Neues Gesetz zum Sorgerecht:Vaterglück mit Geburtsfehler

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Nach dem alten Recht konnte der Vater dem Gericht vortragen, was er wollte, er konnte sagen, was er wollte, er konnte tun, was er wollte: Ein Sorgerecht bekam er ohne Zustimmung der Mutter nicht. Das soll sich nun ändern. (Foto: dpa)

Das Müttermonopol ist gebrochen - der Bundestag verabschiedet ein historisches Gesetz, das es Vätern leichter machen soll, ein gemeinsames Sorgerecht für ihre Kinder zu erwirken. Die neue Rechtsprechung enthält jedoch bedenkliche, womöglich verfassungswidrige Fehler.

Von Heribert Prantl

Von heute an ist immerwährender Vatertag: Heute wird im Bundestag das Gesetz verabschiedet, auf das Hunderttausende Väter von nichtehelichen Kindern in Deutschland gewartet haben. Heute werden aus Zahlvätern ganz echte, richtige Väter, die sich um ihr Kind kümmern dürfen.

Das Veto der Mutter gegen ein gemeinsames Sorgerecht verliert die rechtliche Kraft, die es so lange hatte. Entscheidend ist künftig nicht mehr der Wille der Mutter, entscheidend soll das Kindeswohl sein: Das ist der Kern des neuen Gesetzes; und das Kindeswohl, so die Begründung des Gesetzes, verlangt danach, dass Mutter und Vater gemeinsam die Sorge für das Kind tragen - ob es nun ehelich ist oder nicht, ob die Eltern zusammenleben oder nicht.

Das Gesetz "zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern" ist ein neuer großer Schritt, um fast 64 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes dessen Auftrag zu erfüllen: Den nichtehelichen Kindern (im Grundgesetz steht noch die alte Bezeichnung "uneheliche") "sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen wie den ehelichen Kindern" - so stand es schon in der Weimarer Reichsverfassung von 1919, so steht es seit 1949 in Artikel 6 Absatz 5 des Grundgesetzes. Schritt für Schritt hat die Rechtsprechung der höchsten Gerichte diese Gleichstellung durch den Gesetzgeber erzwungen.

Der Gesetzgeber folgt mit dem neuen Gesetz dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Die Straßburger Richter hatten am 3. Dezember 2009, die Karlsruher Richter am 3. August 2010 festgestellt, dass das deutsche Sorgerecht die Rechte des Vaters eines nichtehelichen Kindes verletzt, weil es seinen Zugang zur elterlichen Sorge gemeinsam mit der Mutter oder zur Alleinsorge von deren Willen abhängig machte.

Recht auf den Vater

Der Papa konnte nach dem alten Recht dem Gericht vortragen, was er wollte, er konnte sagen, was er wollte, er konnte tun, was er wollte: Selbst wenn er auf Händen zum Gericht lief und vor Sorge um sein Kind schier wahnsinnig wurde - er wurde abgewiesen, ein Sorgerecht bekam er ohne Zustimmung der Mutter nicht. Dahinter stand das Motiv: lieber kein väterliches Sorgerecht, lieber ein Müttermonopol als ein andauernder Streit ums Sorgerecht.

Den Streit gab es trotzdem, weil sich immer weniger Väter - jedes dritte Kind wird außerhalb der klassischen Ehe geboren - mit dem rechtlosen Zustand abfinden wollten. Und: weniger gute Väter gibt es in und außerhalb der Ehe. Das neue Recht übt nun einen gewissen Druck auf den Vater und die Mutter des nichtehelichen Kindes aus, sich zu einigen. Es geht davon aus, dass sich mit dem gemeinsamen Sorgerecht schon genügend Verantwortungsbewusstsein einstellt - und dass die Eltern zum Wohl des Kindes ihre Paarprobleme hintanstellen.

Das Gesetz versucht also, den Kindern nicht nur ein Recht auf die Mutter, sondern auch ein Recht auf den Vater zu geben - und ein Widerstreben der Mutter gesetzlich zu überwinden, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern zusammenleben oder nicht. Nun ist es zwar nicht gerade die Regel, dass die bisherigen Zahlväter sich danach drängen, sich intensiv um die Kinder zu kümmern; viele machen ja schon bei der Bezahlung des Unterhalts Sperenzchen.

Es gibt aber eine steigende Zahl von Vätern, die nicht nur pünktlich zahlen, sondern sich auch kümmern wollen - denen die Mutter des Kindes aber das bisher rigoros verwehren konnte. Das wird künftig so nicht mehr gehen. Die Mutter muss dann schon dem Vater das Kind verschweigen; der kann aber gegebenenfalls seine Vaterschaft feststellen lassen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Urteil vom August 2010 eine Übergangsregelung getroffen; schon seitdem konnten die Familiengerichte auf Antrag eines Elternteils den Eltern die Sorge für ihr Kind gemeinsam übertragen - wenn das dem Kindeswohl entsprach.

Es gab da grundsätzlich zwei Möglichkeiten für eine solche Regelung. Möglichkeit eins: Die Mutter erhält zunächst das alleinige Sorgerecht; das gemeinsame Sorgerecht muss dann vom Vater ausdrücklich beantragt werden. Möglichkeit zwei: Das gemeinsame Sorgerecht gilt automatisch ab Anerkenntnis der Vaterschaft; die Mutter kann dann dagegen Widerspruch einlegen. Das neue Gesetz hat sich für eine seltsame Mischung entschieden.

Der Reihe nach. Weg eins sähe wie folgt aus: Man weist wegen der verhältnismäßig großen Vielfalt von Beziehungskonstellationen bei nicht Verheirateten zunächst der Mutter die alleinige elterliche Sorge zu, eröffnet aber dem Vater, der seine Vaterschaft anerkannt hat, die Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung, wenn die Mutter das gemeinsame Sorgerecht verweigert. Das Gericht hat dann im Einzelfall zu entscheiden, ob eine gemeinsame Sorge dem Wohl des Kindes entspricht oder es ihm besser bekommt, wenn nur einem Elternteil die Sorge verbleibt oder zugewiesen wird. Dies entspräche der Übergangsregelung des Verfassungsgerichts - das damit jedoch, wie von ihm betont, keine Präferenz für diese Variante zum Ausdruck bringen wollte.

Sorgerecht im Schnellverfahren

Weg zwei wäre der eigentlich konsequentere: Auch hier wird zunächst der Mutter die Sorge für das Kind gesetzlich zugeschrieben. Mit der Anerkennung der Vaterschaft geht aber die Sorge auf Vater und Mutter gemeinsam über; die gemeinsame Sorge der Eltern wird also bei dieser Lösung bei den unverheirateten genauso wie bei verheirateten Eltern zur Regel. Nicht für die Begründung, sondern für die Auflösung der gemeinsamen Sorge wird bei diesem Vorschlag der Gerichtsweg eröffnet - wenn also ein Elternteil die gemeinsame Sorge nicht akzeptiert oder wenn sie nicht funktioniert und das Kind unter dem ewigen Streit darüber leidet.

Dann wäre seitens des Gerichts aufzuklären, abzuwägen und zu entscheiden, ob es bei der gemeinsamen Sorge bleiben kann oder das Kindeswohl die Zuweisung einer Alleinsorge an einen Elternteil fordert. Dieser Variante hat zum Beispiel der Deutsche Anwaltsverein den Vorzug gegeben.

Die Bundesregierung hat sich in dem Gesetzentwurf, der nun verabschiedet wird, für einen seltsamen Kompromiss zwischen den beiden Modellen entschieden - er gibt der Mutter das alleinige Sorgerecht, er weitet es auch nicht bei Vaterschaftsanerkennung zu einem gemeinsamen Sorgerecht aus; das Gesetz kommt aber dann mit Hilfe des Verfahrensrechts zu einer schnellen gemeinsamen Sorge: Der Vater kann im gerichtlichen Schnelldurchlauf ein gemeinsames Sorgerecht erzwingen.

Er stellt beim Amtsgericht/Familiengericht den Antrag auf gemeinsame Sorge; wenn die Mutter diesem nicht binnen einer vom Richter kurz gesetzten Frist widerspricht, sie also keine Gründe gegen ein gemeinsames Sorgerecht vorträgt und dem Gericht auch keine solchen Gründe ersichtlich sind - dann soll künftig eine gesetzliche Vermutung Platz greifen, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Das hat zur Folge, dass das Familiengericht dann in einem schriftlichen Verfahren ohne Anhörung des Jugendamtes und ohne persönliche Anhörung der Eltern zu entscheiden hat. Nur bei einem prompten Widerspruch der Mutter wird ordentlich verhandelt, nur dann werden die Beteiligten befragt, nur dann wird vom Gericht das Kindeswohl abgewogen. Wenn sich die Mutter zu spät gegen das gemeinsame Sorgerecht wendet, weil sie nach der Geburt erst mal ganz andere Probleme hat - dann muss sie das gemeinsame Sorgerecht zunächst akzeptieren und dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht einlegen.

Das ist ein Procedere, das fast alle Sachverständigen kritisiert haben: Soll das Familiengericht wirklich ein gemeinsames Sorgerecht ohne genaue Kenntnis darüber anordnen, welche Lebenssituationen sich hinter dem Fall verbergen? Ohne zu wissen, was Eltern im Einzelfall abhält, ihre Gründe zu offenbaren? Ohne zu wissen, wie Vater und Mutter zueinander stehen? Ohne zu wissen, wie es um das Wohl ihres Kindes bestellt ist und wie eine gemeinsame Sorge funktionieren könnte?

Ein historisches Gesetz

Wenn der Gesetzgeber das wirklich generell so will, dann hätte er auch gleich die gemeinsame Sorge beherzt an das Anerkenntnis der Vaterschaft anknüpfen können - um dann eine umfassende gerichtliche Prüfung im Einzelfall zuzulassen, ob diese gesetzliche Vermutung dem Kindeswohl wirklich entspricht.

Das neue Gesetz befasst das Familiengericht mit der Entscheidung zum Sorgerecht - ohne es wirklich damit zu befassen. Der Bundesrat hatte daher in seiner Stellungnahme gefordert, die Passagen mit dem "kurzen Prozess" aus dem Gesetz zu streichen. Zu Recht: Denn das Interesse an zügigen Entscheidungen rechtfertigt nicht die Verweigerung hinreichenden Rechtsschutzes.

Das alles bedeutet: Das neue Gesetz ist ein historisches Gesetz, hat aber bedenkliche, womöglich verfassungswidrige Fehler: Es gibt zwar den Vätern ihre verfassungsgemäßen Rechte, es gewährleistet aber nicht die im Einzelfall notwendige sorgfältige gerichtliche Prüfung, ob das gemeinsame Sorgerecht auch wirklich dem Kindeswohl entspricht. Das ist ein Makel, das ist ein Schatten, der schwer auf das neue Gesetz fällt. Das neue Sorgerecht ist sicher gut gemeint; aber es ist noch nicht so gut, wie es sein könnte und auch sein müsste.

© SZ vom 31.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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