere Projekte zu machen oder einfach drei Wochen in den Urlaub zu fahren", sagt Kaiser. Das Modell sei auch super für die Unternehmen: "Sie haben eine Stelle, aber die doppelte Manpower." Und sei im Übrigen auch für Selbstständige und Führungskräfte geeignet - ein Punkt, der die Zuschauer im Raum besonders interessiert.

Aber sind Festivals nicht gerade deshalb so toll, weil man dort Leute trifft, mit denen man sonst nie ins Gespräch kommen würde? Dass man nie so genau weiß, ob nun die Gruppe 19-jähriger Azubis aus Nürnberg, der Junggesellenabschied aus Graz oder zwei Versicherungskauffrauen aus Bielefeld neben einem das Zelt aufschlagen? Dass alle für ein paar Tage vereint sind in Matsch und Dosenbier? Dass hinterher noch tagelang die Schienbeine blau sind vom Gerempel vor der Bühne irgendeiner Band, deren Musik in dem Moment fast Nebensache ist?

Damien Rice singt auf dem "A Summer's Tale"

Damien Rice singt auf dem "A Summer's Tale".

(Foto: Hinrich Carstensen/FKP Scorpio)

Im Regen sind sie alle gleich

Wenn auf dem "A Summer's Tale" Damien Rice klein und dünn auf der großen Bühne steht, gegen den Sternenhimmel ansingt, dann sieht allerdings niemand so aus, als würde er jetzt lieber Crowdsurfen oder pogen. Paare halten sich in den Armen, Kinder springen zwischen den Beinen der sanft wippenden Zuschauer hin und her. Das ist nicht Rock'n'Roll, aber ziemlich schön.

Und manche Dinge sind auch hier wie auf jedem anderen Festival. Das mobile Internet auf dem "A Summer's Tale" ist schlecht. Schon am Donnerstagabend tragen blonde Männer beeindruckende Farbvarianten von Sonnenbrand auf ihren nackten Oberkörpern spazieren. Und am Freitag, während sich die einen im "Luhedeck" zu Hatha Yoga verbiegen und die anderen im "A Tale's Café" über die Zukunft des Journalismus diskutieren, kommt der Regen. Der ist ja der größte Festival-Gleichmacher überhaupt: Erst werden - Luxus-Camping hin oder her - die Füße nass und schmutzig, dann auch alles andere. Aus der Wiese wird Matsch. Und das Wichtigste: Es ist allen total egal.

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