Montalcino:"Der Brunello ist unser Erdöl"

Brunello ist der berühmteste Wein der Welt - doch nicht alle Winzer fühlen sich diesem Ruf verpflichtet. Ein Besuch in Montalcino.

Stefan Ulrich

Signor Brunello, man darf Franco Biondi Santi wohl so nennen, kommt am Steuer seines Smart durch die Zypressenallee gefahren. Aufrecht wie ein Gardeoffizier schreitet der 86 Jahre alte Winzer über seine "Tenuta Greppo" bei Montalcino in der Südtoskana. Der Gehstock, den er mit sich führt, dient ihm eher als Accessoire denn als Stütze. Der Weinbaron deutet auf die im Morgenlicht schimmernde Hügellandschaft mit ihren Reb-reihen, Olivenhainen und Bauernhäusern. "Hier, auf meinem Gut, wurde der Brunello erfunden", sagt er.

Brunello

Ungefähr 600.000 Flaschen des 2003er Brunello di Montalcino standen im Verdacht, andere Reben als Sangiovese zu enthalten.

(Foto: Foto: rtr)

Es klingt beiläufig, obwohl es um die Schöpfungsgeschichte eines der prestigereichsten Weine der Welt geht. Sein Großvater Ferruccio habe hier auf der Tenuta Greppo im 19. Jahrhundert ein besonderes Klon, eine Unterart der Rebsorte Sangiovese entdeckt. Damals produzierten die Winzer der Toskana einfache, jung zu trinkende Weine aus vielerlei Trauben, die ihren Halbpächtern bei der Landarbeit Kraft geben sollten. "Mein Großvater aber wollte einen langlebigen, großen und reinen Wein produzieren."

Also pflanzte Ferruccio nur noch seinen Sangiovese-Klon und ließ den Wein in Eichenfässern lange reifen. So entstand der Brunello, der seinen Namen wohl der dunklen Farbe verdankt. Es sollte einer der haltbarsten Weine der Welt werden. "Kommen Sie bitte mit", sagt Franco Biondi Santi, ein ebenso liebenswürdiger wie selbstbewusster Signore. Dann führt er in ein dunkles, stilles Kellergewölbe. Dort liegt das Allerheiligste: ein Regal mit Flaschen der großen Jahrgänge, die in der Tenuta Greppo hergestellt wurden. Die ältesten beiden Flaschen tragen die Aufschrift "Riserva 1888" auf dem verschlissenen Etikett. Eine dritte Flasche des greisen Brunello verkostete Franco vor einigen Jahren mit 15 Weinkennern aus aller Welt. Die Experten waren verzückt.

Das "Blut des Jupiter"

Großvater Ferruccio erntete seinerzeit viel Anerkennung für seinen reinrassigen Wein aus Sangiovese, "Blut des Jupiter" bedeutet das. In den dreißiger Jahren aber zerstörte die Reblaus die Weinberge. In den Fünfzigern begann ein Dutzend Weinbauern in Montalcino, sich des Brunello zu besinnen - der wuchtige Rubinrote setzte zum Sturm auf die Weinwelt an. Franco Biondi Santi macht den Durchbruch an einem Ereignis fest. 1969 besuchte der italienische Präsident Giuseppe Saragat London und lud die Queen zum Essen ein. "Serviert wurde ein Brunello Biondi Santi Riserva 1955." Der Wein mundete der Monarchin, die Presse berichtete. Fortan war kein Halten mehr. Heute schlürfen nicht nur die Toskana-Fraktion und deren Erben den strengen noblen Roten, sondern auch famose Genießer wie Bill Clinton, Sharon Stone und Michael Schumacher. Silvio Berlusconi sieht im Brunello gar einen Bruder im Körper: "Je älter, desto besser."

Rund 250 Winzer um Montalcino stellen mittlerweile Brunello her. Darunter sind reiche Unternehmer wie die Familie Cinzano, einst bettelarme Halbpächter sowie zivilisationsmüde Mailänder wie der frühere Werbe-Manager Sergio Rossi, der über sein Gut La Gerla führt und sagt: "Ich hatte es satt, in Mailand zu arbeiten. Das hier ist das wahre Leben." Doch warum dürfen sie alle ihren Wein Brunello nennen, wenn dessen Schöpfer doch ein Biondi Santi war? Franco, der Patriarch auf der Tenuta Greppo, seufzt: "Sie wühlen in meiner tiefsten Wunde. Meine Vorfahren haben es vergessen, den Namen Brunello schützen zu lassen."

So ist der Brunello zum Allgemeingut in Montalcino geworden. Wer durch das Hügel-Städtchen mit seinem massigen Kastell, dem schlanken Glockenturm und den geduckten Natursteinhäuschen schlendert, trifft viele Immobilienhändler und noch mehr Amerikaner, die hier nach ihrem Toskanatraum haschen. Oben im Rathaus sitzt Bürgermeister Maurizio Buffi und antwortet auf die Frage, was der Brunello für sein 5000-Einwohner-Städchten bedeute: "Das tägliche Leben für tausend Festangestellte und weitere tausend Saisonarbeiter. Außerdem ist der Brunello unsere Ikone - ein Mythos, der hilft, Touristen anzuziehen und die Landschaft zu erhalten." Sein Vorgänger habe gesagt: "Der Brunello ist unser Erdöl." Stefano Campatelli, Direktor des Brunello-Konsortiums, dem freiwillig alle Erzeuger angehören, ergänzt: "Einen Unterschied zu den Scheichs am Golf gibt es aber. Wenn wir ,bravi‘ - tüchtig - sind, geht unser Öl nie zu Ende." Selbst die Finanzkrise könne dem großen Wein dann nichts anhaben.

In diesem Jahr aber gerieten einige Winzer in Verdacht, weniger "bravi", denn "furbi", durchtrieben, zu sein. Die Staatsanwaltschaft Siena ließ bei einigen bekannten Erzeugern etwa eine Million Flaschen Brunello des Jahrgangs 2003 beschlagnahmen. Die Unternehmen - offiziell wurden keine Namen bekannt gegeben, die Nachrichtenagentur Ansa aber erwähnt etwa Antinori, Frescobaldi und Castello Banfi - sollen den Sangiovese-Wein angeblich mit Merlot oder Cabernet Sauvignon verschnitten haben, um so einen runderen "Brunello" zu erzeugen, der dem Geschmack des internationalen Marktes entgegen kommt.

Gesundheitsgefährdend wäre das nicht, rufschädigend allemal. Die USA drohten mit Einfuhrstopp, die Regierung in Rom versprach, die Reinheit zu garantieren. Staatsanwälte versuchen nun, mit chemischen Analysen nachzuweisen, dass der beschlagnahmte Brunello den Saft fremder Trauben enthält. Campatelli vom Brunello-Konsortium glaubt nicht recht, dass dies funktioniert: "Solche Analysen wurden noch nie in einem Prozess anerkannt." Es sei fraglich, ob sich Beimischungen anderer Trauben nach jahrelanger Lagerung nachweisen lassen. Sein Konsortium werde die Weinberge aber stärker überprüfen. Seit 2004 habe man 1700 der 2000 Hektar für Brunello ausgewiesenen Rebflächen kontrolliert. Nur ein Prozent sei "nicht regulär" gewesen.

Ein heilsamer Skandal

Künftig könnten neue Kontrollmethoden, etwa eine Art DNS-Test, dem Verbraucher Gewissheit verschaffen, ob sein Brunello rein aus Sangiovese ist. Womöglich aber wird sich auch das Reglement ändern. Einige Winzer fordern, eine geringe Beimischung anderer Trauben zu erlauben. Für die Mehrheit wäre das ein Sakrileg. "Zugegeben, wenn man Merlot zugibt, wird der Wein weicher und schmeckt dem großen Publikum besser", sagt der Münchner Rechtsanwalt Robert Baumann auf seinem Gut La Pieve. Dennoch gehöre er zu den Traditionalisten. "Der Brunello, der uns so viel Erfolg bringt, besteht aus 100 Prozent Sangiovese. So soll es bleiben."

Baumann wollte sich ursprünglich nur einen Feriensitz in der Toskana kaufen. Dann begann er, für die Familie und Freunde Brunello anzubauen - und erlag dessen Faszination. Heute besitzt er eine kleine Cantina mit Stahlbehältern und Eichenfässern, in der er Brunello produziert. Die Weinaffäre vom Frühjahr hat ihm nicht geschadet, im Gegenteil. "Wir haben auf La Pieve seit dem Skandal einen noch besseren Absatz, weil wir nicht, wie die großen Produzenten, von den internationalen Märkten abhängen. Bei uns kann jeder Kunde vorbeifahren und schauen, wie wir arbeiten."

Auch Franco Biondi Santi kommt der Skandal gelegen. "Diese Geschichte ist sehr positiv, weil nun die Güter, die unsauber arbeiten, bestraft werden", findet er. Das Geheimnis des Brunello sei "Sangiovese in purezza", in absoluter Reinheit. Von einer Aufweichung des Reglements hält er gar nichts. "Ein Brunello braucht Zeit", sagt er. "Aber viele wollen nur noch schnelles Geld machen." Nicht mit ihm. Mit einer Unterschriftensammlung will der alte Patriarch nun das Erbe seines Großvaters verteidigen. Er droht: "Wenn die Brunello-Formel verändert wird, verlasse ich das Konsortium."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: