Modedesignerin Phoebe Philo:Großes Mädchen

Den Zeitgeist eingefangen: Die Modedesignerin Phoebe Philo beeinflusst die Frauenmode wie niemand sonst. Das Comeback des Jahres.

Julia Werner

Sonst rissen sich Moderedakteure immer um die Einladungen von Balenciaga und Balmain. In diesem Oktober ist alles anders: Das Ticket ins Fashion-Paradies bekommt man von Celine. Wer die Einladung ergattert, wird Zeuge eines kometenhaften Comebacks: eines Pariser Traditionslabels, das in den letzten Jahren keiner mehr sehen wollte, und seiner neuen Chefdesignerin: Phoebe Philo. Frauen, die nur beim Zahnarztbesuch durch Modemagazine blättern, kennen ihren Namen nicht, und trotzdem hat diese Frau in den letzten Jahren ihre Garderobe beeinflusst wie niemand sonst.

Wir hatten es vor lauter Reverenzen an vergangene Epochen fast vergessen, worum es in der Mode eigentlich geht: darum, den Zeitgeist einzufangen. Wem das gelingt, der kleidet die ganze Welt ein. Ungefähr so, wie Christian Dior in der Nachkriegszeit mit seinem New Look das Straßenbild prägte. Oder wie Giorgio Armani mit seinen breitschultrigen Power-Kostümen in den achtziger Jahren die Karrierefrau zeichnete. Das Gleiche ist in diesem Jahrzehnt auch passiert; denn nichts wurde bis 2006 fieberhafter kopiert als die französische Marke Chloé in Phoebe Philos Händen.

Sie begann als Assistentin ihrer guten Freundin Stella McCartney, 2001 wurde sie deren Nachfolgerin und steigerte die Verkäufe des Labels um 60 Prozent. Die Miesmacher rieben sich die Hände, weil sie sich darin bestätigt sahen, dass die Beatle-Tochter nur den Namen hatte, Philo aber das Talent. Fest steht: Die Britin machte, was Mädchen wollen: Jeans mit Schlag, coole Hosenanzüge und süße Hippiekleider, lässige Schuhe mit bis dahin verpönt klobigen Absätzen und It-Bags mit kiloschweren Schlössern. Die Chloé-Girls fielen vielleicht nicht auf, aber immerhin waren sie gut angezogen, denn ihre Outfits wirkten lässig flohmarktartig zusammengewürfelt und trotzdem teuer. Wenig Kanten, viel Verkäuflichkeit.

Der Stil für das Jahrzehnt, das mit einer großen Katastrophe im September 2001 begann und mit einer großen Krise endete, kurz gesagt: das Jahrzehnt, in dem sich alle maßlos amüsierten, obwohl man es eigentlich nicht durfte. Tragbarkeit als oberste modische Maxime, und das, obwohl Phoebe Philo die legendäre Central Saint Martins School absolviert hat, die modische Genies wie Hussein Chalayan hervorbrachte, deren Avantgarde noch in den Neunzigern das Nonplusultra gewesen war. Sie selbst hat dazu gesagt: "Ich wollte immer nur eine Hose machen, die meinen Hintern besser aussehen lässt, nicht eine, die den Holocaust oder sonst was repräsentiert."

Dann, 2006, war sie weg. Einfach so. Sie begründete ihren Rücktritt damit, dass sie Zeit für ihre Kinder und ihren Mann, den Londoner Galeristen Max Wigram, haben wolle und ersetzte den Star-Designer- mit dem Hausfrauen-Status. So eine Entscheidung ist in der erfolgsbesessenen Modeindustrie, in der gefühlte neunzig Prozent solo und mit chronischen Verbitterungs-Mundwinkeln herumstöckeln, ein Skandal.

Erwachsen, unkompliziert und trotzdem très chic

Dass sie den Job bei Celine übernommen hat, hat den Präsidenten Marco Gobetti, mit dem es zu harten Auseinandersetzungen gekommen sein soll, einiges gekostet. So wurde das Designbüro von Paris nach London verlagert. Verkaufspunkte von Celine sollen stark reduziert werden, und an Interviews mit der schüchternen Phoebe kommt man so schwer wie an das Bernsteinzimmer. Ihre erste Pre-Kollektion hat sie bereits präsentiert, und das neue Celine ist nichts anderes als die Weiterentwicklung ihres Chloé-Looks, nur dass ihre Kundinnen jetzt eben nicht mehr Mitte zwanzig, sondern Mitte dreißig sind: schmale Zigarettenhosen mit fließenden Shirts und kurzen Schneider- Jacken, dazu schwere Sandalen mit konischem, gehbarem Absatz.

Das ist erwachsen, unkompliziert und trotzdem très chic. Eben das, was sich junge Mütter wünschen, die sich ihr Baby nicht vor den Bauch binden, kurz gesagt: was die 36-jährige Phoebe Philo heute selbst tragen möchte. Dass das Logo von Celine ein Pferdemotiv ist, das Philo erfolgreich bei Chloé verwendet hat, scheint wie ein Wink des Schicksals. Gegenüber dem Telegraph begründete sie ihre Rückkehr so: "Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass ich jetzt beides haben kann: glücklich in meinem Job zu sein und glückliche Kinder zu Hause zu haben."

Wahrscheinlich ist das ihr Verdienst, viel mehr als die Erfindung eines Stils. Emanzipation heißt für sie, auf nichts verzichten zu wollen. Phoebe Philo war früher Londoner Partygirl, dann wurde sie Karrierefrau, dann Mutter - und jetzt ist sie beides zusammen. Wir werden von ihr also übernächste Woche auch keine superbreiten Schulterpolster erwarten können, die ja gerade wieder sehr angesagt sind. Denn: Frauen müssen schon lange nicht mehr beweisen, dass sie große Aufgaben schultern können. Sie tun es längst. Phoebe Philo ist der lebende Beweis, der uns die passenden Klamotten dafür liefern wird.

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