Moderne Sammelwut:Irrationale Besitzgier

Früher hat Eigentum die Menschen mehr als heute einer Gruppe zugeordnet. In der frühen Neuzeit sorgte beispielsweise die Luxusverordnung dafür, dass reiche Bauern nicht zu sehr in ihrem Wohlstand schwelgten. Sie regelte sogar, welchen Schmuck ein Bräutigam seiner Braut schenken durfte. "Heute gibt es keine allgemeinverbindlichen Regeln, wir müssen uns selbst kontrollieren und auswählen, was wir haben wollen", sagt Siegrist.

Was einmal in unserem Besitz ist, hat für uns allein deshalb mehr Wert, weil wir es besitzen. Ökonomen haben diesen Endowment- oder Besitztumseffekt, der den rationalen Homo oeconomicus einmal mehr widerlegt, in zahlreichen Experimenten getestet. Es war immer das Gleiche: Bekamen alle Versuchspersonen als Belohnung eine Tasse geschenkt und wurde ihnen angeboten, diese gegen Schokolade einzutauschen, wollten das die Wenigsten tun. Bekamen sie anfangs hingegen Schokolade geschenkt, wollten sie diese nicht für die Tasse hergeben.

Wertvoll trotz Kursverlust

Georg Kirchsteiger, Verhaltensökonom an der Université Libre in Brüssel, gibt der Evolution die Schuld an unserem Besitztumswahn. Menschen mit starkem Endowment-Effekt haben sich in der Vergangenheit besser durchgesetzt als andere. "Wer bei einem Tausch weniger bereit ist, sein eigenes Gut herzugeben, hat gegenüber dem anderen Drohpotential, um den Preis hochzutreiben", sagt Kirchsteiger. Das ist ein überlebenswichtiger Vorteil bei jedem Handel.

Heute nützt uns das höchstens noch auf dem Flohmarkt. Manche Ökonomen warnen sogar vor Schäden durch den Endowment-Effekt, etwa wenn der Besitzer an einer Aktie auf Talfahrt festhält, nur weil sie sein ist. "Für denjenigen, der sein Vermögen maximieren will, ist das ein Nachteil", sagt Kirchsteiger. Wer aber auf den Nutzen schaue, entdecke keinen Schaden. "Egal ob der Kurs schlecht ist, für den Besitzer ist die Aktie eben wertvoll."

Weil der Besitzer sein Eigentum so schätzt, pflegt er es. Ein Beispiel: Sobald in den neuen Ländern die Eigentumsfragen geklärt waren, verwandelten sich die grauen Fassaden des Sozialismus in frischrenovierte, farbenfrohe Gebäude. Eben deshalb setzt sich Otto Depenheuer, der an der Universität Köln Rechtswissenschaften lehrt, für den Schutz des Privateigentums ein. "Wir tragen Verantwortung für unser Eigentum und sind in ständiger Sorge darum", sagt er und gesteht ein: "Insofern kann Besitz auch zur Last werden."

Kopp-Wichmann hat diese Last lange mit sich herumgetragen. Trotzdem hat er gelitten, als er seine Bücherkisten zur Spende fuhr: "Es hat mich mit meiner eigenen Endlichkeit konfrontiert", sagt er. "Diese Bücher werde ich nie wieder lesen, nie wieder besitzen." Wenn er sich heute ein Buch kauft, gibt er es weg, sobald er es ausgelesen hat. Dann ist der Abschiedsschmerz noch nicht ganz so groß.

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