Naturschutz:Föhr will plastikfrei werden

Wind am Strand

Die Insel Föhr will mit gutem Beispiel vorangehen und plastikfrei werden, aber das ist gar nicht so einfach, denn der Kunststoff ist überall.

(Foto: dpa)

Kunststoffmüll verschmutzt die Meere. Tiere verwechseln ihn mit Nahrung und verhungern mit vollem Magen. Nun versucht eine deutsche Insel, ein Zeichen dagegen zu setzen.

Von Thomas Hahn, Föhr

Friedrich Riewerts weiß noch, wie er als Junge immer auf Zeichen aus der anderen Welt hoffte. Föhr, seine Heimatinsel, war für ihn damals wie ein einsamer Planet, der in den Weiten der Nordsee schwebte, weit weg vom großen Rest des Menschen-Universums. Und manchmal trugen die Wellen Gegenstände von dort an den Strand. Eine Flasche oder eine Dose, auf der etwas in einer fremden Sprache stand. "Da war man ganz stolz", sagt Riewerts.

Und heute?

Friedrich Riewerts ist Greenkeeper am Golfplatz von Wyk, außerdem Bürgermeister der Gemeinde Nieblum. Er freut sich nicht mehr, wenn die Wellen etwas aus der Welt hinter dem Horizont zur Insel tragen. Denn sie belassen es längst nicht mehr bei einzelnen Dosen. Vor allem bei Sturm bringen sie massenweise Flaschen, Tüten, Kunststofftaue und anderen bunten Unrat. "Man findet einfach immer mehr Plastik", sagt Friedrich Riewerts. Er würde das gerne ändern. Deshalb ist seine Gemeinde auch dabei bei dem Versuch auf Föhr, dem Rest der Welt einen bewussteren Umgang mit Kunststoffen vorzuleben.

Modellprojekt: Plastikfreie Insel

Inseln sind kleine Zentralen des Umweltbewusstseins. Die Menschen dort haben einen besonderen Bezug zur Natur, weil sie mittendrin leben in einer fast unverstellten Landschaft, umgeben von Wasser und Wind. Alles, was nicht natürlich ist, stört hier sofort die Harmonie des Ortes. Insofern ist es kein Wunder, dass das Modellprojekt "Plastikfrei wird Trend" in diesem Jahr auf Föhr begonnen hat, betrieben vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND).

Es soll dazu beitragen, dass weniger Plastik im Meer landet. Naturschützer, Fischer, Tourismus-Experten, Einzelhändler und Wissenschaftler verbinden sich dabei zu einem Ideen-Netzwerk, das an Alternativen zu Kunststoff-Produkten und Mehrweg-Lösungen arbeitet. Die erste Projektphase hat auf der Hallig Hooge begonnen. Und eben auf Föhr, der zweitgrößten deutschen Nordseeinsel.

Die Insel als Labor eines biologisch abbaubaren Fortschritts - heißt das, dass man auf Föhr schon ein Stück von einer besseren Welt sehen kann?

Ankunft auf Föhr. Linker Hand glitzert das Meer, die Strandpromenade liegt im sanften Licht des angebrochenen Tages. Und schon fällt der Blick auf die Terrasse einer Gaststätte mit Plastikstühlen und -tischen. Ein Kind kurvt heran, sein Roller hat ein Trittbrett aus Plastik. Und vor einem Laden steht ein Arsenal an Plastikbällen, Plastikmatratzen, Plastikschaufeln.

Plastik ist der umgangssprachliche Begriff für Kunststoffe. Und Kunststoffe sind ein Wunder des Industriezeitalters. Man stellt sie her, indem man einfach gebaute Kohlenstoffverbindungen, die man etwa aus Erdöl oder Erdgas gewinnt, mittels chemischer Reaktion zu großen, gleichförmigen Molekülen ausbaut. Der Mensch hat die Kunststoffe nach dem Zweiten Weltkrieg zusehends verfeinert. Sie sind ein Traum für fast jede Industrie: leicht, billig, beliebig verformbar, stabil. Weil sie Flüssigkeiten abweisen, eignen sie sich ideal als Verpackung und Hygiene-Hilfsmittel. Sie tragen sogar zum Umweltschutz bei. Windkraftanlagen zum Beispiel könnte man ohne Kunststoffe nicht bauen.

Meerestiere verwechseln Plastik mit Nahrung und verhungern

Eine Welt ganz ohne Plastik wäre keine bessere Welt. Trotzdem gibt es ein Problem. Kunststoffe fügen sich nicht in den natürlichen Kreislauf von Entstehung und Verwesung. Wenn man Plastik ins Meer wirft, zerfällt es nicht. Meeressäuger, Fische und Vögel verwechseln es mit Nahrung und verhungern mit vollem Magen.

Winzige Plastikteilchen schweben im Wasser, werden von Fischen aufgenommen und kommen so auch auf den Speiseplan der Menschen. Die sogenannten Dollyropes, Plastikfäden, die jedes Fischernetz als Scheuerschutz trägt, gehen im Meer beim Fischen verloren: Vögel wie der Basstölpel bekommen sie auf der Fischjagd in den Schnabel, bauen ihre Nester damit und verheddern sich teilweise tödlich darin.

Und Tante Renate kennt eine schreckliche Geschichte von den Störchen. Tante Renate heißt in Wirklichkeit Renate Sieck, unter ihrem Pseudonym hat sie einige Kinderbücher veröffentlicht. Sie ist ein Föhrer Unikum, 73 Jahre alt, energisch und herzlich. Früher war sie Kindergärtnerin, eine Grüne der ersten Stunde, sie hat einen Naturkindergarten sowie den Föhrer Sperrgut-Basar gegründet. Und sie hat geholfen, die Störche auf der Insel wieder anzusiedeln. Jedes Jahr machen Renate Sieck und die anderen Storchen-Helfer die Nester sauber und entdecken dabei Plastik. "Reste von Tüten sind da drin und bedecken den Boden", sagt Renate Sieck, "wenn es regnet, ist das wie eine Wanne, in der die Jungen ertrinken. Schlimm ist das."

Entwickler arbeiten bereits an Alternativen zum Plastik

Den Verschluss der Glasflasche, aus der Angela Ottmann, die Projektmanagerin von "Plastikfrei wird Trend", gerade getrunken hat, dichtet ein Gummi-Ring ab. Und als ob sie Gedanken lesen könnte, sagt sie: "Naturkautschuk. Es ist kein Plastik an dieser Flasche." Nicht alles, was wie Kunststoff aussieht, ist auch Kunststoff. Materialentwickler arbeiten an Alternativen, zum Beispiel an Dollyropes aus biologisch abbaubaren Fasern. Trotzdem: Diese Revolution, an der Ottmann und ihre BUND-Kollegen arbeiten, ist beschwerlich.

Laut BUND verbrauchen die Deutschen im Jahr 11,7 Millionen Tonnen Kunststoff, das ist Europarekord. Plastik ist zur Gewohnheit geworden, und mit Gewohnheiten bricht man nicht so leicht. "Die Mühlen mahlen langsam", sagt Angela Ottmann. Mit der Hilfe von Gemeinden und Sponsoren hat der BUND Strandmüllboxen aufgestellt, in die Spaziergänger angespülten Plastikmüll werfen können. Das ist immerhin ein kleiner Erfolg. Aber wie überzeugt man den Einzelhandel, auf Plastiktüten oder Coffee-to-go-Kultur zu verzichten?

Einmal im Monat gibt es einen plastikarmen Montag

Es gibt auf Föhr einmal im Monat den plastikarmen Montag, an dem der BUND vor einem Laden Lobbyarbeit betreibt. Einzelne Geschäfte haben Pfandsysteme für Stoffbeutel eingeführt oder Plastik- durch Papiertüten ersetzt. In der Strandbar Pitschis zeigt Inhaber Peter Schaper sein Einweggeschirr aus kompostierbarer Maisstärke. Und in der Wyker Fußgängerzone hat das Architekten-Ehepaar Friederike und Sven Grotheer mit Freunden den Hofladen "Speisekammer" eröffnet. Er bietet Lebensmittel aus Föhr und Nordfriesland, Stoffbeutel sowie Verpackungen aus Glas und Papier. Sogar die Strohhalme für die Mehrweg-Becher sind aus Pappe.

Aber selbst die "Speisekammer" mit ihrem Öko-Sortiment kommt nicht ganz ohne Plastik aus. Die Süßigkeiten aus der Föhrer Bonbon-Kocherei sind in Kunststofftütchen verpackt. "Papier zieht zu viel Flüssigkeit", erklärt Sven Grotheer. Und im normalen Föhrer Einkaufsalltag ist Plastik sehr gegenwärtig. Vor allem in den drei großen Wyker Supermärkten. Folien, eingeschweißtes Obst und Kunststoff-Behältnisse glänzen im Neonlicht. Plastikfrei ist hier nicht wirklich Trend.

Seit 1990 gab es auf Föhr jahrelang den sogenannten Dosenschwur. Auf der Insel konnte man damals keine Getränkedosen kaufen. Alle Händler machten mit. Medien berichteten, der Schwur schärfte Föhrs Image als grüne Insel. Das war gut für den Fremdenverkehr. Und so etwas Ähnliches erhoffen sich die Plastik-Bekämpfer jetzt auch. "So eine Kampagne bringt einen Mehrwert, nicht nur Kosten", sagt Angela Ottmann, "das zu vermitteln, ist immer noch ein bisschen unser Problem."

EU-Vorschriften behindern das Verzichten auf Plastik

Das liegt nicht nur daran, dass Unternehmen und Kunden zu bequem für einen plastikarmen Alltag wären. Es gibt auch gesetzliche Hindernisse. Die Hygiene-Bestimmungen der EU lassen es zum Beispiel gar nicht zu, mit der eigenen Box zum Fleischer zu gehen und sich unverpackte Filets hineinlegen zu lassen. Und selbst erfolgreiche Kampagnen besitzen nicht unendliche Strahlkraft. 2003 kam das Dosenpfand. Der Dosenschwur ist längst Geschichte.

"Dass wir die Welt nicht retten können von dieser kleinen Insel aus, ist mir klar", sagt der Bürgermeister Riewerts. Er sitzt an seinem Schreibtisch im Nieblumer Dörpshus, der so voll mit Plastik ist wie jeder andere Schreibtisch auch. Computer, Telefon, Kabelummantelungen - alles aus Kunststoff. Keiner kann sich mehr vorstellen, wie eine Welt ohne Plastik sein könnte. Wer wo was ins Meer kippt, können die Föhrer nicht beeinflussen. Und die Gleichgültigkeit mancher Menschen ist groß; Riewerts hat im Urlaub am Mittelmeer gesehen, wie Strandarbeiter den Plastikmüll einfach mit Traktoren im Sand unterpflügten, sodass er nicht mehr zu sehen war.

Kann schon sein, dass Plastikmüllboxen und Pappstrohhalme stumpfe Waffen sind gegen die Plastikmüll-Massen der Konsumgesellschaft. Trotzdem findet Friedrich Riewerts die Kampagne nicht vergeblich. Er glaubt an die Kraft der winzigen Schritte. "Man kann nur durch Aufmerksammachen auf das Verhalten der Leute einwirken." Sie sollen von Föhr lernen, dass die Wellen zu viel Plastik tragen.

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