Moderne Salons in Berlin:Stars im Wohnzimmer

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Die Generation 30plus öffnet ihre Wohnzimmer für Ausstellungen, Kunstperformances oder politische Diskussionen. Abseits von Kommerz und Alltagsstress sucht sie nach Intimität und Tiefgang.

Christian Fuchs

Die beige Eingangstür zu finden, ist schon ein kleiner Erfolg. Irgendwo in der Mitte der Schönhauser Allee soll das "Slomo" sein. Von draußen deutet nichts darauf hin, dass hier ein "verlängertes Wohnzimmer für Universaldilettanten" lauert, wie Gründer Jan Kricheldorf seinen Salon selbst beschreibt. In einem verlebten grauen Wohnhaus laden Jan und zwei Mitstreiter zwei Mal in der Woche zu einem besonderen Ereignis - nur für Eingeweihte.

Slomoladen: 3-Gänge-Menü für 9,50 Euro. (Foto: Foto: Christian Fuchs)

Salons sind keine neue Erfindung. Bereits im 18. und 19.Jahrhundert fand sich Bürgertum und Adel zum intellektuellen und literarischen Austausch zusammen. Besonders Henriette Herz und Rahel Levin nutzen ihre Rolle als Ehefrau aus gutem Hause, um als Saloniéren die gesellschaftliche Elite von Humboldt bis Heine in ihre Privaträume einzuladen. Die Kunst des gepflegten Gesprächs stand im Zentrum. Viel später, in Zeiten von Diktaturen, wurden Wohnzimmergespräche zur einzigen Möglichkeit für Intellektuelle zum freien Gedankenaustausch.

Trotz Meinungsfreiheit, gibt es heute wieder ein gesteigertes Bedürfnis an Salonkultur. Das Fachmagazin "politik&kommunikation" zählte Anfang des Jahres 84 Salons in Berlin. Künstlerische, erotische und literarische Salons wurden dabei nicht einmal berücksichtigt. Die unterschiedlichen Organisatoren eint der Wunsch nach mehr Privatheit in der anonymen Großstadt. Sie schaffen sich selbst Orte ohne Eintrittskarten. Das ist ihre Antwort auf eine Sehnsucht nach Kreativität, Tiefgang und Gedankenaustausch.

Privatheit statt Anonymität

Die Drei-Zimmer-Wohnung in der 1. Etage des Prenzlauer Berg-Altbaus verwandelt sich regelmäßig in das "Slomo": In einer Nacht entsteht zuerst ein Gourmetrestaurant, dann ein Kulturhaus und später eine lockere Partylounge. Nur Mitglieder des Slomo e.V. kommen rein. Praktischerweise gibt es die Mitgliedsanträge gleich am Eingang. Das hat zwei Gründe: Die Veranstalter können als Verein ohne Schanklizenz und Behördenauflagen eine Bar betreiben und Essen anbieten. Andererseits bleibt der Kreis der Eingeweihten klein. "Dadurch, dass es nur ein paar Mitwisser gibt, entsteht eine Intimität in der Großstadt", erklärt Jan Kricheldorf das Konzept. "Das ist die Sehnsucht der Zugezogenen, die sich so ihre eigenen Räume schaffen." Gegründet wurde der Slomoladen 1999 von Studenten aus Österreich, Thüringen, dem Ruhrgebiet. Damals schufen sie inmitten des hippen Metropolentrubels in der Kastanienallee den ersten Ort, "an dem man unverkrampft ist und sich wohlfühlt", sagt Jan.

Der Wunsch nach privaten Rückzugsräumen ohne Coolness-Pflicht scheint groß. Auch Ulrike Rossa nervt schon länger, dass es keine unkommerziellen Orte gibt, an denen man ungezwungen Bekannte treffen kann. Sie möchte im Herbst einen "Jugendclub für Erwachsene" in Neuköln eröffnen. Sie kenne viele Singles über 30, die ihre Abende krampfhaft planen müssten, um Freunde zu treffen oder lieber gleich allein zu Hause blieben. Wer in den Club aufgenommen wird, entscheiden die Mitglieder. Ihr Traum ist es, jederzeit in den Club einkehren zu können, jemanden zu erkennen und wie selbstverständlich ins Gespräch zu kommen - eben wie in einem Jugendclub, den die urbanen Menschen noch aus ihrer Provinzjugendzeit kennen.

Diskutieren und Netzwerkeln

Fehlende Freunde in der neuen Heimat waren auch der Auslöser für die Manager-Theaterpädagogin Stefanie Neubeck, ihren eigenen Salon46 zu gründen. Darum lud sie vor vier Jahren erstmals Menschen in ihre Dachkammerwohnung ein. Nun gibt es regelmäßig ein Motto, zu dem Gäste "ihre Spielwelt ausleben können, die im Beruf geschäftsschädigend wäre": Musizieren, Performances, Geschichten erfinden in einer ungezwungenen Atmosphäre. Daneben hat das lockere Zusammensein durchaus geschäftliche Folgen. Für die meist freiberuflich-arbeitenden Freunde wird der Salon auch beiläufig zur Netzwerk-Plattform.

Ähnliches hat Julie August in ihrer Salon-Galerie 18m erlebt. Wenn sie einmal im Monat zu einer Vernissage in ihre Privaträume lädt, kämen "viele spannende Menschen" in ihre Wohnung, die sie sonst nie kennen gelernt hätte. Angeregt durch Kunst und Rotwein, kommt man ins Gespräch und neue Projekte ins rollen - wie ein Architekturbuch. Autor und Fotograf trafen sich vor einem Bild in Augusts Wohnzimmer.

Netzwerkeln in lockerer Umgebung ist auch ein Grund für die Gäste aus dem Politikbereich, die sich unregelmäßig im "Bötzowkreis" des Ehepaars Albin treffen. Während Tochter Lilly im Flur der riesigen Altbauwohnung schaukelt, werden in der Küche nach wenigen Minuten bereits die ersten Visitenkarten gewechselt. Berührungsängste, etwa zwischen einem Grünen-Sprecher und einem CDU-Strategen, gibt es nicht. Der offizielle Grund für die Treffen sind politische Gespräche "unter drei" oder Diskussionen von geladenen Referenten.

In Berlin hat sich eine vitale Salon-Szene etabliert. sueddeutsche.de stellt exemplarisch einige moderne Salons vor:

Der politische Salon - Bötzowkreis

Der politische Salon: das Gesagte bleibt "unter drei". (Foto: Foto: Christian Fuchs)

Heute Abend wird ein Tabu gebrochen. "Das letzte politische Tabu der BRD: Gelb-Grün", beschreibt Wolf Albin das Thema leicht ironisch, zu dem er und seine Frau Silke 21 teilweise fremde Menschen in ihre bürgerliche Altbauwohnung eingeladen haben. Mitarbeiter aus Ministerien, Parteien und Redaktionen strömen seit zehn Jahren unregelmäßig in das Wohnzimmer des jungen Juristen-Paars im Bötzowviertel im Prenzlauer Berg.

Der Zugang zu dem exklusiven Kreis ist streng und läuft ausschließlich über die Albins. Als politisch-interessierte Gastgeber möchten sie Themen vordenken oder Hintergründe aktueller Politik wirklich verstehen - darum laden sie sich die ein, die die Politik machen. Heute Abend haben sie Vertreter von Grünen und FDP geladen, um Herauszufinden was die beiden Kleinparteien eint und ob in Zukunft eventuell eine Koalition möglich ist?

An anderen Abenden ging es um die Macht der Medien, den EU-Beitritt der Türkei oder Amerikanische Außenpolitik. Auch prominente Politiker wie Peter Hintze oder Norbert Lammert haben sich als Referenten den kritischen Nachfragen der Teilnehmer bei Wein und Erdnüssen bereits gestellt. Die Politiker wissen, dass alles Gesagte "unter drei" bleibt - nichts drängt nach außen. "Bestimmte Positionen hätte ich öffentlich so nicht sagen können", schätzt die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, den "Bötzowkreis". Das gute Gesprächsklima führt zu Diskussionen auf hohem Niveau. Lemke war schon zwei Mal Gast im etwas steifen Salon und nutzt die Nachtschicht auch für sich: "Hier konnte ich meine eigenen Argumente auch mal vor fremden Publikum ausprobieren", sagt sie.

Der Jugendclub für Erwachsene

Ein wenig ist die Idee geklaut. Das gibt Ulrike Rossa auch freimütig zu, wenn sie von ihrem Plan, einen "Jugendclub für Erwachsene" zu gründen, spricht. Die Idee erinnert an türkische Kültürclubs, von denen es in Neuköln viele gibt. Dort will Rossa ihren Club auch eröffnen - wegen der günstigen Mieten. Nur Mitglieder sollen Zutritt erhalten und bisherige Mitglieder entscheiden, wer neu aufgenommen wird. "Der Clubstatus macht die Sache elitärer", sagt sie. Die "Members only"-Fraktion identifiziere sich so stärker mit der Idee.

An der Bar soll es Bier zum Einkaufspreis geben und alles so unprätentiös wie möglich daherkommen. Die Kosten sollen durch einen Monatsbeitrag von zehn Euro auf die bis zu 100 Mitglieder verteilt werden. Im besten Falle entsteht ein lockerer Rückzugsraum von Freunden, an dem Pärchen einen Abend ihr schreiendes Kind vergessen können und man sich ungezwungen trifft, Musik lauscht oder gemeinsam kocht. Privatheit statt Anonymität.

Der künstlerische Salon - Salon46

Stefanie Neubeck fehlte anfangs in Berlin an Kontakten zu spannenden Menschen. Von einem New Yorker Freund erfuhr sie vom "Brooklyn Love Salon". Die Salonidee faszinierte sie und seit 2003 lädt sie vier Mal im Jahr Freunde und deren Freunde in ihre 60qm Dachgeschosswohnung in Kreuzberg zum "Salon46".

Stets steht der Samstag unter einem anderen Thema, dem sich die Gäste kulinarisch und künstlerisch nähern. Mal ist es "Frühlingserwachen", mal "In einem Wassertropfen schwimmen" oder "Schlaf und Klang". Jeder Besucher bringt selbstgemachten Pudding oder Kuchen mit und rezitiert ein Gedicht, spielt ein Stück am Klavier, zeigt Schattenspiele oder legt in der Gruppe Kastanien zu Buchstaben auf den Fußboden.

Stefanie Neubeck möchte Lebensfreude "humor- und qualitätsvoll" umzusetzen. Zur thematischen Stimulanz lädt die Theaterpädagogin für Manager - die sich selbst "Salonelfe" nennt - auch Trompeter oder Graffitikünstler ein, die durch Livezeichnungen oder Jazzmusik ihrerseits Anstöße einbringen sollen. Dadurch entstehe eine lockere Atmosphäre zwischen ihren internationalen Freunden, "ein bisschen queer, aber überhaupt nicht bürgerlich."

www.salon46.de

Die Salon-Galerie - 18m Galerie für Zahlenwerte

Einmal im Monat dringt zeitgenössische japanische Musik oder Stimmen einer Fluxus-Performance aus der Wohnzimmergalerie 18m nach draußen auf Schöneberger Straßen. Denn an jedem 18. eines Monats lädt die Grafikerin Julie August zu einer Vernissage, Finissage oder Performance. Im zweiten Stock hat sie sich eine kleine Galerie in ihrer Wohnung eingerichtet, "eine Kunst-WG, weil ich mit den Werken zusammenlebe", sagt sie.

An den weißen Wänden ihrer Stuckdecken-Altbauwohnung hängen Fotos, Ölgemälde oder Installationen aus Alltagsgegenständen - vom Flur bis in die Küche. Weil das ihren früheren Nachbarn zu viel war, musste sie bereits einmal umziehen. Langsam etabliert sich ihre Idee, Kunsttheoretiker Bazon Brock war auch schon mal da. "Viele spannende Menschen kommen in meine Wohnung, die ich sonst nie kennen gelernt hätte", fasst Julie August ihre Motivation für das zeit- und kostenintensive Galerie-Hobby zusammen. Künstler träfen sich bei ihr zu Wein und Gesprächen, finden sich zu Gruppen zusammen und lassen Neues entstehen. Das allein reiche ihr, Eintritt würde sie nie nehmen.

www.18m-galerie.de

Der Popkultursalon - Slomoladen

Das Slomo ist wie ein Schmetterling, der in jeder Nacht seines Fluges drei Metamorphosen durchlebt. Der Abend beginnt in einem feinen Restaurant. In Blümchentapete und zwischen alten Öfen und goldberahmten Spiegeln servieren sogenannte "Kitchen Jockeys" Chili-Honig Huhn oder argentinisches Roastbeef auf Kartoffel-Maronen-Püree und gebuttertem Rosenkohl an Granatapfelsauce.

Das 3-Gänge-Menü kostet lediglich den Einkaufspreis der frischen Zutaten von 9,50 Euro. Nach dem Dinner wird Kunst serviert. Drehbuchautor Aron Craemer sucht dafür nach "Unterhaltungsprogrammen mit Bildungsauftrag". Einmal sollten die 50 bis 100 Gäste berühmte Filmszenen nachstellen ("Movieoke"), ein anderes Mal lasen "schöne Schauspielerinnen", wie Katharina Wackernagel, aus Werken der Weltliteratur und ließen das Publikum raten, woher die Zitate stammten. Oder es gibt Live-Action-Painting a la Jackson Pollock, Lesungen und Kurzfilmabende. Wer um Mitternacht dann noch feiern will, muss die Wohnung nicht verlassen.

Es gibt eine lichtgeflutete Bar auf der Tulpen stehen. Und auf einem Podest mit rotem Teppich beziehen Bands oder DJs Stellung. Alles natürlich halblegal und ohne Schanklizenz. Bereits vier Mal mussten die Gründer seit 1999 mit ihrem Schmetterling umziehen. Mal weil sie "die Bude runtergerockt hatten" oder Nachbarn sich über Zigarettenqualm beschwerten, der durch die Dielen in ihre Wohnungen zog. Die Polizei konnte ihnen jedoch noch nie etwas anhaben. Immer wenn sie gerufen wurde, kamen die Beamten zu einer vermeintlich privaten WG-Party.

Der Reiz dieses halböffentlichen Ortes zog auch Oscar-Preisträger Sebastian Koch, Regisseur Wim Wenders oder die Schauspieler Daniel Brühl und Jessica Schwarz ins "Slomo". Hier konnten sie in Ruhe ein Bier trinken, sich inspirieren lassen. Meist entsteht an den Abenden eine besondere Atmosphäre, Kreative treffen sich, neue Ideen werden entwickelt. Geld verdienen die Slomonauten mit ihrem Wohnzimmersalon nicht - ihre eigentlichen Jobs finanzieren den Liebhaber-Betrieb.

www.slomoladen.de/unserladen

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