Süddeutsche Zeitung

Tätigkeiten nach dem Aufstehen:Müffeln am Morgen

Sollten Sie heute früh schon Zähne geputzt haben und saubere Unterwäsche tragen: Glückwunsch! Einer aktuellen Umfrage zufolge nehmen es die meisten Deutschen nicht so ernst mit der Morgenhygiene.

Von Christina Berndt

Waschen, Zähneputzen, frische Wäsche. Zusammen mit Kants Kategorischem Imperativ, wonach man niemanden anmüffle, wenn man nicht auch selbst angemüffelt werden möchte, sind die Grundregeln der Morgentoilette die unabkömmlichen Voraussetzungen eines harmonischen Miteinanders. Dies gilt besonders in belebten Gegenden, wo man etwa morgens in überfüllten Verkehrsmitteln niemandem begegnen möchte, der seine Achseln zuletzt am Badesamstag einer rituellen Waschung unterzogen hat.

Vor diesem Hintergrund lässt eine aktuelle Umfrage den distinguierten Leser die Nase rümpfen: Nur 75 Prozent der Deutschen putzen demnach am Morgen die Zähne, nur 63 Prozent ziehen frische Unterwäsche an und nur 55 Prozent duschen oder baden, so errechnet es die Agentur Mymarktforschung aus den Antworten, die ihr 1058 mit Blick auf Alter, Bildung und Berufsstand repräsentative Bewohner dieses Landes online gaben.

Neben einer sich womöglich verstärkenden Rebellion gegen die Herrschaft der Hygiene, die bald gar in ein formelles Austrittsgesuch (Hyxit) münden könnte, gibt es auch andere beunruhigende Ergebnisse der Umfrage: Nur 37 Prozent der Deutschen machen nach dem Aufstehen ihr Bett, nur 60 Prozent frühstücken und magere 17 Prozent lesen, während immerhin 21 Prozent Zeit zum Aufräumen finden.

Die Zahlen mögen demjenigen Angst machen, der sich morgens in eine U-Bahn traut. Doch selbst hochstehende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die mit Chauffeur unterwegs sind, könnten beunruhigt sein, da sich ein Sittenverfall in die Daten hineininterpretieren lässt.

Jedenfalls steigt der Anteil der Duschenden in der aktuellen Umfrage zwischen 30 und 70 Jahren stark an (von 46 Prozent zwischen 30 und 39 Jahren auf 63 Prozent zwischen 60 und 70 Jahren). Als einzig beruhigende Interpretation könnte man annehmen, dass sich das das Gemeinwesen fördernde Duschen bei Jüngeren nur vom Morgen auf den Abend verlegt hat.

Benjamin Franklin - stets aufgeweckte Verfassung

Das wäre nicht nur olfaktorisch reizend, sondern auch psychosozial durchaus förderlich. Schließlich dienen Routinen, mögen sie auch so einfach gestrickt sein wie das Suchen einer sauberen Socke im Kleiderschrank, vor allem dazu, Orientierung in einer Welt zu finden, indem man einem inneren Plan folgt. Das verhindert zudem die Erkenntnis, dass man eventuell gar keinen Plan hat. Auch deshalb wird üblicherweise nach der Kindergartenzeit der Morgenkreis durch andere, nicht unbedingt tiefgründigere Kulthandlungen ersetzt.

Selbst die größten Geister geben sich mitunter Ritualen hin, die weder zum Wohlduft beitragen noch anderen Sinn zu ergeben scheinen. So soll Ludwig van Beethoven jeden Morgen exakt 60 Kaffeebohnen abgezählt haben, aus denen er angeblich eine einzige Tasse brühte, bevor er sich unverzüglich ans Komponieren machte.

Philosophische Schriften und die Bibel las hingegen Peter Tschaikowsky zum Frühstück, während er Tee trank und rauchte.

Hilfreicher - auch weil er einen Appell zur Morgenhygiene einbezieht - scheint da Benjamin Franklin zu sein: Als einer der Väter der amerikanischen Verfassung beschrieb Franklin 1791 in seiner Autobiografie auch die Gründe für seine eigene, stets aufgeweckte Verfassung. Für die Zeit von fünf Uhr bis acht Uhr morgens steht da: Aufstehen, Waschen - und wirkmächtige Tugenden angehen: Was für Gutes soll ich heute tun?

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SZ vom 09.07.2016/gal
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