Süddeutsche Zeitung

Alleinunterhalter:"Die Leute kommen schon wieder"

Als Alleinunterhalter stand der Musik-Klaus bis vor kurzem auf jeder noch so kleinen Bühne. Nun sendet er aus seinem Keller und versucht, nicht aufzugeben.

Von Leopold Zaak

Musik-Klaus hasst es, unterschätzt zu werden. Er kniet auf dem Boden und steckt schwarze Kabel in sein Keyboard. Viele Leute würden ihn und seinen Beruf abwerten, sie behaupten, er sei gar kein echter Musiker. Ernst schaut er unter seinem Keyboard hervor. "Elton John kann auch keine Noten lesen", sagt er.

Musik-Klaus heißt eigentlich Klaus Mehlig. Mehlig hat einen Beruf, der gerade ausstirbt: Er ist Alleinunterhalter. Das sind meistens Männer, die mit Keyboards durch die Provinz fahren, um in Hotels und Cafés Schlager aus den Sechzigerjahren zu spielen und Witze erzählen, die vor 15 Jahren noch okay waren. Seit Corona dürfen auch sie nicht mehr auftreten. "Bald wird niemand mehr diesen Job machen", sagt Klaus Mehlig. Solange es seinen Beruf noch gibt, ist ihm vor allem eines wichtig: ernst genommen werden.

Mehlig ist ein Mann, an dem vieles groß ist. Sein Bauch, seine Hände, sein Selbstbewusstsein. Er trägt Trachtenhemd, Weste und Jeans, die schwarzen Haare sind steil nach oben gegelt, an seinem Hals hängt eine Kette mit einem goldenen Akkordeon als Anhänger.

Bayerisch Gmain, ein bayerischer Grenzort. Als Klaus Mehlig noch durfte, stand er dort jeden Montag im Speisesaal des Gästehauses St. Florian, einem Hotel für bayerische Feuerwehrleute. Solche, die 40 Jahre lang im Dienst waren, bekommen hier eine Woche Urlaub von der Staatsregierung geschenkt. Vor dem Speisesaal steht ein Aufsteller: "Musik und Tanz mit Musik-Klaus. 19.30-22.30." Der Speisesaal ist ein großer Raum mit staubigen Vorhängen, blauen Sitzbezügen und wird von einem großen Kruzifix bewacht. Zur Rechten Jesu steht Klaus Mehlig und begrüßt jeden. Er gehört zu der Sorte Bayern, die zur Begrüßung stets zwei Wörter brauchen. Hallo, Servus. Servus, Griasdi. Griasdi, habe die Ehre.

"Im Kopf ist nur ratatatata"

Klaus Mehlig ist 52, seit mehr als 20 Jahren ist er hauptberuflicher Alleinunterhalter. Damit ist er die Ausnahme, die meisten seiner Kollegen haben einen Beruf, mit dem sie sich ihr Hobby finanzieren. Als Musik-Klaus spielt er hauptsächlich in Hotels und Gaststätten. Für so einen Abend bekommt er 220 Euro.

"Ein Knochenjob", sagt er. "Auf Hochzeiten spiele ich zwölf Stunden durch. Ein berühmter Musiker kommt auf die Bühne und singt zwei Stunden Playback. Ich spiele alles live. Ich muss mich aufs Lied konzentrieren und währenddessen überlegen: Spiele ich danach eine Polka oder einen Schieber? Im Kopf ist das nur ratatatata." Mehlig sagt oft, dass er immer live spielt. "Ab und zu baue ich Fehler ein und verspiele mich kurz, wenn ich merke, die glauben mir nicht", erzählt er.

"Grias eich, Servus" ruft Musik-Klaus ins Mikro und sagt, er wolle nun seine Band vorstellen, wobei er große Anführungszeichen in den Raum malt. Er drückt auf die Tasten seines Keyboards und sagt "Gitarre" oder "Bass" oder "Pi-ano". Dann zeigt er sein Akkordeon, eine Block- und eine Panflöte. "Ihr seht", ruft er stolz, "ich bin kein CD-Player."

Musik-Klaus nennt sich selbst Entertainer. Darunter versteht er, dass er keine zwei Lieder hintereinander spielt, sondern zwischen den Liedern Geschichten oder Witze erzählt. "Ich bin dann schon auch mal bisschen spaßig", sagt Mehlig. Dabei lässt er tatsächlich kaum eine Pointe liegen, die sich ihm anbietet. Als er ein Lied der Südtiroler Volksmusikgruppe "Kastelruther Spatzen" ankündigt, sagt er: "Die einzigen Vögel, die ihr Schwänzchen vorne tragen."

Immer mehr Gäste trauen sich auf die Tanzfläche. Der Großteil der Gäste ist jenseits der 60, Schnauzbärte in Jeans und Funktionsshirts, die ihre Frauen über den Fliesenboden schubsen. "Bei 98 Prozent meiner Auftritte wird getanzt. Der Rest sind die Turniertänzer. Die sagen 'Ich tu nie tanzen.'" Will man an diesem Abend jeden Witz mitbekommen, muss man hellwach sein.

Doch nicht immer ist es so leicht wie an diesem Abend. Sein Publikum verändert sich. "Durch die Digitalisierung bekommen die Leute heutzutage alles. Und sie erwarten auch alles." Als Alleinunterhalter könne er das nicht liefern. Doch dass der Beruf ausstirbt, liegt nicht am Publikum und auch nicht am Internet. Es gibt keinen Nachwuchs. "Niemand von den jungen Leuten will den Job machen", sagt Mehlig. "Die werden heute alle DJs."

In die Blockflöte atmet er aus dem Nasenloch

Musik-Klaus holt aus einem Koffer eine Blockflöte und drückt ein paar Tasten auf seinem Keyboard. Trommelrhythmen und Bachrauschen füllen den Speisesaal, ein Adler schreit aus der Anlage. Musik-Klaus rümpft die Nase und schiebt das Mundstück der Flöte in sein rechtes Nasenloch. Als die ersten zu kichern beginnen, atmet er "Der einsame Hirte" in seine Blockflöte, ein Lied, mit dem einmal der Panflötenspieler Leo Rojas die Fernsehshow "Das Supertalent" gewann. Rojas spielte mit dem Mund.

Es gehört viel dazu, Entertainer zu werden, findet Klaus Mehlig. Ständig müsse er sein Repertoire erweitern, neue Songs einüben. Jungen Leuten sei das zu mühselig, schließlich ist er immer alleine, ohne Band, die einen auffängt, wenn man sich verspielt. Hinzu kommt das Finanzielle. "Die Ausrüstung kostet ein Mordsgeld." Für Akkordeon und Keyboard musste er über 30 000 Euro hinlegen. Weitere 15 000 Euro kosten die Styles, also Rhythmen der Lieder, die Musik-Klaus am Keyboard abspielt. Das sind Ausgaben, die er seit März nicht mehr reinholt. Da hießen Abende wie im St. Florian noch Konzert und nicht Superspreading-Event. Und die Leute waren das Publikum und nicht die Risikogruppe.

Vor der Corona-Pandemie war Mehlig optimistisch für das Jahr 2020. Von März bis Oktober hätte er sechs Mal in der Woche gespielt, oft zweimal am Tag. "Normalerweise ist das bärig", sagt er. Doch nun sitzt der Alleinunterhalter alleine in seinem Keller in der Nähe von Freilassing und streamt seine Konzerte auf Facebook vor einem Greenscreen. Jeden Samstag. Manche Videos haben über 5000 Aufrufe, das sind fünfzigmal mehr Menschen, als in den Speisesaal vom St. Florian passen.

Während der Streams macht er Werbung für Tattoo-Studios, für Autopflege, für das Eiscafé Venezia. Als der Getränkemarkt Maxus sein einjähriges Bestehen feiert, verlost er bei der gestreamten Feier einen Weber-Grill. So kommt wenigstens ein bisschen was rein. Aber "das reicht hinten und vorne nicht", sagt er. Klaus Mehlig hofft auf den Spätsommer, darauf, dass er da wieder regelmäßig spielen darf. Angst, dass sein Publikum auch dann noch daheimbleibt, hat er nicht: "Die Leute kommen schon wieder. Die wollen ja tanzen, die wollen ja furtgehen."

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Quelle:
SZ vom 3.7.2020/mkoh/vs
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