Neue Wege in der Betreuung:Von schwedischen Kindergärten lernen

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In schwedischen Kindergärten ist alles ganz anders: Kinder halten sogar ihren Mittagsschlaf im Freien. Eltern können in den Einrichtungen Abendessen bekommen. (Kindergartenkinder in einem Stockholmer Park)

(Foto: AFP)

Kinderbetreuung ist leicht - zumindest in Schweden. Dort gibt es Kindergärten mit 24-Stunden-Service, bei denen sich Eltern gleich noch ihr Abendessen abholen können. Dafür müssen die Kleinen ihren Mittagsschlaf im Freien halten. Ein Modell, das staunen lässt.

Von Sabine Grüneberg

Sogar den Koch hat er mitgebracht. Mit ihm gemeinsam reicht Per Uppmann, Geschäftsführer von neun Kindergärten, den deutschen Gästen Häppchen mit Kichererbsen-Lachscreme und erklärt: "Einer unserer Konkurrenzvorteile ist gutes Essen. Unser Koch ist nicht nur für die Kinder da. Eltern können bei uns Frühstück bekommen oder Abendessen bestellen, das sie dann zu Hause aufwärmen." 35 deutsche Augenpaare staunen.

Über einen 24-Stunden-Kindergarten, der auch Betreuung am Abend und am Wochenende anbietet. In dem im Garderobenraum ein Flachbildschirm hängt, auf dem die Höhepunkte des Tages als Diashow laufen: Kinder, die basteln; Kinder, die spielen; Kinder, die schlafen. Man kann sich das auch als App aufs Handy laden. Dazu gibt es ein Elterncafé, monatliche Informationsabende, regelmäßige Entwicklungsgespräche und Förderstunden für Kinder, die das brauchen.

Die deutschen Gäste reiben sich die Augen und fragen: Wie finanzieren die das?

Sie sind auf Einladung der Deutsch-Schwedischen Handelskammer aus deutschen Ministerien, Landtagen, Jugendämtern, Kreis- und Städtetagen angereist und wollen nicht recht glauben, dass es so einfach sein soll, Kinderbetreuung bedarfsgerecht zu organisieren. Zumal eben gesagt worden ist, dass die Kindergartengebühr Eltern hier maximal 150 Euro monatlich kosten darf. Innerhalb von vier Monaten muss die Gemeinde einen Platz zur Verfügung stellen.

Die Gemeinde zahlt den Kindergärten Schulgeld

Die Deutschen schlagen sich seit vier Jahren mit dem Problem herum, von 1. August 2013 an einen Platz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr zur Verfügung stellen zu müssen. Deshalb sind sie hier: Um zu erfahren, wie das geht, wenn der Arbeitsmarkt beide Eltern fordert und die Gesellschaft Verantwortung übernehmen muss für die nächste Generation.

"Für jedes Kind bezahlt die Gemeinde an die Kindergärten Schulgeld", erklärt Per Uppmann, in seiner Gemeinde seien es etwa 1400 Euro für die unter Dreijährigen und 1100 Euro für die Älteren. Kinder mit Förderbedarf erhalten mehr.

Geraune in den Reihen der Gäste. Der Kollege aus dem brandenburgischen Bildungsministerium bestätigt die Zahlen auch für Deutschland. Der Kollege aus dem sächsischen Landtag setzt dagegen 1800 Euro pro Kind an. Die schleswig-holsteinische Fraktion schweigt. Ihr ist es bisher nicht gelungen, die genauen Kosten pro Kind zu ermitteln. Zu viel Widerstand bei den Kindergärten und Trägern, die, ähnlich wie in Hessen, lieber die Kosten pro Gruppe angeben wollen.

Profit aus der Betreuung schlagen

Uppmann fährt fort: "Extra Gebühren von den Eltern zu verlangen, ist gesetzlich verboten." Trotzdem kommt er auf eine Rendite von fünf bis sechs Prozent. Als privater Anbieter hat er einen gewissen Spielraum; er kann kosteneffizient einkaufen, muss sich nicht an Ausschreibungen halten wie die öffentlichen Kindergärten. Er hat weniger Verwaltungskosten und einen entscheidenden Vorteil: die Schnelligkeit. "Wir können innerhalb von sechs Monaten einen neuen Kindergarten eröffnen."

Schon wieder Geraune aus Schleswig-Holstein. Hier ist es Privatanbietern noch gar nicht möglich, Kindergärten zu betreiben. Die Frage, ob man Profit aus der Betreuung von kleinen Kindern schlagen darf, hat der Landtag in Kiel noch nicht geklärt.

Eine Frage der Qualität

Ulf Lindberg, Leiter Wirtschaftspolitik des Dienstleistungsverbandes Almega, schaltet sich ein. In Schweden seien 40 Prozent der Kindergärten in kommunaler Hand, 40 Prozent in gemeinnütziger Trägerschaft (in Deutschland vergleichbar mit AWO, Caritas, Rotes Kreuz) und 20 Prozent privat. "Ohne die Privaten könnten wir das Angebot nicht halten." Und damit ist er beim Kernpunkt dieser Reise. Die OECD hat ausgerechnet, dass der Kinderbetreuungsmarkt in den 27 Staaten der Europäischen Union derzeit 137 Milliarden Euro pro Jahr umsetzt, wobei 80 Prozent davon allein auf die fünf größten Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien fallen.

Das Potenzial aber, das im Markt der Kinderbetreuungsangebote steckt, berechnet die OECD auf 280 Milliarden Euro. "Das sind enorme Wachstumsmöglichkeiten", sagt Lindberg und bietet die Erfahrungen der Schweden bei der deutschen Betreuungsoffensive an. Für Deutschland rechnet er bei einem bedarfsgerechten Ausbau mit einem Potenzial von insgesamt 31 Milliarden Euro. Momentan liegt der Umsatz bei der Hälfte.

"Aber wie kontrollieren Sie die Qualität?", fragen die deutschen Gäste. Sie besichtigen gerade das Außengelände des Kindergartens, ein Platz ohne viel Bepflanzung und mit einem Spielgerät in der Mitte. Die Städtetag-Vertreterin aus Baden-Württemberg ist entsetzt. Umso mehr, als ihr erklärt wird, warum so viele Kinderwagen mit Daunensäcken auf der Veranda stehen: "Hier machen die Kinder ihren Mittagsschlaf", erklärt die Kindergartenleiterin, "das härtet ab."

Der Leiter des Referats für Kinderbetreuung in Hamburg fragt: "Auf wie viele Quadratmeter Fläche kommen Sie dann pro Kind?" Die Erzieherin ist irritiert. Der sächsische Landtagsabgeordnete kommentiert: "Ohne Schlafplätze bekämen Sie bei uns gar keine Betriebserlaubnis."

Die Nachfrage bestimmt das Angebot

Pragmatismus ist eine typisch schwedische Eigenschaft. Auch Linda Norberg spricht über Pragmatismus. Sie ist Kommunalpolitikerin in der Stadt Nacka vor den Toren Stockholms, das mehrere Preise für sein gutes Kinderbetreuungsangebot gewonnen hat. 60 Prozent des Kommunalhaushalts fließen in Bildung und Betreuung von Kindern. Viele junge Familien ziehen deshalb hierher. Nacka rechnet bald mit einer sechsstelligen Einwohnerzahl. Momentan sind es 93.000. Norstedt wundert sich, dass die Gäste so viel über Kontrollen wissen wollen. "Bei uns bestimmt die Nachfrage das Angebot. Wenn Eltern nicht zufrieden sind, wechseln sie den Kindergarten." Zweimal im Jahr gebe es Elternbefragungen. "Wir veranstalten alle paar Monate Erziehertreffen, dort entstehen viele Verbesserungen und neue Ideen."

Zum Beispiel der Kindergarten auf Rädern - ein umgebauter Bus mit Schlafmatratzen -, der Stadtkinder in den Wald fährt, an den Strand oder ins Museum. "Und Sie haben keine Probleme mit Parklizenzen? Aufenthaltsdauer und Anwohnerbeschwerden?", fragt ein Deutscher. Norstedt versteht nicht recht: "Die Leute freuen sich doch, wenn die Kinder kommen." Sie hat in den letzten beiden Jahren 2000 neue Kindergartenplätze geschaffen.

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