Mode in der Finanzkrise:Der schöne Schein

Die Rückkehr von Anzug und Kostüm: Weil Arbeitnehmer in der Wirtschaftskrise Angst haben, als unseriös zu gelten, kleiden sie sich klassisch - und langweilig.

Ann-Christin Gertzen

"Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance." Gerade zu Zeiten der Finanzkrise erhält dieser Satz eine neue Endgültigkeit. Wer im Job nicht genug leistet - sei es als Bänker, Verkäufer oder Selbständiger - muss um seinen Arbeitsplatz fürchten. Und da viele Menschen Kompetenz auch nach der Optik beurteilen, ist der gute Kleidungsstil schon eine halbe Jobgarantie - schließlich sind Geldgeschäfte Vertrauenssache. Einem schludrigen Bankangestellten überlassen die Anleger ihr letztes Geld weniger gerne als einem Mann in dunklem Anzug und gepflegten Schuhen. Seriosität ist das Zauberwort - zum Erfolg und zu vollen Firmenkassen.

Mode in der Finanzkrise: Business-Kleidung muss nicht langweilig sein. In schweren Zeiten muss man allerdings abwägen, wie weit man gehen kann.

Business-Kleidung muss nicht langweilig sein. In schweren Zeiten muss man allerdings abwägen, wie weit man gehen kann.

(Foto: Foto: Istock)

Obwohl gerade in der Mode guter Rat teuer ist, scheuen nicht wenige Angestellte, professionelle Hilfe zu suchen - weil sie nicht wissen, was sie mit den Begriffen anfangen sollen. Selbst wenn ein Dresscode vorgegeben ist - bei der "Deutschen Bank" etwa ist es "Business Casual" - wissen viele nicht, wie sie diesen Look angemessen anwenden sollen. Denn "Business Casual" bedeutet nicht etwa mit Jeans und Turnschuhen zur Arbeit zu kommen. Bei der "Deutschen Bank", bedeutet es: Anzug ohne Krawatte für den Mann, Business-Kostüm für die Frau.

Die neue Eleganz

Ein schlecht sitzender Anzug oder die falsche Farbwahl wirken schnell lächerlich. Image- und Modeberaterin Tiziana Assmann aus Enger kennt die Probleme ihrer Kunden und bietet einen Ausweg aus dem Kleidungs-Dilemma. Die "neue Eleganz", wie sie es nennt, stellt ihre Kunden vor scheinbar unüberwindbare Hindernisse. Geschäftsleuten rät sie zu einer soliden Grundgarderobe: "Klassische Mode kann man mit trendigen Accessoires kombinieren, Twin-Sets mit zwei bis drei übereinander geschwungenen Perlenketten oder Kostüme mit Satin-Saum".

Klassiker seien mehr denn je gefragt, solange sie nicht bieder erscheinen. Doch genau das sei oft ein Problem. Pastellfarben waren lange Zeit tabu, jetzt feiern sie plötzlich ein Comeback. Falsch kombiniert, wirken sie jedoch nur langweilig und trist. Die Angst vor dem Jobverlust, vor Unseriösität und Kontrollverlust, führt zu einer Neuorientierung. Vor allem: zurück zu alten Werten. Zu Vertrauen, Eleganz, Sicherheit und Ordnung.

Auf der nächsten Seite: Kleidung als "Impression Management".

Der schöne Schein

"Für bessere Qualität wird wieder mehr Geld ausgegeben", erzählt die Imageberaterin. Der Trend zur "Edelklassik", zeichne sich schon seit einem Jahr ab. Überraschend sei vor allem, dass vermehrt Menschen in kreativen Berufen um Hilfe bitten. Menschen aus der Werbe- und Fernsehbranche schwören der alten Jeans ab und kombinieren enge Stoffhosen mit gepflegten Turnschuhen. Selbst Anzüge werden wieder getragen.

Mode in der Finanzkrise: Anzug, Kostüm, Krawatte und Perlenkette - Business-Kleidung ist nicht besonders aufregend, dafür scheint sie Sicherheit zu geben.

Anzug, Kostüm, Krawatte und Perlenkette - Business-Kleidung ist nicht besonders aufregend, dafür scheint sie Sicherheit zu geben.

(Foto: Foto: Istock)

Tiziana Assmann geht mit ihren Kunden einkaufen, macht einen Garderoben-Check und berät in Kombinationsfragen. Gute Kleidung sei vor allem in Kundengesprächen wichtig, "sie muss zum Beruf und auch zur Persönlichkeit des Trägers passen. Bei einem Verkäufer bei Saturn wäre ein Nadelstreifen-Anzug wohl fehl am Platz", lacht sie. Längst hat sie nicht mehr nur weibliche Kunden. Etwa 40 Prozent sind Männer. "Die lassen sich den Einkauf dann auch richtig was kosten."

Kleidung als "Impression Management"

Desto schwieriger die Zeiten, desto eleganter und teurer die Kleidung? Das wäre wohl zu einfach. Carlo Michael Sommer, Professor für Kommunikationspsychologie an der Universität Darmstadt, betreibt ein eigenes Marktforschungsbüro. Das Klischee "wenn die Konjunktur hoch geht, werden die Röcke kürzer und umgekehrt" kann er nicht bestätigen. Der Trend zur gehobenen Kleidung ist für ihn vor allem Ausdruck des Zusammenwachsens von Beruf- und Privatleben. Während das Aussehen früher eher unbewusst nebenher passierte, gehe es jetzt vor allem um "Impression Management" - um das Erstellen des Eindrucks, den wir auf andere machen.

"Wir gestalten bewusst, wie wir gesehen werden wollen", sagt Sommer, "wenn wir das geschickt machen, fällt es auch nicht auf". Professionelle Hilfen wie Tiziana Assmann, sind da willkommen. "Amateure lassen sich wie Profis stylen", so könne sich jeder mühelos als etwas präsentieren, was er eigentlich nicht ist. Den Trend zur schicken Kleidung, kann er zwar nicht belegen, wohl aber den Trend zur Professionalität. Die nonverbale Kommunikation werde durch Kleidung viel bewusster eingesetzt als früher.

Weiter zu: Der gesellschaftliche Umschwung bringt den Modewandel.

Der schöne Schein

Die Trennung zwischen Privatleben und Beruf gebe es nicht mehr. Abends verabredet man sich mit Kollegen zu einem Bier, man arbeitet gemeinsam Nächte durch, feiert Geburtstage und pflegt über Netzwerke wie "Xing" nahezu freundschaftlichen Kontakt. Wer heutzutage erfolgreich sein will, lebt für und mit dem Job.

"Außerdem muss jeder flexibel sein", sagt Sommer. Networking ist die Basis in einer Gesellschaft, in der jeder jederzeit auf einen Jobwechsel vorbereitet sein muss. Allein auf professionelle Fertigkeiten, sind als Berufs-Garant kein Verlass mehr. Außer in Banken und im Vertrieb gebe es kaum noch vorgeschriebene Kleiderordnungen: "Die Dresscodes sind wesentlich lockerer geworden." Dennoch: Die Finanzkrise sorgt für eine große Unsicherheit. Riskante Aktionen werden lieber vermieden. Das trifft auch auf die Kleidung zu.

Die Gesellschaft verändert die Mode

Veränderungen in der Gesellschaft bringen auch einen Modewandel mit sich. Schnell und unübersichtlich wird es, wenn zudem moralische Werte wegfallen. Als die Punks in den 80ern mit "No Future" gegen jegliche staatliche Kontrolle rebellierten, traf diese Grundstimmung auch auf die Mehrheit der Bevölkerung zu. Selbst Yves Saint-Laurent entwarf Kleider mit Sicherheitsnadeln als Accessoires. Als die 68er gegen Vietnam protestierten, für freie Liebe demonstrierten und mit Felljacken und Hippie-Kleidern laut "Peace" riefen, war das zwar erst befremdlich, wurde aber dennoch von der Mehrheit akzeptiert und aufgenommen. Und nun ist es eben die Finanzkrise, die die Mode bestimmt - und die erfordert Seriosität um jeden Preis.

Auf jede Entwicklung folgt eine Gegenbewegung. Flatterkleider, Dekonstruktion, Mut und Leichtigkeit waren zwar bei den Fashion-Shows zu sehen. Mutlosigkeit, graue Anzüge und Kostüme jedoch sind die logische Reaktion der verunsicherten Angestellten auf die Finanzkrise. Dafür spricht, dass die amerikanische Firma Men's Wearhouse bereits jetzt starke Umsatzzuwächse im Segment der klassischen Nadelstreifenanzüge meldet. Die Rückkehr der Business-Kleidung resultiert aus dem Wunsch nach Sicherheit. Ein schöner Schein eben.

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