Nachdenken über Schönheit:Schön, wirklich schön.

Dass nur innere Werte zählen, ist natürlich Quatsch. Aber ist Schönheit denn so oberflächlich wie ihr Ruf? Ein Essay über Ideale, hässliche Menschen und das, was ewig schön bleibt.

Sarina Pfauth

"Schönheit ist eigentlich nie traurig. Sie tut nur weh." (Marilyn Monroe sagte diesen Satz kurz vor ihrem Tod.)

Es gibt sie, die absolute Schönheit. Etwas, das Menschen in allen Kontinenten für schön befinden. Es ist eine Landschaft: sanfte Hügel, weiter Blick, Berge am Horizont, Wasser. Kinder in aller Welt wählen Fotos aus, die diese Merkmale zeigen, wenn sie gefragt werden, welche Landschaft schön ist. Aber meist geht es ja nicht um Natur, wenn wir über Schönheit nachdenken. Sondern um uns selbst.

Gerne sagen politisch korrekte Menschen, dass innere Werte zählen, nicht das Äußere. Gleichzeitig beweisen zahllose Studien, dass Lehrer schöne Kinder bevorzugen und dass schöne Menschen eher Karriere machen als hässliche. Und das nicht erst seit gestern. In Märchen sehen die Prinzessinnen ja auch immer wunderbar aus. Haut so weiß wie Schnee, die Lippen so rot wie Blut und das Haar so schwarz wie Ebenholz. Und wenn die Königstochter nur Pudding im Kopf hat? Interessiert das die wenigsten Erzähler.

Im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden führt Susanne Sasse eine Schulklasse durch die Ausstellung "Was ist schön?". Die Jugendlichen - Jahrgangsstufe zwölf, Gymnasium, alle kommunikativ und wohlerzogen - stehen vor Fotografien, auf denen Großaufnahmen der ledrigen Haut einer alten Frau zu sehen sind. Es sind gute Fotografien, keine Frage. Aber als die Museumführerin fragt, wer von den Schülern diese nackte, faltige Haut schön findet, schauen die Schüler betreten beiseite. Darf man sagen, dass man Falten hässlich findet? Gar abstoßend?

Vielleicht muss man genauer hinsehen: Hässlich sind Falten vielleicht nicht. Doch sie erinnern an die Vergänglichkeit, auch an die eigene. Der Tod hat seine eigene Ästhetik. Und die ist in dieser Welt nicht willkommen. Das wiederum ist nur naheliegend: Wer will schon mit dem eigenen Tod konfrontiert werden? Jugendlichkeit empfinden wir also als schön, weil sie das pralle Leben zeigt.

Paris Hilton mit Pickeln

Die Ausstellung im Hygiene-Museum erkundet die Frage "Was ist schön?" in den unterschiedlichsten Dimensionen: Der Begriff wird gespiegelt in den Facetten Sehnsucht und Versprechen, Macht und Macher, Norm und Differenz. Die Kuratoren arbeiten mit intensiven Sinneseindrücken, mit großformatigen Kunstwerken und intensiven Bildern. An den Wänden ist Paris Hilton in Großaufnahme mit Pickeln zu sehen. Marianne-Büsten aus Frankreich. Ein Portrait der ersten Schönheitskönigin. Gemorphte Gesichter.

Was ist nun das Wesen der Schönheit?

In der Literatur galt lange Zeit das Gesetz: Wer hässlich ist, ist auch böse. Quasimodo, der Glöckner von Notre Dame, bildete da eine rühmliche und bis heute seltene Ausnahme. Auch Platon moralisierte die Schönheit: "Nun ist alles Schöne gut", befindet er, "das Schöne aber ist nicht disproportioniert." Platon kommt zu dem Schluss, dass man deshalb ein menschliches Wesen, das gut ist, aber eine unförmige Gestalt hat, "als ebenmäßig annehmen" muss. Immanuel Kant verbindet das Schöne ebenfalls mit dem Moralischen, er sieht die Schönheit als äußerlichen Ausdruck der inneren Sittlichkeit.

Und bei näherem Hinsehen stimmt das ja auch: Dass Menschen schön sind, wenn sie im Frieden mit sich und ihrer Umgebung leben. Wenn sie Ruhe und Versöhnlichkeit ausstrahlen. Allzu oft bleibt diese Schönheit jedoch verborgen, weil die andere, die offensichtlichere Schönheit, lauter ist. Lange Beine, volles Haar, glatte Haut, große Brüste. Oder eben Waschbrettbauch.

Etikett: hässlich!

Dieses körperliche Ideal zieht sich inzwischen durch alle westlichen Kulturen und Gesellschaftsschichten. Historisch gesehen ist es jedoch "nichts Neues, dass der Körper zur Plattform der Inszenierung, zum Statussymbol und zu einem der zentralsten Medien der Identität wird", schreibt die Soziologin Waltraud Posch, die sich vor allem mit Körpersoziologie beschäftigt.

Was ist schön Ausstellung Hygienemuseum Dresden

Fight Lookism: Die Anti-Lookism-Initiativen kämpfen gegen den Marktwert von Schönheit und ihre ungerechte Herrschaft.

(Foto: www.lookism.info)

Wie genau ein Körper jedoch beschaffen sein muss, damit er als schön gilt, das ändert sich mit den Jahren und Jahrhunderten sehr wohl. Allein an der Geschichte des Korsetts, die die Modejournalistin Susanne Schütte in einem Aufsatz beschreibt, kann man die Wandlungen des weiblichen körperlichen Ideals deutlich verfolgen: Mal versuchte man, sich der Körperformung zu entledigen, schreibt Schütte, und "oft folgte auf diese Entwicklung ein modisches Revival traditioneller Begriffe von Weiblichkeit - die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wurden wieder bewusst hervorgehoben."

Brutaler als ein Korsett

Schon in der Antike wurde offenbar versucht, allzu große Körperfülle durch ein Hüftband zu verstecken. Am als streng bekannten spanischen Hof um 1600 wurde die Brust flachgedrückt. In der französischen Mode des Barock wiederum sollte das Korsett die weiblichen Formen hervorheben. Dank Coco Chanel kam es dann kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert aus der Mode. In den 1920er Jahren galt ein athletischer, eher androgyner Frauenkörper als ideal.

Die heutigen Hollywoodstars tragen wieder Rundungen. Und auch, wenn sie kaum mehr in Fischgräten geschnürt auf roten Teppichen erscheinen, so stellt Schütte fest: "Die plastische Chirurgie hat einen Schönheitswahn hervorgebracht, der fast brutaler einzwängt als ein Korsett."

Verstärkt wird dieser Druck noch durch das weltweit immer einheitlicher werdende Bild von idealer Schönheit, das in erster Linie durch die Massenmedien transportiert wird. Ein imposanter Beleg für diese These: Auf Fidschi traten nach Einführung des Fernsehens im Jahr 1995 fünfmal häufiger Essstörungen auf als zuvor. Der einzige Sender zeigte vor allem amerikanische, englische und australische Programme - nach kurzer Zeit hatte sich das Schönheitsideal der Bewohner komplett verändert. Früher hatte es als schön gegolten, stämmig zu sein. Nun fühlten sich fast 75 Prozent der Mädchen zu dick.

Manche der Werke in der Dresdner Ausstellung zeugen von harmloseren, bei genauerem Hinsehen aber abstrusen Versuchen des Schönseins und Schönwerdens: Die Nahaufnahme einer Frau, die sich die gesamten Augenbrauen mit einer Pinzette ausreißt, karikiert das übliche Zupfen, das wohl so verbreitet ist wie die Bartrasur bei Männern. Kaum eine der Vorübergehenden mag da länger hinsehen - sich selbst aber schonen daheim im Bad nur die wenigsten.

Das Angebot lenkt die Nachfrage, könnte man sagen. Und doch bestätigen alle hilflosen Versuche, durch plastische Chirurgie, Diäten und exzessiven Fitnessprogrammen einem Ideal hinterherzuhinken, die eigentliche Krux des Konzepts: Schönheit, so Iris Därmann, Professorin für Geschichte der Kulturtheorien am Institut für Kulturwissenschaft der Berliner Humboldt-Universität, ist stets ungleich verteilt und radikal antidemokratisch.

Das ist umso tragischer, als die Einteilung in die Kategorien schön und hässlich nie nur oberflächlich ist. Sie trifft Menschen bis ins Mark, sie erschüttert und prägt ihr Leben. "Es geht ganz und gar nicht nur um die Oberfläche", schreibt die Soziologin Posch, "im Gegenteil: Im Zentrum steht nichts weniger als die Schaffung oder Stabilisierung von Identität."

Eine schwere Bürde

Die Gesellschaft ist in dieser Hinsicht jedoch unbarmherzig. Wer im 21. Jahrhundert als hässlicher Mensch berühmt wird, der muss stets mit diesem Etikett leben: die dicke Beth Ditto, Paul Potts mit den schlimmen Zähnen. Dass diese Bürde schwer auf den Schultern eines Menschen lastet, zeigt das Beispiel Ditto gut: Die Sängerin sagte in einem Interview, sie wolle abnehmen, ihr Gewicht mache sie depressiv: "Ich bin einfach nicht zufrieden mit meinem Aussehen."

Fragt man die Schüler im Hygiene-Museum, welche Erfahrungen sie mit Schönheit machen und ob sie sich selbst schön finden, antworten die Jugendlichen berührend ehrlich.

"Ich mache mir viele Gedanken, wie ich aussehe", sagt Christoph, 18 Jahre alter Gymnasiast in Röhrenjeans, mit blondierten Haaren, blauen Augen, Strickjacke. Manchmal geht er ins Solarium, alle zwei Monate zum Friseur, er benutzt Feuchtigkeitscreme und "make-up-artige Sachen".

Man werde manipuliert, sagt er, weil man auf Plakaten und in Zeitschriften immer schöne Menschen sehe. "Ich bin mir schon bewusst, dass die in echt nicht so aussehen. Aber man schaut trotzdem, dass man da rankommt."

Sein Klassenkamerad Mohammed, 20 Jahre, geht regelmäßig ins Fitnessstudio. "Nicht nur zum fit sein, natürlich. 70 Prozent der Motivation sind, damit man sich zeigen kann." Ob ihm schon einmal jemand gesagt hat, dass er schön ist? Ja, antwortet Mohammed, "meine Mama".

Die Verführung zum Leben

Wahl zur Miss Deutschland

Zähne zeigen: Miss Deutschland 2010, Zallascht Sadat, mit Krönchen und Schärpe.

(Foto: ddp)

Die Familie war es auch, die der 18-jährigen Rebekka schon Komplimente für ihr Aussehen gemacht hat. "Den Eltern glaubt man es aber nicht so", sagt sie. Weil alle Eltern ihre Kinder schön fänden. Einmal habe ihr jemand einfach im Vorbeigehen gesagt: "Ich finde dich voll schön." Welche Bedeutung ein solches Erlebnis für sie hat? "Es war ein schönes Gefühl, weil man sich selbst nicht immer so sicher darüber ist. Man freut sich über so ein Kompliment. Vor allem, wenn es Leute sagen, die das nicht aus Höflichkeit tun."

"Die Auseinandersetzung mit der eigenen Erscheinung sowie deren Wirkung auf andere Menschen mag unterschiedlich intensiv erfolgen, aber wir kommen nicht um sie umhin", schreibt Waltraud Posch. Es hilft also nichts, allein auf die Diktatur von Idealen zu schimpfen: Wer in dieser Welt lebt, für den ist Schönheit ein Thema. Punkt.

Bei aller Kritik an Schönheitsidealen und der Macht, die sie ausüben, darf denn auch nie die Schönheit an sich mit in den Dreck gezogen werden. Die Sehnsucht nach Schönheit drückt die Sehnsucht nach Leben aus, und sie stillt diese auch. Nietzsche spricht von der Schönheit der Kunst als der "Verführung zum Leben", gar der "Ermöglicherin des Lebens".

Schwer, aber nicht unmöglich

Wie aber umgehen mit der herrschenden Diktatur der äußerlichen Schönheit, des vorgegebenen Ideals? Sich unabhängig zu machen vom gängigen Schönheitsideal ist eine Aufgabe, die schwer ist, sehr schwer. Und doch ist es möglich.

Denn Schönheit - und das klingt banal, ist es aber nicht - liegt letztlich im Auge des Betrachters. Die Wahrnehmung lässt sich schulen, und was Tausenden als hässlich gilt, muss es nicht für jeden sein. Blickt man beispielsweise auf das erfolgreiche Model Karen Elson: Sie ist groß, bleich und dünn. Sie sieht sonderbar aus, bis heute - als Kind, so schreibt das Zeit-Magazin, rief ihr ein Junge immer hinterher "Ein wandelndes Gespenst!". Man könnte das immer noch rufen - und doch strahlt Karen Elson eine ganz eigene Schönheit aus, die entdeckt, wer sie länger ansieht als einen Moment. Elson hat es geschafft, den Blick der Betrachter in eine andere Richtung zu lenken. Sie steht für die Vielfalt und Einzigartigkeit, die es in der Welt zu entdecken gibt. Wer an seiner Wahrnehmung arbeitet, kann mehr Schönheit genießen als diejenige photogeshoppter, makelloser Stars.

Der Dichter Christian Morgenstern war einer dieser Menschen, die sich einen eigenen Blick auf die Schönheit der Welt bewahren. Er sagte: "Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet."

Das ist tröstlich. Und schön.

Die Ausstellung "Was ist schön?" geht noch bis zum 2. Januar 2011. Für Schulklassen bietet das Hygiene-Museum thematische Führungen und Projekttage an.

Adresse: Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden, www.DHMD.de

Kuratoren: Doris Müller-Toovey und Sigrid Walther. Die Ausstellung organisiert das Deutschen Hygiene-Museum in Zusammenarbeit mit der Agentur klotz │müller-toovey GbR, Berlin, und Wilfried Rogasch.

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