Süddeutsche Zeitung

Neue Wohnformen:Wer will schon wohnen wie alle

Lesezeit: 8 Min.

Von Wochenend-WGs auf dem Land und Minihäusern auf Rädern bis hin zu Zelten auf dem Autodach: SZ-Leser erzählen in der "Werkstatt Demokratie" von ihren ungewöhnlichen Wohnprojekten.

Von Hannah Beitzer

Die Mieten und Immobilienpreise in vielen Städten steigen, Wohnraum wird knapp, in anderen Landstrichen verfallen die Häuser: Händeringend sucht die Politik nach Lösungen für die Wohnmisere. Einige unserer Leser haben für sich schon jetzt individuelle Lösungen gefunden und ihre Wohnträume verwirklicht - von Tiny Houses bis hin zu neuen Genossenschaftsmodellen.

Wo die Kreativen wohnen: das Zentralwerk in Dresden

Am Anfang der Geschichte des Zentralwerks in Dresden stand eine Vertreibung. Bis 2012 arbeitete eine Gruppe Künstler im Kulturverein friedrichstadtZentral in einer alten Buchbinderei in der Dresdner Friedrichstadt. Doch dann wurde das Gelände verkauft, die Künstler mussten raus. Und machten sich auf die Suche nach einem neuen Schaffensort. Sie fanden die ehemalige Druckerei "Völkerfreundschaft" in Dresden-Pieschen, die sie dank finanzieller Unterstützung der Stiftung TRIAS erwerben konnten. Der Stiftung gehört seitdem das Gelände, sie hat es per Erbbaurecht für 99 Jahre an die extra gegründete "Zentralwerk Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden eG" verpachtet.

Die Genossen kümmern sich um die Instandsetzung der maroden Gebäude. Aktuell steht die Renovierung eines alten Ballsaals an. Neben Ateliers, Theaterbühnen und anderen Kulturstätten gibt es auf dem Gelände inzwischen auch 22 Wohneinheiten, in denen etwa 40 Genossenschaftsmitglieder leben. Ein Traum: raus aus der Immobilienblase, rein in ein kulturell ansprechendes Wohnumfeld. Dazu kümmert sich der Verein Zentralwerk e.V. um das kulturelle Leben auf dem Areal.

Also Ende gut, alles gut? Für das Zentralwerk schon, sagt Sprecher André Hennig. "Aber allgemein wird es natürlich immer schwerer, überhaupt solche Flächen wie unser Areal zu finden." Immer wieder würden in Dresden Künstler aus ihren Domizilen vertrieben. "Uns ist es mit viel Engagement, aber auch mit viel Glück gelungen, uns dem Markt zu entziehen", sagt er. "Wir haben auch viel Unterstützung aus der lokalen Politik bekommen." Doch Glück haben nicht alle - und die Möglichkeiten der Politik sind begrenzt. "Viele Flächen gehören inzwischen privaten Investoren", sagt Hennig. In der alten Buchbinderei übrigens, in der die Geschichte des "Zentralwerks" ihren Anfang nahm, sind jetzt teure Loftwohnungen.

"Tiny DaHome" für Zwei plus Hund

Mein Haus, mein Garten, mein Auto: Dieser Dreiklang des Erwachsenwerdens ist für viele junge Menschen heute nur noch eine Erzählung aus längst vergangener Zeit. Zum Beispiel für Felicia Rief und Jonas Bischofberger. Sie ist Studentin, lebt in München, er arbeitet in Basel als Grundschullehrer, Skilehrer und Fotograf. Basel und München, beides nicht gerade die günstigsten Städte der Welt. "Trotzdem wollten wir einen gemeinsamen Ort haben, ein gemeinsames Projekt", sagt Rief. Wo aber sollte dieser Ort sein? Und wie sollten sie ihn sich leisten?

Dann hatten sie die Idee: ein Tiny House auf Rädern, das sie und ihren Hund Nera auf ihren Reisen begleitet - und das sie bei jedem Umzug einfach mitnehmen könnten. Nach und nach soll das ihr gemeinsames Zuhause werden und die teuren Stadtwohnungen ablösen. Als ersten Schritt verkauften sie eine Menge ihrer Sachen, die sie in ihrem winzigen Zuhause nicht mehr unterbringen können, auf dem Flohmarkt. Seit dem Frühjahr dokumentieren sie auf ihrem Blog die Entstehung ihres "Tiny DaHome", das sie auf der Wiese von Verwandten in der Nähe von Garmisch mit ihren eigenen Händen bauen. Es ist gerade einmal 2,55 Meter breit, 7,20 Meter lang und vier Meter hoch. Für Strom und Warmwasser sorgt eine Solaranlage auf dem Dach, auch mit der Trockentoilette und dem Wasserfilter wollen die beiden ihren ökologischen Fußabdruck minimieren.

Einen Haken hat die Sache allerdings: Rechtlich ist es bisher schwierig, voll und ganz in so ein Tiny House zu ziehen und es nicht nur als Wochenendhäuschen zu nutzen. In Deutschland darf schließlich nicht jeder einfach irgendwo sein Häuschen hinrollen, wo er will. Um die Tiny Houses entwickelt sich gerade allerdings eine richtige Bewegung. Erst kürzlich fand in Berlin ein "Tiny House Festival" statt. Felicia Rief findet das logisch. "Bei den Wohnungspreisen heutzutage muss man sich überlegen: Will ich arbeiten bis zum Umfallen, um mir eine Wohnung leisten zu können? Oder komme ich auch mit weniger klar?" Sie ist aber zuversichtlich, dass das Tiny DaHome irgendwann ihr Erstwohnsitz werden kann. Denn immerhin habe die Politik erkannt, dass es mit dem Wohnungsmarkt nicht so weitergehen kann wie bisher.

Mit dem Zelt auf dem Autodach

Das "Tiny Da Home" wirkt geradezu riesig im Vergleich zur Wohnung von Thilo Vogel. Die besteht nämlich nur aus seinem Auto und einem Zelt auf dem Dach. Das war nicht immer so. Als Student hat er in einer WG gelebt, dann in einer eigenen Wohnung in Aachen. Auch ein Fotoatelier hatte er dort. Aber glücklich war er nicht. "Ich hatte viel Arbeit, ich war müde", sagt er. "Irgendwann dachte ich: Es wäre nett, wenn ich meine Reiseleidenschaft mit meinem Beruf verbinden könnte." Und so hat er im Sommer 2016 alles verkauft, was nicht in sein Auto geht, seinen Wohnsitz aufgegeben und sich auf den Weg gemacht. Seitdem arbeitet er als Freiberufler vom Auto aus, kocht mit dem Campingkocher und duscht auf Raststätten, Campingplätzen, in Schwimmbädern, bei Freunden oder springt einfach in einen Badesee.

Für ihn geht es dabei durchaus um philosophische Fragen: "Was brauche ich wirklich - und was ist nur dafür da, irgendein Gefühl zu befriedigen?" Auch den Raum um einen herum müsse man anders begreifen lernen. Ihn fragten oft Leute: Wie kommst Du mit so wenig Platz zurecht? "Aber: Mein Vorgarten ist riesig. Es ist nämlich die Natur. Auch wenn mir der Raum nicht allein gehört." Er hat auf Facebook eine Community gegründet, die "Dachzeltnomaden". Die Gruppe hat inzwischen 10 000 Mitglieder, im Sommer hat er ein großes Festival organisiert. So intensiv wie er betreiben das Dachnomadentum allerdings die wenigsten, viele sind nur für ein paar Monate unterwegs und leben dann wieder in einer Wohnung.

Vogel fühlt sich trotzdem nicht einsam. Es sei unheimlich einfach, mit Leuten in Kontakt zu kommen. "Wenn ich auf einem Waldparkplatz übernachte, kommen morgens schon die ersten Spaziergänger mit ihren Hunden und stellen neugierige Fragen." Auch Probleme mit der Polizei hat er selten. "Man muss sich eben höflich verhalten, die Regeln beachten, im Zweifelsfall fragen: Darf ich hier stehen?", sagt er. Von seinen alten Sachen vermisst er nichts. Dennoch gibt es einen Gegenstand, auf den er nie verzichten könnte: "Mein Smartphone." Es ist sein Internetanschluss, sein Arbeitsgerät, sein Kontakt zur Außenwelt. Da ist Thilo Vogel ganz Kind seiner Zeit.

Vom Loft ins Holzhaus

200 Quadratmeter Wohnfläche, vier Meter hohe Decken: "Eigentlich völliger Unsinn." Das dachte sich Stefan Dunkel häufiger, als er noch in seinem Loft in Fürth lebte. "Ich habe das nie wirklich warm bekommen, die Heizkosten waren enorm." Seit zehn Jahren lebt er nun in einem kleinen Holzhaus auf dem Land, unweit von Nürnberg. Sein Haus hat 45 Quadratmeter, drei Zimmer, ein Bad mit Dusche, zwei Terrassen und einen Garten. All seine Besitztümer gehen da nicht hinein. Die Waschmaschine zum Beispiel steht zehn Kilometer entfernt in seinem Elternhaus, in dem sein Vater immer noch lebt. Dort hat er auch seinen Wohnsitz angemeldet, denn sein Holzhaus gilt rechtlich nur als Wochenendhaus oder Ferienhaus.

"Ich hatte schon immer den Traum, in einem skandinavischen Holzhaus zu leben", sagt er. Als eine Bekannte, die ein solches Haus hatte, nach Australien auswanderte, war die Gelegenheit da. "Es war ein Punkt in meinem Leben, an dem ich über vieles noch einmal nachgedacht habe", sagt er. Dunkel ist seit 30 Jahren an Multipler Sklerose erkrankt, er saß zwischenzeitlich im Rollstuhl. "Ich musste mich einfach erden", sagt er. Also: raus aus der Stadt, rein in die Natur. Inzwischen kann er wieder Fahrrad fahren, der Rollstuhl ist Vergangenheit. Und dem Loft trauert er auch nicht hinterher.

Wochenend-WG für gestresste Städter

Eine WG? Nie wieder. Da war sich Sabine Nimz eigentlich sicher. Die 43-jährige Goldschmiedin kommt aus München, lebt aber in Innsbruck. Alleine in einer Wohnung, aus Überzeugung. Dort ist sie aber immer seltener. Denn seit einem Jahr hat sie mit fünf Freunden eine Wochenend-WG auf einem Bauernhof in der Nähe von Kufstein. Die WG-Bewohner sind zwischen Anfang 40 und Anfang 50, außer Nimz wohnen alle in München. "Wir schätzen das Stadtleben, empfinden es aber auch als stressig", sagt sie. Ihre Freunde beschlossen daher vor fünf Jahren, sich ein Wochenend-Domizil auf dem Land zu suchen. Das Bauernhaus hat eine große Gemeinschaftsküche, ein Wohnzimmer, drei Gästezimmer und fünf Zimmer für die ursprüngliche Besetzung: ein schwules Ehepaar, ein Hetero-Paar und ein schwuler Mann, alle ohne Kinder.

Und Nimz, die ja eigentlich immer unabhängig sein wollte? "Ich war sehr oft dort zu Besuch, dann habe ich mir überlegt, mir eine eigene kleine Wohnung in der Gegend zu suchen." Ihre Freunde kamen auf die Idee: Warum nicht die kleine Einliegerwohnung im Bauernhaus renovieren? Dort lebt Nimz jetzt so viele Tage wie möglich, hat auch ihre Werkstatt auf den Hof verlegt. "Faktisch haben wir alle wahrscheinlich weniger Platz als in unseren Stadtwohnungen", sagt sie. "Aber ich merke mit zunehmendem Alter, wie ich Ballast loswerden will." Der ganze Kram, den sie über die Jahre angesammelt habe, belaste sie nur. Und in letzter Zeit, da hat sie oft einen Gedanken, der ihr vor ein paar Jahren absurd erschienen wäre: "Vielleicht wird das unsere Alters-WG."

Ko-Dorf statt Kuhdorf: Wenn die digitale Bohème ein Dorf gründet

Noch weiter treibt dieses Prinzip der Journalist Frederik Fischer aus Berlin. Er möchte gleich ein ganzes Dorf gründen: das Ko-Dorf. Auch er findet, die Stadt mit den hohen Mieten, dem Lärm, dem Verkehr verursache zu viel Stress, sei menschenunfreundlich. Das muss nicht sein, findet er - vor allem, wenn man dank der Digitalisierung seinen Job überall machen kann. Das Ko-Dorf denkt er sich nicht unbedingt als festen Wohnsitz, sondern als Ergänzung zur Stadtwohnung, als Rückzugsort. Dafür will Fischer Land pachten, eine Genossenschaft gründen, Wohnhäuser bauen, aber eben auch Gemeinschaftsräume und -flächen, Coworking-Spaces und Cafés. Gerade ist er noch auf der Suche nach einer geeigneten Fläche. Er hat aber schon Vorbilder: zum Beispiel das Feriendorf "Meerleben" an der Ostsee. Mehr über sein Projekt lesen Sie in diesem Artikel.

Bauernhof in Deutschland, Lehmhaus in Bolivien

Schorsch Dreher-Pellhammer hingegen empfiehlt den Deutschen den Blick über die Landesgrenzen. Der 73-jährige Entwicklungshelfer hat schon in den 90er Jahren für seine Familie in Bolivien, wo er seit vielen Jahren arbeitet, ein Lehmhaus gebaut, 120 Quadratmeter mit Garten. Dort wuchsen seine Kinder und auch einige seiner Enkelkinder auf. Wenn die Familie doch mal in Deutschland war, wohnten sie auf dem Campingplatz. Inzwischen ist einer seiner Söhne mit den Enkeln und der Schwiegertochter in Deutschland in einen Bauernhof gezogen. Sein Sohn sei als Förster viel in der Welt unterwegs, aber seine Familie möchte sich in seinem Heimatland einleben. "Wenn wir beiden Alten in Deutschland sind, leben wir auch dort", sagt Dreher-Pellhammer.

Trotzdem, sein Zuhause, das ist die Lehmhütte. "Wenn man seine eigenen vier Wände mit den eigenen Händen gebaut hat, dann gibt es nichts besseres", sagt er. Diese Erfahrung würde er auch Menschen in Deutschland wünschen, die unter der Wohnungsnot in den Städten oder der Zersiedelung auf dem Land leiden. "Ich finde es wichtig, dass Menschen mit ihren Händen ihr eigenes Zuhause bauen können", sagt er. Doch leider machten es hierzulande enge Vorschriften und wenig kreative Wohnansätze schwer, diese Träume zu verwirklichen. "Bei mir sprudeln da die Ideen", sagt er. "Warum nicht auch hier Lehmhäuser bauen? Baumhäuser? Oder Stelzenhäuser?" Das wäre doch besser als immer neue Betonwüsten in den Vorstädten - während die Dörfer verfallen.

Selbstverwaltetes Studentenwohnheim: das Collegium Academicum in Heidelberg

Wer anders leben will, muss zuweilen einen langen Atem haben. Das beweist eine Gruppe junger Menschen aus Heidelberg, die seit 2013 an einem selbstverwalteten Wohnheim für Studierende, Auszubildende und Promovierende arbeitet. Entstehen soll das Collegium Academicum auf ehemaligem US-Militärgelände, wichtig ist der Gruppe der ökologische und selbstbestimmte Ansatz. Nicht nur die Planung soll basisdemokratisch ablaufen, sondern auch das spätere Leben. Neben günstigen Appartments für 176 Personen zu je 300 Euro Warmmiete plant die Gruppe auch eine Werkstatt, Seminarräume, Platz für kulturelle Veranstaltungen. Ende 2017 hat sie die Baugenehmigung erhalten, zur Zeit bereitet ein Architekt die Ausschreibung vor. Außerdem muss die Gruppe weitere Kredite anwerben. Mehr über das Projekt erfahren Sie in diesem Artikel.

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