Konsum:Die Wucht in Tüten

Konsum: Tragetaschen der Luxuslabels sind treue Begleiter des mondänen Lebens, das hat man aus Filmen wie "Clueless" mit Alicia Silverstone gelernt.

Tragetaschen der Luxuslabels sind treue Begleiter des mondänen Lebens, das hat man aus Filmen wie "Clueless" mit Alicia Silverstone gelernt.

(Foto: imago images/Mary Evans)

Papiertaschen mit Markenaufdruck gehören zum Shopping dazu. Über das Statussymbol mit dem vielleicht besten Preis-Leistungs-Verhältnis.

Von Anne Goebel und Max Scharnigg

Gerade wird in China Neujahr gefeiert, die Ära des Hasen beginnt, und wie es aussieht, wird das kleine Tier auch den Luxusfirmen große Freude machen. Null Covid ist Geschichte, die Chinesen reisen zum Fest wieder durchs Land, und die Reichen unter ihnen haben Hunger auf Konsum. Wilde Post-Covid-Einkäufe in den Malls von Peking und Hongkong werden erwartet, und endlich dienen auch die feinen Boutiquetaschen wieder ihrem ursprünglichen Zweck. Während der Lockdowns war in Shanghai nämlich die Sitte aufgekommen, für die morgendlich patrouillierenden Einsammler die verpflichtenden Covid-Tests in Edeltragetaschen an die Haustür zu hängen. Da baumelten also die Verpackungen von Chanel, Gucci, Hermès wie Relikte aus einer anderen Zeit - leer bis auf einen Teststreifen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wieder für Nachschub an feinem Papier zu sorgen. Mit dem richtigen Inhalt.

Der schöne Schein ist ja das Grundanliegen der Mode, und dazu hat immer schon die angemessene Umhüllung gehört. Wer bei Dior oder Bottega einkauft, bekommt zur Belohnung für seinen guten Geschmack an der Kasse viel duftendes Knisterpapier, ein schlankes Futteral oder seidenglatte Schuhkartons mit dazu gepackt. Und dann natürlich: die Tüte. Sie sollte stabil sein, aber nicht danach aussehen; ein Extrastreifen Papier am Boden schützt vor schlaffem Durchhängen, die Henkel sind Kordeln von einer Qualität, die man für Geschenkbänder in der Regel zu teuer fände. Wenn man mit zwei, drei solcher Tüten am Arm durch die Straßen einer zumindest mittelgroßen Stadt flaniert, das haben alle Frauen der Welt seit "Sex and The City" verinnerlicht, sieht man einfach glamourös aus.

Konsum: Man sieht zwar nicht, was gekauft wurde, aber es war bestimmt teuer. Kristin Davis in "Sex and the City".

Man sieht zwar nicht, was gekauft wurde, aber es war bestimmt teuer. Kristin Davis in "Sex and the City".

(Foto: Ron Harvey)

Die Boutiquetaschen haben aber auch einen psychologischen Nutzen, in diesem Fall zugunsten des Verkäufers. Gerade beim spontanen Erwerb von teurer Mode oder Accessoires schwingt ja bisweilen ein wenig schlechtes Gewissen mit, anders gesagt: Nicht selten umfängt einen in den Sekunden des Bezahlens eine kurze moralische Flaute. In diesem Moment wirken die opulenten Papiertaschen Wunder, wie sie da so absichtlich umständlich von zwei Verkäufern aufgefaltet und mit liturgischer Sorgfalt bestückt werden. Schon ist der schwache Augenblick der Reue vorbei und das Geschäft mit Manufakturpapier und Markenstempel offiziell besiegelt. Schon ist der Kauf dank der Verpackung zum Geschenk geadelt, das man förmlich überreicht bekommt.

Gratulation, Sie sind jetzt Hermès-Markenbotschafter!

Der vielleicht zu rote Pullover, die vielleicht doch zu teuren Schuhe verschwinden hinter der heiligen Leinwand mit dem Gucci- oder Chanel-Logo. Siegel drauf! Erst die Papiertüte, jungfräulich vor den eigenen Augen entfaltet, ist die Versicherung: Das ist jetzt wirklich meins! Man wird in diesem Moment Teil der Marke und bekommt als Bekräftigung eine pizzakartongroße Visitenkarte um den Arm gehängt. Gratulation, das Haus Hermès ernennt Sie für die nächsten Stunden zum Markenbotschafter! Die meisten sind davon geschmeichelt genug, um dieses Ehrenamt exzessiv zu erfüllen.

Schmeichelnd ist auch das richtige Wort für das Tragegefühl, oder vielleicht: befriedigend. Die Stoffkordeln fühlen sich in der Hand so richtig an, dass man damit automatisch einen leichteren Gang anschlägt. Neu, sauber, vielversprechend - in der ersten halben Stunde nach dem Kauf übertrifft die einfache Papiertasche jede noch so teure It-Bag mit ihrer Strahlkraft. Das wahre Shoppingschlendern geht deshalb erst mit mindestens einer baumelnden, nicht zu kleinen Papierhandtasche los, die Trägerin lässt sie nonchalant neben sich herschwingen und schwingt gleichsam mit. Sie weiß: Die Tasche macht mich geheimnisvoll und verströmt Erfolgsparfüm. Niemand ahnt, was darin ist, aber alle sehen, aus welchem Geschäft man kommt. Und natürlich gilt auch: Size matters. Jeder weiß, dass in einer riesigen Louis-Vuitton-Paperbag nicht nur eine Strumpfhose liegen wird. Andererseits: Eine winzige Van Cleef & Arpels oder Tiffany-Tasche genügt genauso, um bei den anderen Passanten kurzes Neidflimmern auszulösen. Große Preziosen können schließlich auch in kleinen Taschen heimgetragen werden. Es ist schon so: Kaum etwas bringt so einfach - und für ein paar lächerliche Euro Herstellungspreis - auf den Punkt, worum es bei Statussymbolen geht: Ein bisschen Pappe mit dem richtigen Logo darauf.

Konsum: Reich und schön und gut bepackt. Paris Hilton beim Shoppen.

Reich und schön und gut bepackt. Paris Hilton beim Shoppen.

(Foto: mauritius images/GTCRFOTO/Al)

Klar, längst hat die Papiertasche auch die Niederungen des Volumenhandels bei Zara und Co. erreicht. Umso wichtiger ist den Luxusbrands, dass sich ihre Tüten eben doch noch ein bisschen edler, distinguierter anfassen. Tief eingeprägte Logos, aufpreispflichtige Farben, Kordeln wie Schiffstaue - her damit! Echte Kenner unterscheiden die markentypischen Papierqualitäten: die lederporige Oberfläche in Orange von Hermès, kühle Glätte bei Chanel, Dior fühlt sich nach handgeschöpftem Bütten und ehrwürdigem Couture-Salon an. Und während die H&M-Paperbag nahtlos als heimische Sammelstelle fürs Altpapier verwendet und nach ein paar Tagen mit entsorgt wird, hebt man die Exemplare mit den teuren Aufdrucken, diese kleinen Kunstwerke, eben doch auf. Sie sind einfach zu schade für den Container.

Zu Hause werden die Tüten gehortet. Aber wer gibt das schon gerne zu?

Zu Hause werden sie dann wie Devotionalien gehortet, nur gibt das niemand so richtig zu. Die Autorin Rachel Levy Lesser hat schon vor Jahren in einem Text mit dem bezeichnenden Titel "Confession: I'm a shopping bag addict" leicht beschämt Licht in das Dunkel ihres in Teilen verstopften Kleiderschranks gebracht. Von Tüten verstopft, wohlgemerkt. Wobei die Amerikanerin ihre Leidenschaft für schmale und herrlich ausladende, für kitschige Urlaubs- oder elegante Concept-Store-Tüten ziemlich strukturiert angeht. Alle kleinen Modelle kommen in eine Große, wie praktisch. Levy Lesser nennt sie ironisch "queen bee bag", die Bienenkönigin der Tüten.

Weil man sich selbst nicht gern als Markenopfer tituliert, gibt es für dieses Sammelverhalten allerlei kaschierende Ausreden, die häufigste dürfte sein: Darin kann man mal was verschenken. Macht man natürlich selten, wer bekommt schon gern eine Früchteteemischung in der Gucci-Bag? Auch die Hoffnung, die Tüten hätten hohen Sammlerwert, bewahrheitet sich nicht. Auf Ebay gibt es Hunderte Angebote für gebrauchte Luxus-Tragetaschen mit Startpreisen ab fünf Euro. Gebote gibt es kaum. Anders war es bei einer Aktion des New Yorker Künstlerkollektivs MSCHF, das neue Designertüten für 40 Euro pro Stück verkaufte. Gedacht als hochironischer Kommentar auf besinnungslose Logo-Gefolgschaft. Wie lange es gedauert hat, bis alle weg waren? Genau zwei Minuten.

Praktisch nutzbar sind die feinen Verpackungen also eher als persönliche Stauraumerweiterung für unterwegs, denn es lässt sich ohne Stilbruch alles Mögliche darin transportieren. Sieht ja niemand. Warme Schuhe, falls es abends schneit, der ausgeliehene Roman für die Kollegin oder zwei Butterbrezen werden im eleganten Inkognito in Chanel-Schwarz-Weiß ins Büro transportiert. In Italien, wo der Wunsch vollkommen normal ist, die Dinge des schnöden Alltags nicht ganz so schnöde aussehen zu lassen, ist eine Schublade voller Boutiquetüten übrigens fester Bestandteil der meisten Haushalte. Hemden für die Reinigung, die Flasche Wein bei einer Abendeinladung, Tupperdosen mit dem Mittagessen - das alles schwebt einfach besser durch die Öffentlichkeit in einer Tüte von Armani. Es käme auch niemand auf die Idee, die ausgeliehenen Kinderklamotten in den hierzulande beliebten Aldi-Dauerplastiktaschen (so stabil!) zurückzugeben.

Stilvoll ist diese Zweitverwertung aber nur mit tadellosen, sozusagen noch original steifen Taschen. Immer wieder dieselbe Versace-Tüte mit dem alten Medusa-Logo herumzutragen, hat eher etwas Tragisches. Oder weist einen eben als jemand aus, der nicht ständig Nachschub mit nach Hause bringt. Und beim Alltagseinsatz stellt man dann auch fest, dass die Taschen genau dafür nicht dauerhaft gemacht sind. Ist eben doch nur geklebtes Papier, das an den Ecken aufplatzt, am Griff durchscheuert oder bei Nieselregen schnell seine Form einbüßt. Ein erleuchtender Moment, wenn die eben noch schwarz distinguierte Saint-Laurent-Bag innerhalb weniger Minuten zum Fall für die Tonne wird. Hoffentlich, so der Wunsch in diesem Moment, hält der Inhalt etwas länger!

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