Modewoche in der Hauptstadt:Die Berliner kommen

Am Montag beginnt die Fashion-Week. Vorab ein Überblick über die Modeszene der Hauptstadt.

Nadine Barth

"Warum sollte Berlin nicht eines Tages sogar London als Modemacht ablösen?" Diesen Satz warf Michael Michalsky mit lässiger Geste den Medien hin, es klang herausfordernd und sollte es auch sein. Aber ja, warum sollte Berlin keine Modemacht werden? Fast möchte man fragen, ob Berlin London nicht längst überholt hat - zumindest als Trendspot in den Augen eines fernen Auslandes, aus dem Touristen nach Berlin pilgern, um beim Wachsen dieser sich stets "neu erfindenden" Metropole zuzusehen? Michael Michalsky ist jedenfalls ein gutes Beispiel für die Trendwende, die sich in Berlin im Laufe der letzten zehn Jahre vollzogen hat.

Firma

Provokanter Nachwuchs: Im stillgelegten Stasi-Gefängnis am Alexanderplatz inszenierte Fotograf Ali Kepenek das junge Label Firma. Das Foto entstammt dem Buch "Berlin Fashion - Metropole der Mode" von Nadine Barth, das nächste Woche im DuMont-Verlag erscheint.

(Foto: Foto: extern)

Einst studierte Michalsky in London, am College of Fashion, nachdem er sein erstes Leben im weniger modischen Oldenburg hinter sich gelassen hatte. Er trieb sich in den Londoner Clubs herum, war Türsteher, arbeitete bei Levi's, und bekam dann seinen Traumjob: Global Creative Director bei Adidas, mit 180 Mitarbeitern in drei Designzentren. Michael Michalsky hatte eine Art Carte blanche und nutzte sie: Er fädelte Kooperationen mit Yoshi Yamamoto (Y-3), Stella McCartney und HipHop-Queen Missy Elliot ein.

Senkrechtstart für Michalsky

Doch irgendwann wollte sich Michalsky weiterentwickeln. Er wollte ein eigenes Label haben, und zwar noch vor seinem vierzigsten Geburtstag. 2006 gründete er es: Michalsky. Er hätte es überall auf der Welt lancieren können - aber nein, er ging nach Berlin.

"Viele Leute haben bis heute nicht begriffen, dass Mode mit Jugend und Jugendkultur zu tun hat, mit Musik und Rebellion. Das alles findet hier statt. Die Stadt ist Inspirationsquelle und optimaler Standort für ein Label wie Michalsky", sagt Michalsky. Aus dem Fenster seines Büros sieht er auf die Leipziger Straße, Berlin ist hier sehr dynamisch, es ist die Schnittstelle zwischen der gediegenen Friedrichstraße und dem etwas verwahrlosten Alexanderplatz, auf mehreren Spuren donnern die Autos an Plattenbauten vorbei, es ist eher Moskau als London.

Michael Michalskys Büro ist eher ein Loft, klar designt, weiß, weiträumig, mit Meetingpoints und Showroom. Die Kollektionen entstehen strikt nach einem sogenannten Brands-Plan, der nach Marketing- und Verbrauchergesichtspunkten erstellt wird. Obwohl erst zwei Jahre auf dem Markt, gibt es neben der Hauptkollektion bereits eine Jeanslinie (M-67), eine Sportlinie (michamic) und ab Frühjahr eine Sonnenbrillen-Kollektion. Im März wird Michalsky seinen ersten Flagshipstore eröffnen, am Monbijouplatz in Mitte, auf 150 Quadratmetern; im gleichen Gebäude residiert auch das Lifestyle-Magazin Liebling, das Tempo-Erfinder Markus Peichl jetzt vorantreibt.

Und als letzten Sommer die erste "Mercedes-Benz Fashion Week" stattfand, war Michalsky natürlich dabei. Nächste Woche zeigt er wieder in Berlin, in der Gemäldegalerie des Kulturforums am Potsdamer Platz. "Eine eigene Choreographie ist uns wichtig", sagt Nora Rochlitzer, Head of Communication bei Michalsky. "Damit schließen wir an unsere erste Präsentation im Roten Rathaus an."

Mit Power und einem grenzenlosen Optimismus wirbelt Michalsky also die Modeszene Berlins auf und nutzt sie wie ein Sprungbrett zur Verwirklichung der Vision, dass Michalsky dereinst "ein kompletter Lifestyle" werde.

Lesen Sie weiter, wie die Hauptstadt junge Designer unterstützt.

Die Berliner kommen

Die Stadt sagt "Ja, ich will"

create berlin

Das Netzwerk für Berliner Design

(Foto: Foto: www.create-berlin.de)

Die Berliner Szene bietet ein perfektes Fundament für solch hochfliegende Träume. Es ist ein fein abgestimmtes, fest gezurrtes Netz, das sich dort gespannt hat. Allen voran unterstützt der Senat die junge Szene - insbesondere ideell, für die ganz großen Gesten fehlt ihm das Geld. Doch was da ist, wird gern gegeben. Um die Verteilung kümmert sich zum Beispiel die Wirtschaftsförderorganisation "Berlin Partner", sie leistet auch Hilfestellung in organisatorischer Hinsicht, zum Beispiel bei der Suche nach Ateliers, wenn sich ein Unternehmen neu in Berlin ansiedeln möchte.

Von der Politik unabhängig agiert das Netzwerk "Create Berlin", zu dem sich unter anderem Agenturen, Modemacher, Stores und Museen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam Projekte zu stemmen. Da werden Präsentationen in Tokio, Schanghai und Mailand gehalten oder im eigenen Showroom Kunst, Grafik und Mode gezeigt. Highlight letztes Jahr war die Aktion "Destination: Berlin", bei der 80 Produkte von über 20 Designern im Design-Store des Museum of Modern Art in New York angeboten wurden.

Zum "Berlin Day", der als Auftakt stattfand, packten schillernde Persönlichkeiten wie DJ Paul van Dyk oder Sängerin Mia - und auch Michalsky - einen "Koffer" mit ihren Lieblings-Berlin-Gegenständen. Auch Bürgermeister Klaus Wowereit reiste an, es war ein weiteres Beispiel für die Trendkompatibilität von Berlin als Marke im Ausland.

Das Fundament bilden die Hochschulen

Die wichtigen Knotenpunkte im Berliner Modenetz sind die Modeschulen, die nicht nur für eine sprudelnde Quelle an Designnachwuchs sorgen, sondern auch als Produzenten auftreten. Die FHTW (Fachhochschule für Technik und Wirtschaft) hat ein eigenes Label, 30paar haende, mit dem sie sogar auf Messen vertreten ist: ein interdisziplinäres Projekt, das die Studiengänge Bekleidungstechnik, BWL, Kommunikationsdesign, Wirtschaftskommunikation und Internationale Medieninformatik umspannt.

Auch die Abschluss-Schauen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der Universität der Künste (UdK) gelten als heiße Nachwuchs-Events, auf die die Szene ein wachsames Auge hat. Die skurrile Modemacherin Vivienne Westwood lehrte ganze zwölf Jahre an der UdK und prägte das Verständnis vieler junger Designer für einen individuellen, wenn nötig auch extravaganten Zugang zur Mode. Ihr Nachfolger Stephan Schneider, der seine Kollektion aus Antwerpen heraus produziert, arbeitet auf einem ähnlich hohen Niveau. Kein Wunder also, dass viele UdK-Absolventen bei internationalen Modehäusern ganze Linien betreuen.

Dass Förderung auch privater Firmen sinnvoll ist, beweist "Labo Mode", ein Projekt, das die Modeschule Esmod Berlin zusammen mit den Galeries Lafayette ins Leben gerufen hat. Bei "Labo Mode" dürfen Jungdesigner drei Monate lang ihre Kollektionen auf einer eigenen Fläche im 2. Stock des Edelkaufhauses an der Friedrichstraße präsentieren und dort auch verkaufen - eine wichtige Erfahrung und zugleich eine große Chance für den Nachwuchs. Über 30 Designer wurden dafür bereits ausgewählt, zwei Drittel davon aus Berlin, und drei Kollektionen - Kaviar Gauche, c.neeon und Majaco - wurden sogar in das ständige Sortiment übernommen.

Auch aus der Getränkesparte kommt Unterstützung. Es gibt das "Moët & Chandon Fashion Debut" und die "Beck's Fashion Experience", beides sind jährlich stattfindende Modenschau-Wettbewerbe, bei denen eine hochkarätige Jury einen Gewinner kürt.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite mehr über Wettbewerbe, die als Talentschmieden gelten.

Die Berliner kommen

Postbahnhof

Der Berliner Postbahnhof ist eigentlich bekannt als Party-Location.

(Foto: Foto: www.postbahnhof.de)

Dabeisein ist alles

Doch wer gewinnt, ist letztlich nebensächlich - Hauptsache, man ist als Newcomer dabei: Im Publikum sitzen neben Medienvertretern auch Agenten, beispielsweise aus Japan, die das sich gerade vor aller Augen formierende Label gern unter Vertrag nehmen. Die Devise: Berlin ist hip - aber Tokio noch hipper, weil es das erkennt. Frank Leder liefert fast seine ganze Kollektion nach Japan, c.neeon etwa die Hälfte, LaLa Berlin gibt es in den wichtigen Trendkaufhäusern in Tokio. Esther Perbandt, Pulver, Penkov: Ein Japaner kennt die Namen, hierzulande tut man sich noch ein wenig schwer, die Berliner P.s und die M.s (Majaco, Mayer, Mazooka, Macqua) auseinanderzuhalten.

Das wollen zwei findige Unternehmer nun ändern; im großen Stil möchten sie in die Berliner Modeszene investieren. Dass sie es verstehen, aus einem guten Image Kapital zu schlagen, haben sie bereits 2003 bewiesen. Da übernahmen Markus Höfels und Jürgen Schnappinger die Coffeeshop-Kette Einstein und wendeten den drohenden Konkurs ab. Und nun also Mode: Im Oktober 2007 starteten sie die Icon Fashion Group AG mit Sitz in Berlin-Moabit, wo zukünftig auch in einem eigenen Atelier Showteile entstehen sollen.

Denn die Marketingprofis wissen: Präsentation ist alles. So schickt die Icon Fashion Group auch gleich zwei junge Designerinnen ins offizielle Schauen-Programm der 2. Mercedes-Benz Fashion Week, die am kommenden Montag beginnt.

Wirbel um die Modewoche

Vor einem halben Jahr war man noch medienwirksam am Brandenburger Tor, jetzt hat Veranstalter IMG - der auch die New York Fashion Week ausrichtet -, mit dem Alten Postbahnhof einen ernsteren, geschäftsmäßigeren Rahmen gewählt. Neben Unrath & Strano, die ihre coutureartigen, wunderschönen Kollektionen sonst in Mailand oder Paris zeigen, und Sisi Wasabi, die mit ihrem edlen Trachtenlook gut in Mailand oder Paris zeigen könnte, wird der "Schedule" von Strenesse (Blue), Joop! Menswear oder Susanne Wiebe bestritten. Berliner Designer sind also in der Minderzahl, das liegt sicherlich auch an den hohen Kosten für so eine Show.

Den Jüngsten finanziert Karstadt den Auftritt: Jeweils vier Nachwuchslabels dürfen sich um den "Karstadt New Generation Award" balgen (diesmal: Mongrels in Common, Miroïke, Pulver und QED).

Da fällt es auf, wenn ein Label wie Macqua, das bislang als Ein-Frau-Unternehmen mit freien Mitarbeitern aus einem Souterrain-Laden-Atelier im Prenzlauer Berg heraus gemacht wurde, plötzlich eine eigene, große Show bekommt. Aber die Icon Fashion Group macht's möglich, und das Niveau der Linie von Meike Vollmar hält den Anforderungen sicherlich stand: Es sind weiche, feminine Entwürfe, die in harmonischen Brüchen mit Leder oder Grunge-Elementen einen ganz eigenen Look haben.

Das zweite Icon-Label wird ein komplett neues sein, Sinemus heißt es, das ist der Nachname von Carolin Sinemus, die bis Ende 2006 die zweite Hälfte von Sisi Wasabi war und damals mit Zerlina von dem Bussche das Trachtenlabel auf den Roten Teppich brachte.

Weiter geht es auf der nächsten Seite mit Zukunftsprognosen für Berlin.

Die Berliner kommen

Sisi Wasabi

Das Berliner Label Sisi Wasabi steht für junge und hippe Trachten

(Foto: Foto: www.sisiwasabi.com)

Um eine Berliner Schule zu etablieren, braucht es drei Labels. Mindestens.

Kann man eigentlich in Berlin Mode machen, ohne auf die Netzwerke, die Förderer, die Fashion Week zurückzu- greifen oder Michalsky zu heißen? Dass das geht, beweisen zwei stille, bedachte Schnitt- und Stil-Experten, die weder in Berlin studiert haben, noch bei einer der Nachwuchs-Shows dort in Erscheinung traten: Carl Tillessen und Daniela Biesenbach. Schon 1997 lancierten sie ihre eigene Männerkollektion, und sie wählten dafür einen Namen, der deutscher nicht sein konnte: Firma.

"Das ist für uns eine Frage der Identität", erklärt Carl Tillessen. "Wir kommen aus Deutschland, wir produzieren hier. Es ist Teil unseres Verständnisses von Mode." Neben Schnitttechnik studierte er auch BWL, Firma hat mittlerweile zwölf Mitarbeiter und verkauft in die ganze Welt. Zwei Stores als Franchise-Unternehmen, einer in Berlin, einer in Zürich, arbeiten erfolgreich, mittlerweile gibt es auch eine Frauenkollektion. Vor allem die USA sind ein interessanter Markt für die klassisch-moderne Linie. Dort spricht man bei Firma bereits schon von den Nachfolgern von Jil Sander oder Helmut Lang.

Tillessen glaubt, dass Berlin nicht gegen London antrete, sondern erst einmal eine andere Hürde vor sich habe: Antwerpen. Denn lange sprach die Branche von den "Antwerp Six" - dazu gehörten unter anderem die Modemarken Dries van Nooten, Dirk Bikkembergs und Ann Demeulemeester, die von dort aus die Szene aufmischten. "Drei mindestens braucht Berlin, um international eine Art Berliner Schule zu etablieren, sechs wären natürlich besser", sagt Tillessen. Wer das sein könnte, lässt er vornehm im Raum stehen.

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