Mode:Tom Ford ist wieder da

Die kreative Pause von Tom Ford ist vorbei. Ermenegildo Zegna hat ihn sich geangelt.

Patrick Barton

"Happy sheep for happy men". In großen Buchstaben bohrt sich die tiefe Lyrik in ein dickes Buch: sattes Papier, Stoffeinband, schwerer Schuber. Dazu gibt es eine Prise rote Erde: ein Säckchen mit Bodenproben ist säuberlich zwischen die Seiten geklebt. Wunderbar haptisch ist das. Auf dieser Erde, die von versteckten Weiden in New South Wales und Victoria stammt, stehen glückliche Schafe. Richtig glückliche Schafe. Bei ihnen ist der Winter mild, der Sommer warm und das Gras daher saftig.

Mode: Die Sartoria Kollektion von Ermenegildo Zegna: in Parco dei Principe, dem furiosen Sixties-Hotel von Carlo Ponti in Sorrento sehr stilsicher fotografiert.

Die Sartoria Kollektion von Ermenegildo Zegna: in Parco dei Principe, dem furiosen Sixties-Hotel von Carlo Ponti in Sorrento sehr stilsicher fotografiert.

(Foto: Foto: Zegna)

Auf diesen Schafsrücken wächst die teuerste Wolle der Welt. Schafzüchter sind hier nicht mehr nur Schafzüchter, sondern so etwas wie Winzer, "Grands Crus" stehen in ihren Ställen. "Das Fell glücklicher und ungestresster Schafe", so die glückliche und ungestresste Botschaft, ist das Resultat ihrer Arbeit, Grundlage für einen Stoff, dessen Fäden viermal so fein sind wie ein menschliches Haar. All dieser Aufwand ist nötig, um Anzüge an den Mann zu bringen, die 10 000 Euro und mehr kosten. Fünfzig glückliche Herren weltweit haben sich davon bisher einwickeln lassen, Tendenz steigend. Und die Schafe wären wahrscheinlich noch glücklicher, als sie es ohnehin sind, wenn sie um den Wert der Ware wüssten, für die sie nicht mehr tun müssen, als jeden Tag etwas Gras zu fressen.

Das ist das eine Ende der Welt des Ermenegildo Zegna. Das andere Ende ist die Massenproduktion in China, aus der besonders der Markt am Ort bedient wird, mit anderen Stoffen und Schnitten als in Europa, aber immer mit demselben Namen: Zegna. Irgendwo dazwischen liegt neuerdings Tom Ford, der sich nach seinem Abgang bei Gucci eine kreative Pause gönnte. Jetzt ist er wieder da, endlich auch unter eigenem Namen.

In dieser Woche hat der Mann an New Yorks Madison Avenue seine ersten Boutique aufgemacht. Auf jedem Stück Stoff, auf Jacken wie auf Hosen in diesem Laden, prangt der Name "Tom Ford". Das Etikettieren, und alles was ihm vorausgeht, besorgt: Ermenegildo Zegna. Er hat sich die exklusive Lizenz gesichert, alle Produkte für Ford herzustellen. Nur für Brillen und Kosmetik kooperiert Ford mit anderen. Er scheint erkannt zu haben, dass er in der Mode doch am besten aufgehoben ist.

Die Verbindung mit Tom Ford hat Ermenegildo Zegna über seinen alten Geschäftsfreund, den vormaligen Gucci-Chef Domenico del Sole, eingefädelt.

Der Mann, der vor uns sitzt, heißt zwar so, ist aber nicht der Ermenegildo Zegna, der von Taschen und Reklamewänden grüßt. Die Firma ist nach seinem Großvater benannt, und jetzt leitet er sie zusammen mit Cousin Paolo. 1910 hatte Ermenegildo Zegna der Ältere im Piemont eine kleine Weberei aufgebaut, heute verfügt die Familie über eine Firma mit 5000 Angestellten, die mehr als 800 Millionen Euro Umsatz im Jahr macht: eine weltweit bekannte Marke, die für beste Stoffe und perfekte Verarbeitung steht.

Die Weberei ist noch immer das Herz des Unternehmens, aber heute sind es vor allem die Anzüge, die Zegnas makellosen Ruf ausmachen. Erst wurden sie nach Maß geschneidert, vor vier Jahrzehnten ließ man sich auch zur Konfektionsware herab. Immer in bester Qualität und vor allem aus bestem Stoff: Während andere Schneider sich von ihren Webern die Ballen aufrollen lassen und damit vorliebnehmen müssen, was ihnen angeboten wird, liegt bei Zegna die Produktion von der Weide bis zum Bügel in einer Hand. Und Zegnas Stoffe sind auch bei der Konkurrenz begehrt. Man kann etwa in Anzügen von Gucci, Armani und sogar Kiton das Weberlabel von Zegna finden.

Die Familie weiß um ihren Wert, Interviews geben sie selten, und Ermenegildo Zegna sieht auch heute leicht gelangweilt aus, bevor das Gespräch beginnt.

Zegna sitzt da, weißer Hemdkragen über dem Revers des rosa Jacketts, helle Hose, die Füße in braunen Loafers, keine Socken. Eine duftige Bekleidung für einen Mann Anfang fünfzig, der seriöse Anzüge mit kissing buttons und Kantennaht verkauft. Aber wir sind in Italien, also ist das in Ordnung. Herr Zegna redet viel und erzählt von seiner Marke, Qualität und Tradition. Neben ihm sitzt sein deutscher Geschäftsführer und versucht behutsam, das Gespräch zu lenken. Aber Zegna lässt sich schwer lenken. Er lenkt lieber selbst.

Am Abend zuvor hatte er zweihundert Gäste zu einem Freiluftdinner in die Villa La Pietra geladen. Als Gastgeber auf der Einladung zeichnet "The Zegna Family". Ein langer, von Zypressen gesäumter Kiesweg führt zum Anwesen am Rand von Florenz.

Tom Ford ist wieder da

Seit kurzem gehört es der New York University, der frühere Eigner hat es ihr vererbt. Das passt sehr schön, denn mehr als die Hälfte der Gäste kommt aus dem Land der neuen Eigner: Einkäufer von Saks Fifth Avenue, Barneys, Bergdorf Goodman und Bloomingdale's sind da. Sie reden viel über Tom Ford, aber auch über Zegnas grandioses Geschäftswachstum.

Mode: In Italien ist die Familie eben noch was wert. 
 Klassisch elegant, wie die Entwürfe ihres großen Traditionshauses für Herren, halten die Zegnas auch privat zusammen. Und zwar Damen wie 
 Herren. Von links: Paolo Zegna, Benedetta
 Zegna, Laura Zegna, ErmenegildoZegna und 
 Anna Zegna.

In Italien ist die Familie eben noch was wert. Klassisch elegant, wie die Entwürfe ihres großen Traditionshauses für Herren, halten die Zegnas auch privat zusammen. Und zwar Damen wie Herren. Von links: Paolo Zegna, Benedetta Zegna, Laura Zegna, ErmenegildoZegna und Anna Zegna.

(Foto: Foto: Zegna)

Spätestens seit Monica Lewinsky ist der Name Zegna in den USA in aller Munde. Als herauskam, dass Bill Clinton von seiner Gespielin eine Krawatte geschenkt bekommen hatte, die auch ihrer Affäre offenbar sehr förderlich war, widmete selbst der Corriere della Sera dieser Krawatte eine ganze Seite. Gut für Zegna, die Krawatte trug sein Label. Solche Werbung kann man für Geld nicht kaufen. Heute lächelt Signor Zegna darüber nur noch und verrät: "Es war ein sehr interessanter Schlips: gelb, aggressiv, sehr lebhaft." Mehr wäre ja vielleicht etwas anzüglich, und das wäre nicht gut fürs Geschäft. Der Mann kann sich gut in die amerikanische Mentalität hineinversetzen. Zwei Jahre lang war er Assistent des Chefeinkäufers bei Bloomingdale's, perfekte Schule für das Erspüren der Bedürfnisse seiner Kunden.

Zegna geht von Tisch zu Tisch, hier ein Lächeln, dort ein Küsschen. Alle sind sie da, auch Zegnas Adjutanten. So viele von ihnen gibt es nicht, aber Allesandro Sartori läuft tief entspannt vorneweg. Er ist das vielversprechendste Eigengewächs bei Zegna. Seit fünf Jahren betreut er die Linie "ZZegna", mit der die Jüngeren und Wagemutigeren angesprochen werden sollen. Schlankere Schnitte, mutigere Details sind das eine. Noch wichtiger aber ist die unverwechselbare Qualität: 95 Prozent der für ZZegna verwendeten Stoffe werden exklusiv für diese Marke verarbeitet, und die meisten stammen aus Zegnas Webereien im Piemont.

Der andere große Zegna-Mann heißt Michael Ködel, er ist einer der wenigen Deutschen, die in Italiens Modewelt etwas zu sagen haben: Erst war er bei Hugo Boss, dann bei Wolfgang Joop, und jetzt ist der Schwabe Ködel Chef von Zegnas oberster Produktlinie. Mit einem solchen Lebenslauf fiel es ihm leicht, die Marke etwas von der Muffigkeit des ewig Dunkelblauen und Dunkelgrauen, mit und ohne Nadelstreifen, zu befreien. Und doch trägt er selbst hier Dunkelblau, das ihn, auf einer Körperlänge von knapp zwei Metern verteilt, etwas zu erhaben für dieses Umfeld, wenn auch nicht schlecht, aussehen lässt.

In dieser Welt gelten andere Gesetze, und man begutachtet einander natürlich auch anhand der Bekleidung, lugt, ob das Jackett des Gegenübers ordentlich tailliert ist und rät, wer es geschneidert hat. Ein deutscher Einkäufer fällt ganz besonders auf. Er trägt kein Jackett, aber weiße Jeans, deren Beine knapp über dem Fußknöchel enden. Dazu Polohemd aus Baumwoll-Piquet. In diesem Fall ist die legere Garderobe egal: Der starke Mann ist beliebt, er ordert hier in großen Stückzahlen. Immer nur Boss und Armani ist auf die Dauer langweilig. Da tut sich eine Lücke auf, die Zegna füllen will. Dadurch wird die exklusive Marke natürlich immer weniger exklusiv.

Dieses Risiko sieht auch Herr Zegna: "Wir wollen keine Verwässerung der Marke, wir wollen eine Verbreiterung der Absatzwege." Das klingt nüchtern, unemotional, technisch. Er benutzt dafür englische Wörter, die italienisch klingen. Fünf Sprachen spricht Zegna, auch ein wenig Deutsch. Für eine kurze Zeit hat er in Berlin gearbeitet. Um dreißig Prozent ist der Umsatz allein in Deutschland im vergangenen Geschäftsjahr gewachsen, und er soll weiter wachsen. Weltweit.

Nachdem in China inzwischen mehr als 50 Geschäfte die Serifen des Namenszugs von Zegna tragen, will die Firma nach Indien und Südamerika. Und sie will, dort und überall, etwas von der schon leicht blass gewordenen Aura des Tom Ford mitnehmen. Zegna steht für das seriöse, unverspielte Segment, und von diesem Ruf kann (und will) man sich nur schwerlich befreien. Adrien Brody war eine Zeitlang das in allen Magazinen präsente Model für Zegna, aber Brody hat wenig dazu beitragen können, die Marke grundlegend zu verjüngen. Dazu sagt der Chef nur: "Wir haben unser Engagement mit Adrien Brody beendet, und jetzt schauen wir, ob es neue Optionen gibt."

Mit Tom Ford im Boot sollte es kein Problem sein, neue Ideen für Starcastings aus Hollywood zu bekommen.

Welche Rolle übernimmt der Freund des berühmten Modejournalisten Richard Buckley nun genau bei Zegna? Mit ihm möchte die Firma in neue Galaxien vordringen. Nach der Eröffnung in New York will er demnächst auch den Käufern in Mailand, Tokio, London und Los Angeles zeigen, dass es einen Mittelweg gibt, irgendwo zwischen Unternehmensberater und Fashionista. Es geht, so hofft man, auch ansehnlich unkonventionell. Tom Ford widmet sich weiterhin ausschließlich den Herren. Da ist er bei Zegna gut aufgehoben.

Abgesehen vom Zukauf der kleinen Damenschneiderei Agnona, bedient man auch dort nur Männer: Sie sind bei Mode loyaler als Frauen, die Produkte sind einheitlicher, die Margen größer. So groß, dass 100 Millionen Euro übriggeblieben sind. So viel Geld habe er auf der Bank, sagt Zegna. Und da soll es auch bleiben. Die Losungen der internationalen Geldwelt hat er parat. IPO? Nein, nein. Danach wird er immer wieder gefragt, nach dem Börsengang. Erst floskelt er ein wenig herum, aber dann wird Zegna deutlicher: Zunächst müsse man die Kuh fett machen, dann könne man über einen IPO nachdenken. In der Marke stecke noch so viel Potential. Das unterstreicht er mit einem etwas lauten Lachen, als ob er sagen wollte: Ich bin doch nicht blöd.

Und das Privatleben? Auf Anfrage heißt es: "Über Privates reden die Zegnas nicht gerne." Vielleicht ist das Familienleben aber auch nicht spektakulär genug für die Klatschspalten. Geschichten wie über Versace und Gucci, von Mord und Intrigen, wird man von den Zegnas nicht hören. Seine Frau, sagt Ermenegildo, sei ein Geschenk Gottes, sehr bedacht, sehr besonnen, sehr unprätentiös. Mit ihr, Sohn und Tochter lebt er abgeschieden vom Rummel Mailands im Tessin.

Er ist der erste Mann in der Firma, und damit der erste Mann in der Familie. "In gewissen Familien will immer jemand die Primadonna sein. Bei uns ist das die Marke." Das hat Anna Zegna einmal gesagt, Ermenegildos Schwester. Und warum ist Gildo, wie sie ihn nennen, der Primus? Da zuckt er mit den Achseln und sagt etwas von Leadership und Stärke. Aber genau erklären will er das nicht. Da muss man andere fragen. Und die sagen, dass Leadership und Stärke eben für ein ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen stehen. Ermenegildo hat das lernen müssen, vor allem in seiner Familie.

Man denkt an die Zukunft. Wie heißt der Sohn? Ermenegildo. Und was wird der kleine Ermenegildo machen, wenn er mal groß ist? Die Antwort von Ermenegildo, dem Zweitältesten, kommt schnell, ohne ein Lächeln und mit ungeahnter Bestimmtheit: "Wir werden sehen." Hinter vorgehaltener Hand erzählen Mitarbeiter, dass er sich mit seinem Vater manchmal in die Haare gekriegt hat. Einmal war der Streit so handfest, dass Umstehende dachten, jetzt würde es handgreiflich. Zehn Minuten später schien dann aber wieder die Sonne.

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