Süddeutsche Zeitung

Neues Buch von Rike Drust:Die Wahrheit über einsame Mütter

Die Hamburger Autorin Rike Drust hat mit ihrem Buch zur Verstörung über das Muttersein ein Genre begründet. Nun kommt der Nachfolger: persönlich, politisch und hochkomisch.

Von Meredith Haaf

Babys machen einsam. Klingt vielleicht merkwürdig, möchte auch niemand wirklich hören. Aber eine der unangenehmeren Wahrheiten unserer Gesellschaft ist, dass fast überall da, wo ein sehr kleines Kind betreut wird, ein Erwachsener ist, der sich manchmal sehr alleine fühlt. Ein Erstgeborenes ist in ziemlich vielen Fällen der Katapult, der eine Frau aus dem handelsüblichen Erwachsenenleben - tagsüber Erwerbsarbeit, abends Freizeitaktivitäten mit anderen Erwachsenen, ein gewisses Maß an Selbstbestimmung - hinüber schießt in eine Parallelzone zwischen Stillkissen, Stadtpark und Drogeriemarkt. Sich hier einzuleben, fällt manchen leichter als anderen. Gute Gesellschaft wünschen sich dabei alle.

Manchmal hilft es da, ein Buch zu lesen, und zu den besten Eltern-Gesellschafts-Büchern zählen die von der Hamburger Autorin Rike Drust. "Muttergefühle. Gesamtausgabe" erschien 2011, gerade hat Drust den Nachfolger "Muttergefühle Zwei. Neues Kind, neues Glück" veröffentlicht. Der Titel mag nach Kleinfamilienbanalität klingen. Doch Drust verfügt über das seltene Talent, persönlich und zugleich politisch, warmherzig und zum Lachheulen komisch zu schreiben.

Vor sieben Jahren begann mit dem ersten Baby für sie die Phase der Neu-Mutter-Verstörung: "Ich habe mich immer als Feministin verstanden, ich habe Frauenforschung studiert, mein eigenes gutes Geld verdient und plötzlich lebte ich wie 1950", sagt Drust. Nach der Geburt ihres Sohnes blieb sie zu Hause geblieben, so war das mit ihrem Mann abgesprochen. Dass ihr Mann das Kind aber nur noch am Wochenende sah, dass ihr neues Leben mit Kind so gut wie gar nichts mit ihrem vorherigen Leben zu tun hatte, das hatte sie nicht erwartet. "Eines Abends bin ich mit dem Kinderwagen durch Hamburg spaziert und habe in ein Fenster geschaut. Und da saß noch eine Mutter, alleine mit ihrem Baby. Sie sah so unglücklich und einsam aus und genau so wie ich mich fühlte."

Drust ging nach Hause, begann zu schreiben: "Über meine Verstörung, mich so alleine zu fühlen, obwohl ich die ganze Zeit so eng wie nie zuvor mit einem Menschen zusammen war. Ich konnte diese Emotionen nicht einordnen. Ich dachte ich muss immer glücklich sein. Ich wusste nicht, darf ich jammern, dass ich müde bin? Darf ich sagen, dass mir das Geschrei an die Substanz geht?"

Aus ersten Blogeinträgen wurde mit Drusts besonderer Mischung aus Flapsigkeit, Wärme und genauen Beobachtungen ein Bestseller für das moderne Leben mit kleinen Kindern. "Muttergefühle" begründete ein Genre, das man als "Mutterschafts-Verarbeitungs-Literatur" bezeichnen könnte und das nun mit dem Geburtenboom der akademischen Mittelschicht in schöner Regelmäßigkeit neue Bücher babybekommender Schreiberinnen auf den Markt spült - mit Titeln wie "Wenn ich die Wahl zwischen Kind und Karriere habe, nehme ich das Sofa" oder "Unglaublich müde und irre glücklich". Im April erscheint "Still Leben", das Fazit der Autorin Antonia Baum nach ihrem ersten Jahr mit Kind.

Dass in all diesen Büchern jedes Jahr mehr oder weniger dasselbe steht - nämlich, dass es fürchterlich und wundervoll ist, ein Baby zu betreuen, dass die Welt einen nach Kindern mit anderen Augen ansieht, dass unser Land und die Arbeitgeber nicht gut umgehen mit Eltern - scheint die Käuferinnen und Käufer dieser Bücher nicht weiter zu stören. Vermutlich weil mit jedem neuen Baby eben auch eine neue Mutter mit alten Problemen entsteht.

Drusts Bücher allerdings gehören zu den lustigeren, weiseren und angenehmerweise am wenigsten rührseligen dieser Gattung. Der neue Band ist, wie sie sagt, der definitiv letzte zu dem Thema, sie ist derzeit damit auf Lesereise durch Deutschland. "Muttergefühle Zwei" beschreibt einen Prozess der vorläufigen Entspannung, Drust hat ihre Rolle gefunden, was sie zum Beispiel so beschreibt: "Bei meinem ersten Kind habe ich das Stillen schrecklich gefunden. Meine Brüste waren riesengroß, und der Große hat wie ein extrem früh Pubertierender sehr laut gebrüllt, sobald ich sie ausgepackt habe, um ihn zu füttern, und erst damit aufgehört, wenn auch der Letzte geguckt hat, wie ich da saß: mit starrem, leicht verzweifelten Gesicht und einem riesigen Mops, der wie ein Milchgigant aus stillfreundlicher Kleidung hing. (...) Bei der Kleinen war es anders. (...) Ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass alle auf meine Riesenbrüste gucken wie auf zwei gigantische Blobfische. Wenn doch, habe ich den Leuten so penetrant ins Gesicht gestarrt, dass sie sich nicht mehr getraut haben, wegzugucken (also aus dem Gesicht)."

"Jetzt lesen ohnehin bald alle, dass ich auf den Boden gepinkelt habe"

Liebevoll, hochkomisch und manchmal auch entnervt beschreibt Drust den langsamen Umbau ihres Familienlebens: Wie sie ihren Mann von der Notwendigkeit eines Ehevertrags überzeugt, um mehr Gleichberechtigung in der Beziehung zu schaffen. Wie viel sie streiten, bis sich die Arbeitsteilung endlich gerecht anfühlt. Wie sie sich als Mutter von den vermeintlichen Erwartungen anderer befreit: "Es wurde besser, als ich aufgehört habe, jeden Artikel, jeden Rat immer darauf abzuklopfen: Mache ich das so? Wenn ich das nicht so mache, ist das falsch? Was bedeutet das für meine Kinder? Für mich, meine Partnerschaft?", sagt sie. Stattdessen frage sie sich nur noch, was für sie und ihre Kinder gut sei: Der Wutanfall wird so lange ausgehalten, bis er vorbei ist. Sie arbeitet in Teilzeit, weil sie nicht glücklich ist, wenn sie ihre Kinder zu wenig sieht.

Diese Einstellung prägt Drusts Schreiben. Das Buch, sagt sie, sei kein Ratgeber: "Schließlich schreibe ich ja vor allem darüber, wie es war, wenn es nicht so gut lief. Ich würde es eher einen Mutgeber nennen." Bevor Teil Zwei erschien, begann sie ihren Bekannten von einem Kapitel zu erzählen, in dem es um unfreiwilliges Urinieren im Kreißsaal und andere Unwürdigkeiten einer Geburt geht. Nicht einmal mit ihrer besten Freundin hatte sie zuvor solche Themen besprochen. Also übte sie, darüber zu reden: "Ich wusste, jetzt lesen ohnehin bald alle, dass ich auf den Boden gepinkelt habe, dafür wollte ich mich schon einmal stärken", erzählt Drust.

Statt der Irritation, vor der sie sich gefürchtet hatte, erntete sie vor allem Erleichterung und Lachen. Eine Freundin nach der anderen berichtete von den eigenen Geburtspannen: "Das war so, als hätte ich ihnen eine Tür geöffnet, durch die sie schon lange gehen wollten." Um Frauen aus ihrer Mutterschaftseinsamkeit zu befreien, kann man gar nicht genügend Türen öffnen.

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