Nachhaltiger Konsum:Geteiltes Essen ist halber Müll

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82 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Deutsche pro Jahr weg. (Foto: AFP/Süddeutsche.de)

Wenn ich übriggebliebenes Essen wegwerfe, dann immer mit schlechtem Gewissen. 82 Kilogramm Lebensmittel entsorgt jeder von uns pro Jahr. Die Online-Plattform Foodsharing will Abhilfe schaffen. Wie klappt das mit der Müllvermeidung? Ein Selbstversuch.

Von Lena Jakat

Ich packe meinen Korb und lege rein - ja, was bloß? Die Banane, die schon dunkelbraune Stellen hat? Die angebrochene Packung rote Linsen, die seit Ewigkeiten unbeachtet in meinem Küchenschrank liegt? Die Eingabemaske ist unerbittlich. "Anzahl?" fragt sie. "Stück? Kilogramm? Gramm? Liter?" Ich habe mich bei dem sozialen Netzwerk Foodsharing.de angemeldet - weil ich die Idee dahinter so simpel wie bestechend finde: Jeder Deutsche wirft im Jahr 82 Kilogramm Lebensmittel in den Müll. Eine Menge, die sich drastisch reduzieren ließe, wenn jeder die Produkte, die in seiner Küche ein ungeliebtes Dasein fristen, an andere weitergäbe.

Jedes Mal, wenn ich einen lange vergessenen Joghurt oder eine faulige Tomate ihrer nächsten Daseinsstufe in der Mülltonne zuführe, ärgere ich mich über mich selbst, denke an meine Erziehung und an Deponien voller weggeworfener Lebensmittel. Also gleich angemeldet bei der Plattform zum Lebensmittelteilen. Initiiert hat Foodsharing.de das Team hinter dem Dokumentarfilm "Taste the Waste". Die Aktivisten aus Köln bieten auf der Partnerseite lebensmittelretter.de außerdem praktische Tipps und Hintergründe an. Schnell noch Profilbild und -informationen hochgeladen, fertig. Mein ökologisches Gewissen jubiliert.

Aber was soll ich nun in meinen virtuellen Essenskorb legen, den ich dem Rest der Welt anbiete? Diese Banane will ich keinem Fremden mehr zumuten. Und das angebrochene Glas Pesto eigentlich auch nicht. Außerdem sind täglich in München etwa zehn Essenskörbe bei Foodsharing online, verteilt über das ganze Stadtgebiet. Wer sollte wegen meiner braunen Banane durch die halbe Stadt fahren? Im Sinne der Ökologie wäre das auch nicht. Am Ende landen Dinge in meinem Korb, die ich vermutlich gar nicht so bald weggeworfen hätte: Eine Packung Mousse au Chocolat in Pulverform, ein Multivitaminsaft, ein Packung getrocknete Datteln, Back-Oblaten, die ich im Advent zu viel gekauft hatte. Eine gefühlte Ewigkeit dauert es, bis alle Eingabefelder ausgefüllt und mein Essenskorb in voller virtueller Schönheit auf der Website erscheint. Am nächsten Morgen blinkt schon die erste Anfrage in meinem Postfach. Monika, ich und der Korb verabreden uns für den Abend.

36 Kilogramm Obst- und Gemüseabfall pro Jahr

Vor allem Obst und Gemüse werfen wir Deutschen weg - 36 Kilogramm im Jahr. Auf Platz zwei folgen Back- und Teigwaren mit 16,2 Kilogramm, dahinter knapp zehn Kilogramm Speisereste. Das hat eine Studie der Universität Stuttgart im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums ergeben. Sind die Essenskörbe, die andere bei Foodsharing anbieten, also voller Tomaten, Salat und Mandarinen? Obst und Gemüse sind schließlich leicht verderblich und am schwierigsten zu lagern. Weil zum Beispiel Äpfel oder Aprikosen viel vom Reifegas Ethylen absondern, lassen sie andere Früchte in ihrer Umgebung schnell altern. Wer nicht aufpasst, dem verdirbt schnell der ganze Obstteller.

Sind die anderen Food-Sharer beim Lagern von Früchten geschickter als ich? Die ersten Besuche auf der Seite enttäuschen jedenfalls: etliche Essenskörbe, die nur einen oder zwei Artikel enthalten. "1 Packung Soßenbinder hell" zum Beispiel oder "Gewalzte Bio-Farfalle aus Dinkelvollkornmehl", "1 Stück Tee lose, Muntermacher, 1 Stück Tee, Beutel, aus Serbien (?)". Da, das klingt doch lecker: "Eingelegter Tintenfisch/Calamares, 5 Stück Konserven". Direkt mal eine Anfrage stellen. Doch der Anbieter will den Tintenfisch nur an soziale Einrichtungen spenden, nicht an Privatpersonen wie mich.

Am frühen Abend treffe ich mich mit Monika. Auch für sie ist es die erste Foodsharing-Begegnung. "Blind Dates und so sind eigentlich nicht so meins", sagt sie lachend und erzählt: Sie mache gerade eine Weiterbildung, habe deswegen viel Zeit und wenig Geld. "Das Leben in München ist sehr teuer. Und ich bin schon ein recht bewusster Mensch. Da dachte ich, ich probier's mal aus." Auch sie findet allerdings, dass der Aufwand recht groß sei. Wir diskutieren darüber, welche Lebensmittel sich zum Teilen eignen. "Ich habe eine Zeit lang verschiedene Ernährungsstile probiert - und hatte einmal etliche Soja-Produkte übrig, die mir gar nicht geschmeckt haben", sagt die Soziologin. Bevor wir uns verabschieden, erzählt Monika noch von einem "Fairteiler" bei ihr um die Ecke. Fairteiler sind - ganz analog - reale Orte, an denen Lebensmittel getauscht werden können, manche von ihnen sind virtuell an die Foodsharing-Plattform angebunden, andere nicht.

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Von Lena Jakat

Am nächsten Tag erhalte ich eine Mail. "Das Mousse au Chocolat schmeckt mir prima", schreibt Monika. "Habe mich sehr über die Sachen gefreut, vielen Dank." Wie schön. Auf der Foodsharing-Seite für München - wo nach Angaben des Netzwerks schon mehr als drei Tonnen Lebensmittel gerettet wurden - taucht ein neuer Essenskorb auf: "3 Stück Brokkoli". Ha! Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Sofort setze ich eine Anfrage an Thomas K. ab, den Besitzer des Brokkoli. Gemüse landet bei mir selbst eher selten im Abfall, denn ich versuche, Äpfel, Gurken und Kartoffeln nur bedarfsgerecht zu kaufen, greife im Zweifelsfall lieber zur kleineren, wenn auch teureren Packung.

Anders ist es bei vielen Dingen, die verborgen hinter der Kühlschranktür oft tagelang missachtet werden. Und ehe man sich's versieht, ist der Joghurt ein paar Tage über dem Verfallsdatum. Wie lange sollte man ihm noch eine Chance geben? Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) besagt nichts anderes, als dass der Hersteller bis zu diesem Zeitpunkt für die Qualität garantiert. Ein Joghurt kann aber auch etliche Tage später noch genießbar sein, sein Verbrauchsdatum also noch nicht erreicht haben. Viele Seiten im Netz geben Tipps, wie sich das Verbrauchsdatum, das nur selten auf Produkten angegeben wird, bestimmen lässt. Gibt es starke Veränderungen in Aussehen, Konsistenz, Geruch und Geschmack, sollte man besser auf den Genuss des Lebensmittels verzichten. Schimmel ist gesundheitsgefährdend und deswegen immer zu meiden. Generell gilt: den eigenen fünf Sinnen vertrauen. Was für die verwöhnte, von der Natur längst entfremdete Städterin (mich) auch nicht immer ganz leicht ist. Ist die Paprika nur angematscht, schmeckt sie wirklich komisch - oder fault sie schon?

Bei routinierten Essensrettern

Von Herrn K. und seinem Brokkoli bekomme ich keinerlei Rückmeldung und fahre deswegen zum Fairteiler, von dem mir Monika erzählt hat. Einmal pro Woche hat er für eine Stunde in den Räumen eines Nachbarschafts-Vereins im Münchner Stadtteil Haidhausen geöffnet. Als ich gegen Ende des ersten Fairteiler-Termins dort ankomme, stapeln sich in der Teeküche leere Pappkartons. In einem liegen noch ein paar Stücke angewelktes Gemüse. "Dieses Projekt war mein guter Vorsatz für 2014", sagt Initiatorin Brigitte Krabichler. Am ersten Tag war der Ansturm groß, die meisten haben über Mundpropaganda oder Facebook von der Aktion erfahren. Aus ökologischer Überzeugung, oder weil das Geld knapp ist, oder beides. "Der Erfolg hat unsere Erwartungen echt übertroffen", sagt Krabichler. Obwohl eigentlich schon geschlossen ist, kommen immer noch Leute auf der Suche nach übriggebliebenen Lebensmitteln. Ein Mann verstrickt eine junge Frau in ein Gespräch, die gerade den Inhalt des Kühlschranks begutachtet - Joghurt, Bratwürste, Käse. Nach einer Weile unterbricht Krabichler die Plauderei über der geöffneten Kühlschranktür. "Das ist aber nicht sehr ökologisch!", ruft sie. "Macht mal die Tür wieder zu." Der ganze Fairteiler lacht, man freut sich über den Erfolg der Aktion.

Viele hier sind routinierte Essensretter, die sich untereinander kennen. Sie bekommen zum Beispiel übrige Ware vom Bioladen um die Ecke und verteilen sie anschließend in ihrem Wohnhaus. Offenbar funktioniert auf dieser lokalen, direkten Ebene Foodsharing effektiver als über die virtuellen Körbe des Online-Portals. Die Wege in den Gemeinschaftsraum des Viertels sind kurz, das Essenteilen kann vielleicht sogar die Solidarität in der Nachbarschaft stärken. In der Teeküche mit dem großen Esstisch und dem Bücherregal (fürs Booksharing) wird auch übers Containern geredet - die Praxis, Abfalltonnen von Supermärkten nach unnötig weggeschmissenen Lebensmitteln zu durchsuchen. Foodsharing für Fortgeschrittene. Für meinen ganz persönlichen Geschmack ein bisschen zu fortgeschritten.

Ich verlasse den Fairteiler mit einer Packung Schinken, einer Knolle Fenchel und einem Stück Sellerie. Vor lauter Euphorie habe ich vergessen, dass ich am Vortag erst einkaufen war. Mist. Zwei Tage später werde ich den Sellerie mit schlechtem Gewissen in die Tonne befördern. Und beim nächsten Mal einfach wieder vorausschauender einkaufen. Oder einsammeln.

Tipps zur Vermeidung von Lebensmittelmüll haben wir hier für Sie gesammelt.

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