Neues Gesetz:Endlich Ehe für alle

Neues Gesetz: Conrad Breyer (links) und Stanislav Mishchenko

Conrad Breyer (links) und Stanislav Mishchenko

(Foto: Lena Herrmann)

Jahrzehnte haben Schwule und Lesben dafür gekämpft, von diesem Sonntag an gilt nun die Ehe für alle. Vier Paare erzählen, warum sie gleich heute oder in den kommenden Tagen aufs Standesamt gehen.

Von SZ-Autoren

An diesem Sonntag geschieht historisches: Die Ehe für alle wird Gesetz. Ab heute müssen sich Schwule und Lesben nicht mehr mit der 2001 eingeführten Verpartnerung begnügen. Sie kriegen das Original, die echte Ehe. In den Augen der allermeisten Menschen hierzulande eine längt überfällige Entwicklung. Tatsächlich werden nur wenige Paare heute heiraten. Es ist Sonntag und die meisten Standesämter haben geschlossen. Nur vereinzelt machen Städte wie etwa Hamburg, Hannover und Berlin eine Ausnahme. Etwa 43 000 Lebenspartnerschaften gibt es in Deutschland. Wer will, kann diese nun in eine Ehe umwandeln lassen. Wer noch nicht verpartnert ist, kann nur noch heiraten. Die Verpartnerung wird damit nach 16 Jahren wohl bald Geschichte sein. Was das bedeutet? Erfährt man am besten, wenn man die Menschen fragt, die von dem neuen Gesetz betroffen sind.

Schockverliebt: Conrad Breyer und Stanislav Mishchenko

1995 hat sich Conrad Breyer zum ersten Mal für die Ehe für alle stark gemacht, die damals noch Homo-Ehe hieß. In Passau war das, er war Student, sammelte Unterschriften, weil er sich für etwas stark machen wollte, das er wichtig fand - an dessen tatsächliches Eintreten er aber nicht so recht glaubte. Mehr als zwanzig Jahre sind seitdem vergangen. Und jetzt, im Oktober, wird er tatsächlich "den Stas" heiraten, so nennt er den Mann, in den er sich 2012 verliebt hat. Breyer schaut konzentriert, wenn er erzählt, fährt sich durch das dunkle Haar, den breiten silbernen Ehering am rechten Ringfinger, und grinst dann: "Schockverliebt, auf den ersten Blick, um genau zu sein."

Dass jetzt alles so schnell gehen würde mit der Ehe für alle, damit hatten beide nicht gerechnet. Der 44-Jährige Journalist aus München, der schon früh offen mit seiner Homosexualität umging, 20 Jahre mit einem anderen Mann zusammen war und neben seinem Job beim Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum München als Pressereferent tätig ist. Und Stanislav Mishchenko, 34, Fotograf, Designer und Komponist aus der Ukraine, der in seiner Heimat schon mal für drei Jahre eine Ehe geführt hat. Mit einer Frau, um sein Schwulsein "wegzuheiraten". Der dann aber erkannte, dass er so nicht würde leben können, und sich in der LGBTI-Bewegung in Kiew engagierte. 2013 hatte er sein Coming Out im Fernsehen, als er zur ersten Gay Pride-Veranstaltung in der Stadt interviewt wurde. Die Mutter sah den Bericht. Sie habe geweint, erzählt das Paar. Nicht aus Enttäuschung, sondern weil sie sich um den Jungen sorgte, der es in der Heimat nicht leicht haben würde mit seiner sexuellen Orientierung. Der Junge, Mishchenko, ist ein bisschen größer als Breyer, scherzt gerne über den Altersunterschied, der ihm nicht von Anfang an klar gewesen sei. In der Ukraine sähen die Leute älter aus, weil alle zu viel rauchen.

Seit Januar sind sie nun verpartnert. Die Entscheidung kam ein bisschen aus der Not heraus, weil Mishchenko für sich keine Zukunft in der Heimat mehr sah, sie wollten zusammenleben, aber für ein Leben in Deutschland fehlte dem Ukrainer die Aufenthaltserlaubnis. Aber natürlich sei die Verpartnerung auch schön gewesen. Es habe sich dadurch ein ganz anderes Gefühl eingestellt, man übernehme Verantwortung füreinander, fühle sich näher als zuvor, nicht nur räumlich. "Mein Mann, mein Freund, also mein Mann", sagt Breyer, wenn er über "den Stas" spricht. Ist eben noch neu, alles.

Weil die Feier im Januar recht klein ausfiel - ein Stehempfang mit Wodka und ukrainischen Häppchen - planten sie für 14. Oktober ein "richtiges Fest". Erst geht es in die Kirche, das ist Breyer wichtig. Mishchenko nicht so sehr, aber er hat mit den Schultern gezuckt und zugestimmt. Dann Kaffee und Kuchen im Gemeindesaal, abends bayerisches Buffet. 100 Leute sind eingeladen. Und seit klar ist, dass die Ehe für alle Gesetz wird, haben sie noch einen Termin. Am 13. Oktober, einen Tag vor der großen Sause, gehen sie zu zweit zur Standesbeamtin ihres Vertrauens und lassen ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln. "Wir wollen damit ein Zeichen setzen", sagt Breyer und nickt ernst. Diese Ehe sei ein symbolischer Akt, ein politischer Akt. Und ja, romantisch sei sie natürlich auch.

Felicitas Kock

"100 Prozent Gleichstellung": Dorle und Claudia Göttler

Und dann kam der Punkt, an dem Dorle und Claudia Göttler an sich selbst denken mussten. Die beiden Frauen aus Hannover-Hemmingen hatten so viele Interviews geführt und Presseanfragen erfüllt, immer wieder geduldig erklärt, wie es dazu kam, dass sie am 1. Oktober als erstes lesbisches Paar überhaupt die gleichgestellte Ehe eingehen - und darüber hinaus vernachlässigt, die eigene Hochzeit zu planen. Das Aufgebot, die standesamtliche Trauung, die Feier danach, all dies musste vorbereitet werden. Und auch für sich selbst brauchten Dorle und Claudia Göttler noch etwas Zeit, um inne zu halten und den Moment zu genießen.

Zum dritten Mal werden sich die beiden Frauen an diesem Sonntag das Ja-Wort geben - doch erstmals vollwertig und gleichgestellt, als in Deutschland rechtmäßige Eheleute. Schon 1998 wurde Göttler und Göttler, heute 53 und 51 Jahre alt, kirchlich gesegnet. Als die rot-grüne Bundesregierung die Gesetze 2001 lockerte, ließen sie ihre Lebenspartnerschaft als erstes lesbisches Paar offiziell eintragen, gemeinsam mit dem schwulen Ehepaar Reinhard Lüschow und Heinz-Friedrich Harre, das ebenfalls aus Hannover stammt.

Lesbisches Ehepaar

Claudia (links) und Dorle Göttler

(Foto: dpa)

Die Stadt bewies Pioniergeist, denn um im Rennen ganz vorne zu liegen, öffnete das Standesamt vor 16 Jahren extra früher. Und auch diesmal, nach der Öffnung zur Ehe für alle, gibt es eine Sondergenehmigung: Der 1. Oktober fällt auf einen Sonntag, also wird in Hannover ausnahmsweise am Feiertag getraut. "Mit der Ehe wird es einfach rund", sagt Dorle Göttler, und sie meint: die "richtige" Ehe, gleichgestellt mit all den heterosexuellen Ehepaaren in Deutschland.

Kennengelernt haben sich beide im Sinai in Ägypten, wo Dorle Urlaub machte, mit Übernachtung in der Wüste und einer besonderen Reiseleiterin: Claudia. Beide waren zuvor mit Männern zusammen, doch es funkte. Dorle zog aus Soest zu ihrer Freundin nach Hannover, wo sie heute als Kinderkrankenschwester arbeitet, Claudia ist Stadtbezirksmanagerin. Viel ändern wird sich für beide als Eheleute nicht, sie werden kein Kind adoptieren, obwohl das für sie nun viel einfacher wäre, dafür fühlen sie sich zu alt. Trotzdem ist ihre dritte Hochzeit mehr als bloß ein symbolischer Schritt. "Wir wollen 100 Prozent Gleichstellung, nicht 95 Prozent", sagt Claudia Göttler. An einen Gedanken müssen sich beide noch gewöhnen: Es wird wohl ihre letzte Hochzeit werden.

Carsten Scheele

Ehe nach 45 Jahren: Werner und Wolfgang Duysen

Werner will sein Alter nicht sagen, und Wolfgang, 63, lacht. Es ist ein liebvolles Lachen, es sagt: So isser. Und in der Tat ist es ganz egal, wie alt Werner Duysen genau ist. Wichtiger ist eine andere Zahl. Wolfgang und Werner Duysen, die sich an diesem Sonntag im Hamburger Rathaus das Ja-Wort geben, sind seit 45 Jahren ein Paar. Diese Zahl erzählt viel über ihre Geschichte, sie erzählt, dass ihre Liebe am Anfang gesellschaftlich geächtet war. Denn 1972, als sie sich in einem Club für homosexuelle Männer kennenlernten, galt noch der Paragraf 175. Liebe unter Männern war strafbar, und Werner erinnert sich, wie er bei der Hamburger Versicherungsfirma, bei der er in leitender Funktion arbeitete, anfangs aufpassen musste, damit nichts über seine Beziehung bekannt wurde. "Wir hatten Prokuristen, die kalt gestellt wurden, weil sie schwul waren", sagt er.

Werner und Wolfgang sind nicht nur Liebende. Sie sind auch Kämpfende. Die Heirat am Sonntag ist für sie das Ziel eines langen Weges, der eben damit begann, dass sie eigentlich gar kein Paar sein durften. Erst in den Neunzigern outete sich Werner Duysen bei seinem Arbeitgeber, weil er mit Wolfgang häufiger gesehen worden war und das Getuschel lauter wurde. Die Gesellschaft hatte sich da schon merklich entspannt, Werners Offenheit nahmen Vorgesetzte und Kollegen mit Respekt auf. 1994 wurde auch endlich der Paragraf 175 gestrichen. Und in Hamburg gab es ab 1999 für homosexuelle Paare die Möglichkeit, sich an Standesämtern symbolisch in ein Partnerschaftsbuch eintragen lassen. Werner und Wolfgang lebten damals schon in Pinneberg, im Bundesland Schleswig-Holstein. Geheiratet hatten sie trotzdem. Auf Maui, Hawaii. Dort ging das. Wolfgang, damals Krankenkassen-Angestellter, erzählt: "Wären wir ausgewandert, wären wir 1997 schon ein Ehepaar gewesen."

Ehe für alle

Werner (links) und Wolfgang Duysen

(Foto: privat)

Der bedeutendste Schritt für ihre Beziehung kam 2001, als die rot-grüne Regierung unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder die eingetragene Lebenspartnerschaft einführte. "Die Verpartnerung war der absolute Beginn für eine Partnerschaft, die auch rechtliche Folgen hatte", sagt Werner. Wolfgang ergänzt: "Vorher hatten wir ja nur Pflichten." Am 13. August 2001 verpartnerten sie sich - und standen bald vor Gericht. Das neue Bekenntnis der Bundesregierung zur Homosexualität war nämlich noch so unscharf, dass Paare viele Gleichstellungsrechte erst einklagen mussten. Die Duysens hatten 2010 mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht Erfolg und erwirkten ein Grundsatzurteil zur Hinterbliebenenversorgung.

Und nun also die volle Gleichstellung. "Das ist ein krönender Abschluss", sagt Werner. Auch wenn die Trauung für ihn und Wolfgang eher ein symbolischer Akt ist. "Uns bringt es keine Vorteile, weil wir nicht vorhaben, ein Kind zu adoptieren", sagt Wolfgang. Sie sind beide Rentner, zu alt für Nachwuchs. So viel kann auch Werner verraten.

Thomas Hahn

"Richtig" heiraten: Sabine Oevers-König und Dagmar Signon

Dass sie sich am nächsten Samstag das Ja-Wort geben werden, das steht schon seit dem Frühjahr fest. Nur gingen Sabine Oevers-König und Dagmar Signon damals bei der Anmeldung noch davon aus, dass sie an jenem 7. Oktober eine eingetragene Lebenspartnerschaft schließen würden. "Doch dann kam plötzlich die Ehe für alle", erzählt Oevers-König. Amüsiert haben die beiden Kölnerinnen verfolgt, wie Bundeskanzlerin Merkel unverhofft ihre Einstellung zur Homo-Ehe änderte, wie der Bundestag in Windeseile die Ehe für alle beschloss - und wann die neuen Regeln in Kraft treten werden. Jetzt steht fest: Oevers-König und Signon werden am Samstag "richtig" heiraten.

Vor sieben Jahren wurde aus der Freundschaft der Kölnerinnen Liebe. Beide waren vorher mit einem Mann verheiratet. Die Hebamme Oevers-König, 42, brachte ihre beiden Kinder, heute zwölf und 16 Jahre alt, in die neue Familie mit. Die zwei Kinder von Dagmar Signon, 55, sind längst aus dem Haus. Die beiden musikalischen Mütter finden es überfällig, dass sie in einem so fortschrittlichen Land wie Deutschland nun keine "Ehe zweiter Klasse" mehr schließen müssen, dass endlich die gleichen Adoptionsrechte und Rentenansprüche für sie gelten.

Ehe für alle

Sabine Oevers-König (links) und Dagmar Signon

(Foto: privat)

Sie empfinden es als Glück, dass ihre Freunde und Familien im weltoffenen Köln ihr Coming-out unterstützten. "Für uns ist es hier sicherlich einfacher zu leben als in anderen Gebieten Deutschlands", sagt Oevers-König. Die Diskussion um die Ehe für alle förderte aber auch alte Vorurteile zutage, gegen die sie ankämpfen will. "Es ist eine Katastrophe, wie sehr homosexuelle Paare auf ihre Sexualität reduziert werden", kritisiert die 42-Jährige. "Heterosexuelle Partner werden ja auch nicht anhand ihrer Vorlieben im Bett betrachtet."

Mit großer Genugtuung erzählt Signon, die den offenen Ganztag einer Grundschule leitet, wie ein Freibad im Bayern-Urlaub ihrer neuen Patchwork-Familie einst den Familien-Rabatt verwehren wollte. Unter Familie habe man sich damals wohl Vater, Mutter und die eigenen Kinder vorgestellt. "Doch Familie ist da, wo man Verantwortung übernimmt für den Partner und die Kinder", sagt die 55-Jährige. In der Warteschlange vor dem Freibad teilten letztlich so viele Menschen diese Ansicht, dass Oevers-König und Signon mit Familien-Rabatt eintreten durften. Am Samstag nun beginnt im historischen Rathaus am Alter Markt in Köln ihre Ehe.

Benedikt Müller

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