Kuba:Königin des Kondoms

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Berühmt wurde Krause in Kuba als sie im Fernsehen als erste ein Kondom zeigte. (Foto: aus dem Film "La Reine de Condon/Dschoint Ventschr Filmprod.)

Mit Anfang 20 geht Monika Krause nach Kuba. Unter Präsident Fidel Castro wird sie zur obersten Sexualerzieherin des Landes - und zeigt im Fernsehen als Erste ein Kondom.

Von Peter Burghardt

Die Nummer mit dem Kondom, legendär. Millionen Kubaner staunten vor dem Fernseher. Ein Gummi vor der Kamera! Und was der alles aushält! Die Hauptdarstellerin Monika Krause-Fuchs kennt die Episode natürlich auswendig, obwohl diese Vergangenheit in ihrem Wohnzimmer in Glücksburg an der Ostsee jetzt eher surreal daherkommt. Damals war sie La reina del condón, die Königin des Kondoms.

An jenem Sonntagvormittag Ende der Achtzigerjahre, manche Zuschauer lagen noch im Bett, wurde erstmals in Kubas Staatsfernsehen dieses praktische Verhütungsmittel gezeigt. Dank ihr. Die Moderatorin Krause dachte, es wäre an der Zeit, denn die Zahl der schwangeren Minderjährigen auf der Zuckerinsel war hoch und Aids schon eine Gefahr. Gefilmt wurde ihr wöchentlicher Sexualunterricht wie üblich auf der Terrasse ihres Hauses in Havannas Stadtteil Nuevo Vedado.

Das Wort "Kondom" durfte nicht vorkommen

"Das Thema heute ist das Kondom", hob die kubanische Deutsche beim ersten Versuch der Aufzeichnung an, doch der Regisseur bohrte im Hintergrund den Zeigefinger in die feuchtwarme Luft. Er flüsterte scharf: "Das Wort wird nicht gesagt!"

Der Aufnahmeleiter wollte partout nicht, dass der Begriff condón fällt. Also griff Monika Krause zum Synonym. "Hier habe ich ein Präservativ guter Qualität", sprach sie und rollte den feinen Kunststoff zwischen den Fingern. "Gibt es übrigens auch in Apotheken. Niemand kann mehr behaupten, dass das kein gutes Produkt ist." Das musste gesagt werden, denn Machos hielten diese Dinger mehrheitlich für eine Zumutung.

Nachher ließ die Dozentin Wasser in ihr Exemplar fließen, um die Reißfestigkeit zu demonstrieren. Wieder Schnitt. Der Assistent, der nachschenkte, hatte Angst, dass seine Hände erkannt würden. Nächster Versuch, ohne sichtbare Assistentenhände, so wurde gesendet. "Wirklich unglaubliche Resistenz", kommentierte Monika Krause und schwenkte das Präservativ mit einem Liter Wasser darin wie einen Elefantenhoden.

Aus der DDR nach Kuba

Ein gutes Vierteljahrhundert später wiederholt sie die Szene in ihrem Apartment an der Flensburger Förde als Pantomime und lacht. Gegenüber sitzt ihr zweiter Mann Harry Fuchs, ein pensionierter Tierarzt. Im Regal liegen Steine vom nahen Strand, ihr neues Hobby, und stehen Bücher, darunter ihre Biografien "Cuba - Meine Hölle, mein Paradies" und "Monika y la revolución". Die frühere Königin des Kondoms ist mittlerweile eine sehr schmale Rentnerin von 74 Jahren, und wer sie nicht kennt, der würde in ihr wohl kaum die ehemalige Erika Berger der Karibik vermuten. Seit der Wende lebt Monika Krause-Fuchs wieder in Deutschland, allerdings im Westen.

Begonnen hatte ihre Geschichte im Osten, wo einst dieser Kubaner vorbeikam. "Mein Kapitän", sagt sie. Die junge Monika wohnte in Rostock und studierte Lateinamerikanistik, das ferne Kuba hatten gerade die Rebellen um Fidel Castro erobert. Der junge Jesús Jiménez führte das erste Schiff der revolutionären Handelsflotte und machte 1961 in diesem Hafen der DDR Station.

1962 wurde geheiratet, und am Tag nach der Hochzeit begann der Umzug nach Havanna, obwohl die östlichen Behörden die Verbindung erst ablehnten. Die westlichen Behörden wiederum nahmen beim Zwischenstopp in Hamburg verwundert zur Kenntnis, dass diese Emigrantin trotz Mauerbaus nur auf der Durchreise war und keineswegs auf der Flucht. In der neuen Heimat wartete nach der Ankunft dann die Kubakrise mit sowjetischen Atomraketen und US-Seeblockade. Bewegte Zeiten.

Monika wurde zu Mónica, bekam zwei Söhne und die kubanische Staatsangehörigkeit, beendete ihr Studium an der Universidad de La Habana, ging mit Che Guevaras Frau auf die kommunistische Parteischule und wurde Mitglied der KP Kubas. Sie gewöhnte sich an die Hitze, den Geräuschpegel, an Reis und Bohnen sowie die libreta, die Lebensmittelkarte. Sie erinnert sich lebhaft an ihre erste von vielen Reden des Comandante Castro. Der Patron stellte die Geduld seiner Zuhörer stundenlang auf die Probe, sein Spanisch aber verstand sie anfangs besser als zahlreiche Landsleute, die halbe Wörter verschlucken.

Monika Krause übersetzte bald für die Handelsvertretung der DDR und bei Veranstaltungen auch immer mal wieder für die Castros. Nach wie vor könnte sie als Kubanerin durchgehen, wenn sie Spanisch spricht - es klingt wärmer und gleichzeitig strenger als ihr hanseatisches Deutsch.

Wozu Sexualerziehung auf Kuba?

Und dann, nach Missionen mit ihrem Kapitän in Amsterdam, New York und Santiago de Chile, sollte diese Frau aus dem Nordosten Alemanias auf einmal das körperbetonte Kuba aufklären. Die Idee kam von Vilma Espín, Gattin des nachmaligen Präsidenten Raúl Castro und seinerzeit Vorsitzende des kubanischen Frauenverbandes, in dem sie bereits als Funktionärin tätig gewesen war.

Ihr Mann vermittelte, und so gründete Monika Krause im Auftrag von Vilma Espín 1977 das Nationale Zentrum für Sexualerziehung und wurde dessen Direktorin. Für ausgedehnte Übersetzungen in der Dolmetscherkabine war sie nach einem Autounfall mit lebensbedrohlichem Genickbruch ohnehin nicht mehr geeignet.

Wozu Sexualerziehung auf Kuba, könnte man jetzt fragen. Die Menschen auf dem sozialistischen Eiland gelten nicht als verklemmt, auch wurden Scheidung und Abtreibung anders als in katholischen Hochburgen der Region früh erlaubt. Aber man erörterte sexuelle Problemfelder ungern öffentlich. "Das Thema war tabu", sagt Monika Krause-Fuchs. "Man sprach nicht darüber - man machte es."

Besonders tabu waren die Reizthemen Homosexualität, Aids, Machismo. Und der Umgang mit Kondomen, Pille und Diaphragma geriet nicht selten zu einer tropischen Form von russischem Roulette. In diesem Spannungsfeld bewegte sich die Entwicklungshelferin Dr. Mónica Krause aus Rostock, sie traf bei ihren Recherchen eine Art revolutionären G-Punkt. Sie brachte Klassiker wie den DDR-Ratgeber "Mann und Frau intim" nach Kuba. Sie ließ Bücher übersetzen und selbst verfassen - Geld dafür gab es, auf Bildung und Gesundheit legten die Castros von Anfang an großen Wert. Sie unterrichtete im Rundfunk und in Seminaren. Sie wurde bekannt.

Ältere Herren beschimpften sie. "Eine dezente Kubanerin macht so was nicht", bekam sie zu hören. Vielleicht war das einer der Gründe, warum ausgerechnet eine Ausländerin wie sie Stellungen und Empfängnisverhütung erklären sollte. Jüngere Damen bewunderten sie. Wenn ihr jemand schrieb, dann stand auf den Briefen als Adresse oft nur: "Für Mónica, die von der Sexualerziehung." Das genügte.

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Doch sie strapazierte die Toleranz der Funktionäre mit dem wassergefüllten Kondom und auch, als sie vor Fidel Castro und anderen Genossen von schwangeren Schulmädchen sprach. "Fidel hat sich auf die Lippen gebissen und am Bart gezupft", sagt sie und macht es nach. "Da wusste man: Er war wütend." Dazu zerbrach die Ehe mit ihrem Kapitän. Vom Mauerfall 1989 erfuhr Monika Krause tags darauf während eines Kongresses in Puerto Rico - auf Kuba begann derweil nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die sogenannte Spezialperiode, ein versorgungstechnischer Härtetest. Am 10. November 1990, Deutschland hatte sich gerade wiedervereinigt, stieg die Doctora Mónica ins Flugzeug. Sie mochte nicht mehr.

Manchmal träumt sie noch von den Stränden

Unter dem Vorwand eines Familienbesuchs nahm Monika Krause mit ihren beiden Söhnen eine der letzten Maschinen der Interflug und floh nach Berlin. Die Grenzkontrolle am Flughafen José Martí von Havanna war für sie ein Thriller, denn Flüchtigen drohten Strafen. In der linken Tasche trug sie heimlich ihren blauen DDR-Pass, mit der rechten Hand präsentierte sie ihren blauen Kuba-Pass. Am Ziel ging es umgekehrt, fast 25 Jahre danach stecken beide Pässe im Archiv.

Vilma Espín zeigte später Verständnis für ihre Ausreise ("sie durfte das"). Inzwischen ist die Förderin Espín gestorben, ihr Mann Rául Castro probt als Staatschef Ansätze von Marktwirtschaft und das Ende der Feindschaft mit den USA. Und die gemeinsame Tochter Mariela Castro Espín ist das, was Monika Krause war, Kubas oberste Sexologin.

Daheim in Deutschland schlug sich die Rückkehrerin Krause mit Billigjobs und Krankheiten herum, nach Kuba flog sie nie wieder. "Das ist vorbei, für immer und ewig." Manchmal träumt sie von den Stränden, der Uferpromenade Malecón, den Fischen und Papageien. Von ihrem Coup mit den Kondomen. Ansonsten ist es eine ferne Vergangenheit, nach der sie kaum mehr jemand fragt, trotz ihrer selbst verfassten Biografien und eines Schweizer Dokumentarfilms.

Aber als Monika Krause vor ein paar Jahren in den Ferien auf Teneriffa Hilfe brauchte, da war sie wieder ganz kurz La reina del condón, die Königin des Kondoms. Behandelt wurde sie zufällig von einem der vielen ausgewanderten Ärzte aus Kuba, und der war verblüfft vom Wiedersehen mit seinem Idol. "Die Welt ist verrückt", sagte er. "Sie waren meine Chefin. Ich habe für meine Doktorarbeit aus ihren Büchern abgeschrieben."

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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