Muttertag:Niemand braucht den Muttertag

Muttertag: Wie am Valentinstag ist auch der Muttertag von herzförmigen Verpackungen dominiert.

Wie am Valentinstag ist auch der Muttertag von herzförmigen Verpackungen dominiert.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

An jedem zweiten Sonntag im Mai haben Staubfänger, Pralinen und Blumen Hochsaison. Zeit, das zu beenden. Und Müttern zu geben, was sie wirklich brauchen.

Von Violetta Simon

Es ist Muttertag. Hoffentlich, so denkt die ein oder andere, ruft das Kind nicht heute an. Nicht, nachdem ich seinen Anruf monatelang herbeigesehnt habe. Bitte nicht ausgerechnet heute, aus schlechtem Gewissen. Nicht diese bemüht freundliche Stimme, die versucht, Smalltalk mit mir zu führen. Das macht es nur noch schlimmer.

Stattdessen läutet es an der Tür. Fleurop ist da. Ein Blumenstrauß, vom Kind. Schweigen duftet nach Lilien und Rosen. Nein, das ist nicht: besser als nichts.

Denn was die meisten Mütter wirklich bräuchten, das bekommen sie nicht. Wie wäre es mit ein bisschen Chancengleichheit im Job statt Pralinen? Mehr Fairness bei der Bezahlung statt Nelken und Ranunkeln? Wer sich für die Bedürfnisse von Müttern interessiert, findet die passende Einkaufliste problemlos unter dem Hashtag #muttertagswunsch: Geld für Kinderbetreuung, garantierte Kita-Plätze, im Alter von der Rente leben können - das sind Dinge, mit denen man Mütter (bzw. Eltern) würdigt. Stattdessen lassen sich deren Kinder, die Konsumenten, vor den Karren der Händler spannen und speisen ihre Mütter mit Konfekt und Nippes ab.

Es ist nicht so, dass der Muttertag oder die Idee an sich abzulehnen sind. Es geht um das, was daraus geworden ist. Industrie und Handel vereinnahmen den Muttertag für sich, Blumendienste und Geschenkehersteller zelebrieren dieses Datum nur aus einem Grund: Weil sie selbst mit Abstand am meisten davon profitieren. Und sich bereichern an einer Idee, die kein bisschen dazu beiträgt, dass es Müttern besser geht.

Die ursprüngliche Idee geht zurück auf die methodistische Pfarrerstochter Anna Marie Jarvis in den USA, die ihrer geliebten Mutter ein Denkmal setzen wollte - es war der zweite Sonntag im Mai 1905, als die Mutter von neun Kindern überraschend starb.

In den Jahren danach warb Jarvis immer wieder bei Politikern, Frauenverbänden und Kirchenführern für die Einführung eines "Freundschaftstages" für Mütter. Auf Initiative der amerikanischen Frauenbewegung sollte er zunächst den Zusammenhalt der Mütter untermauern und Gelegenheit zum Austausch geben, verstand sich auch als politisches Werkzeug, etwa für Frieden und bessere Bildungschancen. Am 8. Mai 1914 wurde der zweite Sonntag im Mai schließlich von US-Präsident Wilson offiziell zum nationalen Feiertag erklärt, um die Mütter zu ehren.

Jarvis hatte gehofft, auf diesem Wege die Rechte der Frauen zu stärken. Doch es kam anders. Der Muttertag wurde von anderen, mächtigeren Interessengruppen in Beschlag genommen.

Zweckentfremdet und ausgeschlachtet

Es dauerte nicht lange, da zog die Idee Kreise und gelangte nach Europa. Von da an ging es bergab mit dem Muttertag. Als erstes wurde er zweckentfremdet von den Nazis, die deutsche Mütter umgarnten - als Gebärmaschinen für Söhne. Kanonenfutter.

Auch der Handel erkannte schnell das Potenzial dieses denkwürdigen Tages, schließlich ist jeder das Kind von irgendjemandem. Seitdem ist Muttertag vor allem: ein Datum, an denen die Umsätze von Fleurop & Co. in die Höhe schnellen. An jedem zweiten Sonntag im Mai haben Staubfänger Hochsaison, genau wie Pralinen und Torten - selten konnte man mangelnde Zuwendung, Ignoranz und schlechtes Gewissen so schön in Zuckerguss ertränken.

Schon Wochen zuvor werden wir von Herstellern, Internetplattformen und Lieferservices mit Nachdruck daran erinnert, dass wir an jenem Sonntag doch sicher keinesfalls mit leeren Händen dastehen wollen. Was alle Geschenke gemeinsam haben: Sie sind "total individuell". Ob dekorative Kosmetikständer, Glückskekse aus Filz ("garantiert kalorienfrei"!), Kissen mit Heile-Welt-Sprüchen oder Taschen mit "Hör auf die Mutti"-Print - keine Geschmacksverirrung ist zu peinlich, um sie nicht im Namen der Mütter zu verschachern. Und Blumen? Erfahren über Nacht eine wundersame Preiserhöhung.

Was für eine Aufregung. Dabei käme wohl kaum eine Mutter von sich aus auf die Idee, an diesem Tag ein derartiges Gewese um sich zu machen. Nicht eine, die von ihrer Familie ernsthaft erwartet, dass sie gefeiert wird. Am allerwenigsten, wenn sich die Aufmerksamkeit auf diesen einen Tag beschränkt - Blumen und Konfekt sind eine jämmerliche Währung, um sich die Absolution für 364 Tage Vernachlässigung zu erkaufen.

Hingegen reagieren einige, etwa aus der Generation der Alt-68er, geradezu übellaunig, wenn sie derart auf ihr Muttersein reduziert werden. Schlimmer ist nur noch, ihr gemeinsam mit Vati ein neues Dampfbügeleisen zu schenken.

Anna Marie Jarvis bereute übrigens schon bald, den Muttertag ins Leben gerufen zu haben. Und kämpfte bis an ihr Lebensende erbittert für seine Abschaffung - vergebens. Zu groß war die Lobby jener, die sich daran bereichern wollten. Zu leicht ließ sich mit schlechtem Gewissen Geld verdienen, bis heute.

Und genau deshalb gehört der Muttertag heute mehr denn je abgeschafft. Damit sich niemand mehr hinter Blumen verstecken kann statt zu handeln.

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