Mode für Kinder:Von Mama abgeguckt

In Paris tragen die "Großen" ihre Haute Couture zur Schau. Auf der Kindermode-Messe in Florenz zeigen Achtjährige, dass sie genauso schick seinen können.

Katharina Koppenwallner

Ach so . . . Kindermode . . . das hab ich früher auch mal gemacht." Dazu ein leicht mitleidiger Blick. So sieht eine typische Reaktion von Menschen aus der Modebranche aus, wenn es um das Thema Kinderbekleidung geht, betont gelangweilt und leicht abfällig. Schließlich handelt es sich in ihren Augen um Mode dritter Klasse, die noch dazu besonders in Deutschland extrem polarisiert. Denn hochpreisige Kindermode, marktwirtschaftlich gesehen ein großes Stück vom Kuchen der Luxuswarenindustrie, bringt die Gemüter in Wallung. Das, was heute kein noch so abgerockter Luxusfummel zu erreichen vermag, gelingt einer winzig kleinen Baby-Seidenbluse auf Anhieb. Nicht ganz unverständlich bei 300 Euro, die man schon mal für so ein Stückchen Stoff bezahlen muss.

Kindermode von Nolita Pocket

Vorbild Mama: ein Mädchen zeigt auf der 65. Internationalen Kindermodenmesse in Florenz, wo es für Kinder modisch lang geht.

(Foto: Foto: ddp)

Von solchen Skrupeln ist man in Florenz, auf der "Pitti Immagine Bimbo" ("Il bimbo" das Kind) weit entfernt. So heißt die größte und wichtigste Kindermodenmesse der Welt, die seit 30 Jahren jedes Jahr im Januar und Juni stattfindet. Mittlerweile sind dort 500 Marken und 8000 Einkäufer vertreten. Schließlich liebte man in Italien schon immer Kleider und Kinder. Mag sich das auch nicht in der rekordverdächtig niedrigen Geburtenrate widerspiegeln.

Erfrischend politisch unkorrekt geht es hier zu. So liefen Bikinimädchen in echter Supermodelmanier für Miss Blumarine, der Kinderlinie von Anna Molinari, über den Laufsteg, die die Hautfarbe von gegerbten Handtaschen hatten. Als habe es das Thema Hautkrebs nie gegeben, von anderen heiklen Themen ganz zu schweigen. In der Zwischenzeit posierte Lavinia Biagotti, die Tochter von Laura Biagotti und verantwortlich für die Kinderkollektion "Laura Biagotti Dolls", für die Fotografen. Sie blühte lächelnd als rosagrüne Wasserpflanze in einem zum Seerosenteich verwandelten Aquarium. Mittendrin ein großer Froschkönig aus Pappmaschee, um den viele kleine Mädchenseerosen tanzten. Der Frosch trug übrigens ein kindskopfgroßes, strassbesetztes "B" um den Hals. Sieht etwa so die Welt der Kindermodendesigner aus?

Zwar handelt es sich um einen internationalen Markt, mit einem Auslandsanteil von immerhin 40 Prozent, und doch findet das Kerngeschäft in Italien statt und ist, wie nicht anders zu erwarten, oft eine Art Familienbusiness. Wie bei der erwachsenen Mode gibt es reichlich Dynastien zu bestaunen. Hier heißen sie Stronati oder Cavalleri, und wie bei den Missonis oder Guccis wird geerbt, vererbt, gestritten und versöhnt, was der Stoff für Familienopern hergibt. Auch wenn der deutsche Markt zusammen mit Russland in Florenz zur Zeit zu den erfolgreichsten gehört, gelten die Deutschen hier als Spielverderber. Wir sagen: "Mein Kind soll sich immer schmutzig machen können, ohne auf seine Kleidung achten zu müssen. Außerdem wächst es eh so schnell wieder heraus. Und überhaupt verdirbt so teure Kleidung bestimmt den Charakter."

Hinter solchen Sätzen muss nicht immer der knappen Haushaltskasse geschuldete Sparsamkeit, teutonischer Pragmatismus oder pietistische Bescheidenheit stecken. Manchmal ist es einfach die Angst vor Missgunst, die in Deutschland selbst steinreiche Eltern dazu bringt, ihre Kinder wenig glamourös auszustatten. Soll bloß keiner denken, die Kinder werden verzogen! Für den internationalen Kindermodenmarkt gelten wir deshalb als ein Haufen verstaubter Modemuffel, deren Hang zur Piefigkeit jeglichen Experimentierwillen im Keim erstickt. Sollten wir den großen Kindermodenspaß tatsächlich an den falschen Stellen ganz einfach viel zu ernst nehmen?

Natürlich findet sich trotzdem vielleicht ein Dutzend profilierter Kindergeschäfte wie Pfüller in Frankfurt oder Korbmayer in Stuttgart. Aber es gibt immer noch zu viele Boutiquenbesitzer, die denken, es würde reichen, ein paar süße Kleidchen aufzuhängen. Wer so wenig wagt, gewinnt bestimmt nichts. Um eine neue begehrte Marke aufzubauen, braucht man eben nicht nur Platz und Geld, sondern vor allem Marktkenntnis. So kommt es, dass es gewiss nicht mehr als zehn Prozent der neuen Sachen, die es auf der Messe zu sehen gibt, auf deutsche Kinderhaut schaffen werden. Sehr fraglich, ob wir das weiße Frotteecape von La Perla, den roten Knautschlackblouson von Fay oder den Streifen-Strampler mit angenähter Fliege von Armani Junior je im heimischen Einsatz sehen werden.

Von Mama abgeguckt

Bella Figura im Sandkasten-Look

Was man aber bestimmt zu sehen bekommt in den Geschäften, ist jede Menge Gold und Silber, Neonfarben und Ibiza-Weiss. Und sagenhaft großflächige Pailletten- und Glitzerflächen, gerne auch komplett in einem Stück, so dass der eigentliche Stoff gar nicht mehr zu sehen ist. Jerseytops und Shorts im schicken Kiew-Dubai Look. Daneben Sixties-Babydollkleider, schwingende Jäckchen mit rundem Kragen und Dreiviertelärmeln, Röhrenjeans und Ballerinas. Gut, dass die aktuelle Mode mit all den Hängerchen und naiven Mustern so kindgerecht ist. Die ein oder andere Dame mag im Sandkasten-Look nicht unbedingt eine Bella Figura machen. Aber eine Fünfjährige trumpft damit richtig auf.

Das andere große Thema für den nächsten Sommer sind die 80er Jahre-Silhouetten. Oberteile in Übergrößen und dazu die obligatorischen Leggings. Gerne auch Ballonröcke oder kurze Pumphosen, die heute "Bloomers" heißen. Overalls und Latzhosen, alles Dinge, die der aufmerksame Betrachter schon lange aus der Gala oder seiner Fußgängerzone kennt.

Und genau nach diesem Prinzip funktioniert letztlich die gesamte Kindermode. Alle kindertauglichen Trends der Erwachsenenmode werden mit der Verspätung von einem Jahr auf die Kindermode adaptiert. Dadurch spielen Trends und Moden in der Kindermode nicht wirklich eine Rolle. Es gibt sie zwar, aber da sie Ableger der großen Mode sind, braucht keiner so zu tun, als ob sie neu seien. Das ist sehr entspannend, und wenn selbst eine klassische Bademodenfirma wie "Archimede" Badeanzüge mit integriertem Schwimmgürtel für 3-Jährige aus hochglänzendem Goldstoff anbietet oder "Simonetta" goldene Budapester, dann ist das neu und alt zugleich. Und keiner muss deswegen gleich hysterisch werden.

Keine Hektik mit Flowerpowerdreaming

Deshalb vielleicht tragen die so genannten Kollektions- und Trendthemen der großen Kollektionen jedes Jahr sehr ähnlich klingende Namen: Charming Riviera, Hollywood Star, African Sahara oder Dschungelcamp. Flowerdreamingpower. Sailing, surfing, yachting, sleeping. Einfallslosigkeit ist Trumpf, und zum Glück und Wohlbefinden der Szene sind sich darin alle Beteiligten einig.

Der schnelle Wechsel der Mode und die Gier nach Neuem greifen hier also nicht. Muss ja auch gar nicht sein, denn der Bedarf nach Neuen wird schon von ganz alleine durch die sich stetig ändernde Kleidergröße der Zielgruppe bestimmt. Wahrscheinlich ist die Kindermodebranche deshalb so entspannt. Viel wichtiger ist in jedem Fall die Marke und ihr Stil. Wenn man von einem großen Trend in dieser Branche sprechen kann, dann ist es diese, allen gemeinsame Strategie: Zu erkennen, welche Marken sich für Kinder eignen und sie mit möglichst wenig Stilverlust zu adaptieren. Die meisten Kinderlinien werden als Lizenz von den Großen vergeben, da diese schlichtweg erfolgsversprechender sind als Brillen oder Sockenlizenzen.

Da wird dann dem Markennamen ein Wort wie Mini, Baby, Junior, little, Bonsai oder Pocket hinzugefügt, und die Kernaussage der Kollektion auf die Kinderlinie übertragen. Gerade auf der Messe vorgestellt und sehr gelungen ist die Mädchenlinie "Alberta Ferretti Girls", hergestellt von "Grant", die neben ihrer eigenen Linie auch die Sachen von Moschino und John Richmond anfertigen. Alberta Ferretti findet es vulgär, wenn sich kleine Mädchen anziehen wie erwachsene Frauen. Ihr Stil ist wie gemacht für das Schrumpfen auf Kindergröße.

Von Mama abgeguckt

Kein Achtjähriger will modisch sein

Auch die erst eine Saison alten Kinderkollektionen von Chloé und Missoni funktionieren so. Es gibt sie von 0-14 Jahren, was nicht nur für eine Kundenbindung von Anfang an sorgt. Diese Linien bieten den Müttern die Möglichkeit, einen ihrer großen Wünsche zu erfüllen: Endlich können sie ihr Kind in ihrem Lieblingslabel so anziehen wie sich selber. Der formvollendeten Mutter-und-Kind-Symbiose steht nichts mehr im Wege. Erinnert sich noch jemand an das Tüllkleid mit den Häkelblumen von Chloé, das Kylie Minogue kurz nach ihrer Genessung trug? Das gibt es jetzt im kleinen Format für 500 Euro. Derselbe französische Hersteller bietet übrigens auch die Kinderlinien Escada Kids, Burberry, DKNY, Timberland, Elle und Girbaud. Allerdings ist es für eine Marke nicht ungefährlich, eine Kinderlinie anzubieten. Sollte die Hauptlinie wild und gefährlich im Mode-Underground spielen, kann die Aufnahme in den Kindergarten-Fundus das Avantgarde-Image sehr nachhaltig beschädigen. Cool war dann gestern.

Die meisten lösen dieses Problem allerdings ohne Verlust. "Little Marc" von Marc Jacobs ist so ein Beispiel, ebenso Cacharel, Marni, Essentiel und meinetwegen auch Roberto Cavalli und Ed Hardy. Für viele ist eine neue Kinderlinie sogar die letzte Rettung. Das erkennt man daran, wenn man die Kleidung für Erwachsene nicht mal geschenkt haben möchte, einem aber beim Anblick der Kindersachen ein "Süüüß!" über die Lippen kommt. So geschehen bei Juicy Couture, Antik Batik, Bench und Miss Sixty.

Die meisten der auf der "Pittti Bimbo" gezeigten Kollektionen sind für Mädchen. Die Jungen sind deutlich unterrepräsentiert. Schließlich will kein Acht-jähriger "modisch" gekleidet sein. Womöglich droht das soziale Aus in der Welt der männlichen Vorpubertät. Heißt es dort nicht immer schon: Stark aussehen, männlich sein, sportlich und vor allen Dingen cooool? Und wenn es schon nicht von Adidas sein darf, dann vielleicht von der neuen Ferrari Junior Collection vom gleichnamigen Rennwagenlieferanten oder von Hot Wheeels vom Spielwaren-Unternehmen Mattel. Zur Not geht auch Woolrich, weil das mag auch die Mami.

Praktischer Trend: Secondhand-Stil für Kinder

Den größten modischen Experimentierwillen und noch Geschmack dabei beweisen übrigens Japaner, Engländer und Belgier. Besonders die Japaner sind für ihre Liebe zu den kleinen, innovativen Labels bekannt. Es ist meist Kleidung, die eine Nähe zum Stil alter Handarbeits- und Bastelmagazine der 50er, 60er und 70er Jahre aufweist. Da gibt es dann fein gestrickte Jacquardjäckchen zu Mille Fleur Kleidchen, Ringelpullunder zu Karohemden und Latzshorts mit Gummizug zu grobgestrickten doppelreihigen Sakkos. Sachen, die die meisten Eltern selber schon als Kind getragen haben, nur nicht so gut gemacht. Alles wirkt wie von lockerer Hand selbstgenäht, roh und lieblich zugleich. Solche Kollektionen wie "Quincy" aus Belgien, die von Anouk Robyn entworfen wird. Einer Designerin, die vor vielen Jahren schon für die Kinderkollektion von Dries van Noten verantwortlich zeichnete. Die musste mit der Begründung eingestellt werden: "Kauft keiner, weil zu teuer."

Dieser Vintage- und Secondhand-Kindermodenstil aber wird just immer beliebter in Deutschland - wenn er preislich im Rahmen bleibt. Nicht zuletzt spät gebärende Mütter mit ästhetisch geschultem Blick greifen da gerne zu. Da die Geschäfte noch weit von flächendeckender Präsenz entfernt sind, helfen neue Internetportale wie Kidsinstlye.com, deren Auswahl endlich einmal dem internationalen Standard entspricht.

Gerade in der Kindermode also trifft jene älteste Weisheit zu, seit sich Menschen in Kleider hüllen: Alles eine Frage des eigenen Geschmacks. Als Beweis mag diese kleine Szene dienen: Schon einmal Fotos von Lila Grace gesehen, der kleinen Tochter von Kate Moss? Da ist eine blonde Vierjährige in extrem unscheinbaren, mit guten Willen als bieder zu bezeichnenden Blümchenkleidern abgebildet, die genau so zu Tausenden bei Woolworth, Coin oder Realkauf über den Tresen gehen. Und neben ihr die topcool gekleidete Mutter samt ihrem lässigen Dior-Drogenfreund.

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