Süddeutsche Zeitung

Mütter kommentieren Familienpolitik:"Kinder fördern - nicht deren Eltern"

Der Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland kommt einfach nicht voran. Während die neuen Bundesländer die Quoten mittlerweile erfüllen, fehlen allein im Westen 233.000 Betreuungsplätze. Betroffene Mütter berichten, wie sie mit der Situation umgehen und was sie von den Maßnahmen der Regierung halten.

Nicht alle Eltern sind auf der Suche nach einem Krippenplatz. Manche übernehmen die Betreuung ihrer Kleinkinder lieber selbst oder geben sie in die Hand der Großeltern - eine Maßnahme, die auch der Familienpolitik zugutekommt, die bei der Einrichtung von Krippenplätzen noch immer hinterherhinkt. Doch ist das Betreuungsgeld wirklich die Lösung? sueddeutsche.de hat bei Betroffenen nachgefragt.

Jeannine Pfende, 34, Notarfachangestellte, lebt mit Mann und Tochter in Moorenweis (Landkreis Fürstenfeldbruck, Bayern)

"Ich hatte großes Glück, für Pauline einen Platz zu bekommen. Ich war im vierten Monat schwanger, als die Krippe in unserem 4000-Einwohner-Dorf gerade ausgebaut wurde. Seit Pauline 13 Monate alt ist, geht sie in die Kita, inzwischen jeden Tag von sieben bis 17 Uhr. Mein Mann und ich arbeiten beide in Vollzeit, das müssen wir auch. Deswegen haben wir uns entschieden, Pauline in die Krippe zu geben, wenn sie sich dort wohlfühlt. Und das tut sie: Wenn ich sie in der Früh dort abliefere, geht sie gleich mit den anderen Kindern spielen. Abends will sie manchmal gar nicht mehr nach Hause.

Das Finanzielle ist aber nur das eine. Ich finde es gut, dass Pauline in die Krippe geht. Dort kann sie von gleichaltrigen und älteren Kindern lernen. Ich wollte nicht, dass aus ihr ein Kind wird, das den ganzen Tag alleine mit Mama zu Hause bleibt - ich kann ihr einfach nicht dasselbe bieten wie die ausgebildeten Erzieherinnen in der Kita. Zu Hause hat sie keine Geschwister, mit denen sie spielen könnte. In der Krippe dagegen hat sie schnell Freunde gefunden, die sie jeden Tag sieht.

Wir selbst kennen das auch nicht anders: Mein Mann und ich kommen beide aus Brandenburg, waren selbst schon mit sechs Monaten bzw. einem Jahr in der Krippe. Unsere Mütter mussten arbeiten, das war damals in der DDR völlig normal.

Ich fände es blöd, wenn das Betreuungsgeld käme. Meiner Meinung nach werden kleine Kinder in der Einrichtung einfach besser gefördert als zu Hause. Das gilt besonders für Migrantenkinder, die noch Deutsch lernen müssen. Sie sollten nicht erst in der Grundschule damit anfangen. Gut wäre, wenn die Kinderbetreuung nach dem schwedischen Vorbild ausgebaut werden würde: Dort haben alle Eltern die Chance auf einen Krippenplatz.

Abgesehen davon finde ich, jeder sollte sich frei entscheiden können, ob er zu Hause bleiben oder sein Kind in Betreuung geben möchte. Die Möglichkeit dazu ist aber hier einfach nicht gegeben."

(Protokoll: Lena Jakat)

Kerstin Schiller, 31, verheiratet, ein Kind, lebt in Viehhausen bei Regensburg (Bayern)

"Für mich war schon in der Schwangerschaft klar, dass ich auf jeden Fall zurück in meinen Beruf als Lehrerin will. Nach der Geburt habe ich ein knappes Jahr pausiert , seit kurzem unterrichte ich wieder an drei Tagen in der Woche. Mein Mann arbeitet Vollzeit. Ohne die familiäre Unterstützung hätte ich den beruflichen Wiedereinstieg um ein Jahr rausschieben müssen: Wir wohnen auf dem Land, die einzige Kita in der Umgebung nimmt Kinder erst ab zwei Jahren. Und in Regensburg - der nächstgrößeren Stadt - ist es ähnlich schwierig, einen Krippenplatz zu bekommen wie in München.

Ich habe das Glück, dass meine Eltern und Schwiegereltern an meinem Arbeitsort wohnen und sich um Korbinian kümmern, während ich in der Schule bin. Die Gesichter der Großeltern kennt Korbinian natürlich, insofern fiel die übliche Eingewöhnungsphase aus. Daneben hat es auch finanzielle Vorteile, wenn die Familie bei der Kinderbetreuung einspringt. Und als Korbinian vor kurzem krank war, musste ich mir nicht extra freinehmen, sondern meine Mutter ist mit dem Kleinen zum Arzt gefahren und hat sich um ihn gekümmert.

Trotzdem: Das, was Korbinian einmal in der Woche in der Krabbelgruppe von Gleichaltrigen lernt, kann kein Erwachsener aufwiegen. Ich kann ihm zu Hause viel bieten - aber Sozialverhalten lernt er nur dadurch, dass er andere Menschen trifft. Statt Eltern dafür zu bezahlen, dass sie ihre Kinder zu Hause betreuen, sollte die Bundesregierung lieber mehr Geld in den Ausbau des Kita-Netzes investieren."

(Protokoll: Johanna Bruckner)

Jeanine Holland, 38, Mutter von zwei Kindern, Innenarchitektin, lebt mit ihrem Mann in München

"Auch wenn ich für meine Kinder zu Hause bleibe, bin ich der Meinung, dass man die 150 Euro den Eltern nicht einfach in die Hand drücken sollte. Die Millionen fürs geplante Betreuungsgeld müsste man sinnvoller investieren, zum Beispiel in eine flexible Kinderbetreuung. Als selbständige Innenarchitektin hätte ich meinen Sohn gern mal zwei Tage die Woche für ein paar Stunden abgegeben, um nicht komplett aus dem Job zu kommen. Aber auch, um vielleicht einfach mal zum Zahnarzt zu gehen.

Fakt ist: Wir Frauen ruinieren uns die Karriere für eine Kinderpause. Ich habe aus Überzeugung drei Jahre für meinen Sohn ausgesetzt, wollte dann aber wieder arbeiten. Also bewarb mich in München bei 14 verschiedenen Kindergärten. Nur Absagen! Erst jetzt, wo mein Sohn schon vier ist, haben wir einen Platz bekommen. So musste ich ein Jahr länger unterbrechen als geplant. 150 Euro Herdprämie helfen mir da auch nicht weiter.

Generell halte ich das geplante Betreuungsgeld für Augenwischerei, eine Panik-Aktion der Regierung. Weil sie den Ausbau der Kinderbetreuung nicht hinbekommt."

(Protokoll: Meike Mai)

Yvonne Riek, 31, Bühlerzell bei Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg, verheiratete Mutter von drei Kindern

Ich habe mich damals ganz bewusst dafür entschieden, mit meinem ersten Kind zu Hause zu bleiben. Mittlerweile haben wir drei Kinder und aus einem Jahr Elternzeit sind fünf geworden. Das ging nur, weil wir in einem Vier-Generationen-Haus leben und die Großeltern oft mithelfen. Natürlich gab es zwischendurch Phasen, wo ich dachte, jetzt könnte ich wieder anfangen zu arbeiten, aber dann haben wir uns doch für ein weiteres Kind entschieden.

Ich verstehe die Mütter voll und ganz, die ihre Kinder in die Krippe im Nachbarort bringen, aber für mich als Waldorfpädagogin war das keine Option. Meine Kinder müssen nicht schon mit einem halben Jahr sprechen können und mit zwei vorm Computer sitzen. Gerade junge Eltern sind aber mit diesem Druck im Alltag oft überfordert.

Mit dem Betreuungsgeld allein würde es sich die Regierung deshalb zu einfach machen. Eine Art Erziehungs-Führerschein wäre vielleicht eine Möglichkeit, Eltern zu stärken und fitter im Umgang mit ihren Kindern zu machen.

(Protokoll: Anja Rillcke)

Tanja Kleinert, 35, freie Journalistin, lebt mit ihrem zweijährigen Sohn in München

Mein Sohn geht in die Krippe, seit er 13 Monate alt ist. Eine andere Form der Betreuung käme für mich nicht in Frage: Der Vater des Kindes lebt nicht in München, auch meine Eltern sind nicht vor Ort. Zum Glück springt meine Schwester manchmal als Babysitter ein. Als Freiberuflerin habe ich gar keine andere Wahl, sonst hätte ich nach dem Elterngeld gleich Hartz IV beantragen können.

Abgesehen davon halte ich auch sonst nichts davon, dass Kinder immer nur die Mutter oder die Eltern um sich herum haben. Ein Kind sollte regelmäßigen Kontakt zu Gleichaltrigen, aber auch zu anderen Erwachsenen haben. Ich erlebe ja, wie viel Spaß mein Sohn in der Kita hat und wie sehr er davon profitiert, etwa durch seine offene Art.

Die Herdprämie dient meiner Ansicht nach nur dazu, das Kinder-Küche-Frauenbild zu zementieren. Darüber hinaus kommt sie nicht immer direkt dem Kind zugute. Mit dem Elterngeld haben wir bereits eine massive Subvention durch den Staat, die für die Eltern frei verfügbar ist. Statt noch mehr Geld in sinnlose Prämien zu stecken, sollte der Staat lieber Krippenplätze ausbauen, das Ehegattensplitting abschaffen und die Kinder fördern - nicht deren Eltern.

(Protokoll:Violetta Simon)

Julia Zachäus, 29 Jahre alt, aus Köln, lebt getrennt vom Vater der beiden Kinder. Sie teilen sich die Erziehung.

Als das erste Kind zur Welt kam, haben mein damaliger Freund und ich noch studiert. Mit anderthalb Jahren brachten wir unseren Sohn drei Mal die Woche zur Tagesmutter, der zweite ging mit einem Jahr zu einem Tagesvater. Mehr wurde vom Jugendamt nicht übernommen.

Geschadet hat es nicht. Und obwohl sich beide schnell an die neue Situation gewöhnt haben, fühlte ich mich schon damals als Rabenmutter. Länger als zwei Jahre Hausmütterchendasein wäre mir trotzdem zu viel gewesen.

Es sollte Eltern freigestellt sein, ob sie sich in den ersten Jahren selbst um ihre Kinder kümmern oder sie betreuen lassen. Deshalb müsste die Betreuung zu Hause prinzipiell besser entlohnt werden. Doch der Ausbau von Krippenplätzen darf darunter nicht leiden - Qualität geht vor Massenbetreuung. Es nützt ja nichts, wenn die Kinder in Riesenhorte abgeschoben werden und man dann mit schlechtem Gewissen auf der Arbeit sitzt.

(Protokoll: Anja Rillcke)

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