Nachbarschaft:In den Kleiderschrank hineintröten ist keine Option

Nachbarschaft: undefined
(Foto: Illustration Jochen Schievink)

Übung macht den Meister. Vor allem bei Instrumenten. Gut, dass der BGH jetzt geklärt hat, wann Musizieren zu Hause erlaubt ist und wann nicht. Nicht allen wird das gefallen.

Von Wolfgang Janisch

Seien wir ehrlich: Das Blech im Orchester hat, was Lautstärke angeht, nicht den besten Ruf. Blechbläser kommen gern so selbstbewusst dröhnend daher, wie es sich ein melancholischer Bratscher nie trauen würde. Pauken und Trompeten sind nicht viel besser. Überhaupt Trompete: Auch wenn die Posaune, wenn es um Dezibel geht, ihr vermutlich in nichts nachsteht, hat sie immerhin diese tanzbärenhafte Gemütlichkeit. Bisschen ungelenk, aber immerhin gutmütig. Die Trompete dagegen kann schrill sein, aber auch Fanfarenstöße setzen, die ins Mark dringen. Wer in der Bigbandprobe vor fünf von ihnen sitzt, der geht mit einer klirrenden Taubheit nach Hause.

Insofern kann man den Nachbarn jenes Profi-Trompeters schon ein wenig verstehen, der nun bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) gezogen ist, weil er es nicht länger hinnehmen wollte. Die penetranten Kadenzen, die spitzen Läufe, das Staccato und Forzato. Stundenlang. Nicht jeder ist ein Miles Davis, der lässig zwei, drei nachtschattig verhangene Töne hinwirft und damit Großes schafft. Und auch Miles Davis wird zu Hause erst einmal in 10 000 Stunden all das geübt haben, was er später auf der Bühne supercool ausgelassen hat.

Der BGH hat allerdings dem Musiker recht gegeben, nicht dem Nachbarn.

Es ging um einen ziemlich engen Übeplan, den das Landgericht Augsburg dem Bläser aufgedrückt hatte, Profi hin oder her: Nur werktags von zehn bis zwölf und von 15 bis 19 Uhr, aber insgesamt höchstens zehn Stunden pro Woche, dazu an exakt acht Samstagen oder Sonntagen pro Jahr je eine Stunde, und das auch nur zwischen 15 und 18 Uhr. Und übrigens: Das Landgericht wollte ihn nur auf dem Dachboden üben lassen.

Dem BGH war das viel zu kleinlich, er nahm den Fall zum Anlass, um beim unübersichtlich gewordenen Streit um erlaubte Übezeiten für Klarheit zu sorgen. Erste Aussage: Musizieren ist ein Grundrecht. Hausmusik zu machen sei eine "sozialadäquate" Freizeitbeschäftigung und könne einen "wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden", einen Quell von Lebensfreude. Deshalb, liebe Nachbarn: "Einen Anspruch auf völlige Stille gibt es nicht." So hat es die Senatsvorsitzende Christina Stresemann ausgedrückt.

Wer schlecht spielt, darf nur kurz

Das war nicht neu, ebenso wenig die Aussage, dass auch der Nachbar ein Recht auf Lebensfreude hat - womit dem Üben zeitliche Grenzen gesetzt werden müssen. Bislang ging es hin und her, beim Klavier schienen die dem bürgerlichen Bildungsgut zugeneigten Richter großzügiger zu sein als etwa beim Akkordeon, dem das Landgericht Kleve einst nur anderthalb Stunden täglich zugebilligt hat.

Das wird sich auch nach dem BGH-Urteil nicht völlig ändern, aber wenigstens ist nun ein "grober Richtwert" in der Welt: Zwei bis drei Stunden pro Tag, am Samstag und Sonntag ein bis zwei Stunden, unter Einhaltung von Nacht- und Mittagsruhe. Auch im Wohnzimmer darf der Trompeter künftig wieder üben, nur eben nicht ganz so lang wie im Dachgeschoss, wo man ihn kaum hört - dort billigt ihm der BGH drei Stunden pro Werktag zu.

Wie überhaupt die Übezeit von den Gegebenheiten im Einzelfall abhängt, von der Dicke der Mauern, vom Lärmpegel, von ernsthaften Erkrankungen des Nachbarn. Aber auch von der "Art des Musizierens", wie der BGH vielsagend hinzufügt. Wichtig für Berufsmusiker: Grundsätzlich dürfen sie auch zu Hause Schüler unterrichten, das wird dann eben mit der Musizierzeit verrechnet. Wenn der Unterricht allerdings vorwiegend aus Misstönen und nervigen Tonleitern besteht, dann wird das Zeitbudget eingeschränkt, sagt der BGH. Ansonsten gibt es keinerlei Profibonus - Hobbymusiker haben dieselben Rechte.

Unter all den Lärmarten, über die Nachbarn vor Gericht streiten, ist die Hausmusik die komplizierteste. Denn Musizieren ist eigentlich gut beleumundet. Normalerweise lobt man das Blockflötenspiel der Nachbarstochter. Musik ist so etwas Schönes, ich höre das wirklich gern, lügt man dann. Wer will es schon verantworten, einem musikalischen Großtalent im Weg gestanden zu haben.

Crispe Licks zwischen die Wintermäntel blasen?

Übrigens hilft auch Schalldämmung nicht weiter. Klar, wer eine große Wohnung und genügend Geld hat, der leistet sich eine Übungskabine für ein paar Tausend Euro. Aber ansonsten sind die Möglichkeiten begrenzt.

Trompete mit Dämpfer spielen? Kann man schon mal machen. Aber die individuelle Tongestaltung ist ein komplexes Zusammenspiel, bei dem das Ohr die entscheidende Rolle spielt. Wer den eigenen Ton nicht richtig hört, kann ihn nicht gestalten. Saxofone oder Klarinetten sind ohnehin kaum zu dämpfen. Manche empfehlen, in den offenen Kleiderschrank hineinzutröten, aber hey: Hat man sich ein Tenorsax gekauft, um crispe Licks zwischen die Wintermäntel zu blasen?

Die Rechtsprechung jedenfalls hat noch nie Kabinen verlangt und auch sonst stets musikalisches Verständnis bewiesen. In einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm von 1980 ging es um den sogenannten "Moderator", das ist der mittlere Fußhebel bei besseren Klavieren, der den Anschlag dämpft. Keine Dauerlösung, fanden die Richter, die vermutlich sehr genau wussten, was ein echtes Crescendo ist - "weil sie die volle musikalische Gestaltung entsprechend den Anweisungen des Komponisten vielfach nicht zulässt".

Natürlich können vernünftige Menschen so etwas untereinander regeln, per Hausordnung zum Beispiel. Man kann ja Ruhezeiten oder Ruhetage einführen. Wobei der BGH nun ein klares Veto gegen abendliche Übeverbote eingelegt hat. Abende und Wochenenden fast vollständig fürs Musizieren zu sperren, kommt nämlich überhaupt nicht infrage. Warum ist schnell erklärt: Berufstätige, aber auch Schüler haben da gerade die meiste Zeit zum Musizieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: