Mode aus Belgien: Dries Van Noten:Der stille Revolutionär

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Ohne viel Wirbel hat ein Belgier den Modezirkus aufgemischt, gerade hat ihn die amerikanische "Vogue" mit einem Porträt samt Fotostrecke geadelt - Dries Van Noten ist der Designer der Stunde.

Peter Bäldle

Schlägt nun die Stunde der stillen Stars? Denn wer kannte schon vor dem H&M-Deal mit Lanvin den Namen von Alber Elbaz, dem kreativen Kopf des Pariser Couturehauses, und wusste, dass dieser als einer der höchstgehandelten Designer in Frankreichs Modemetropole gilt? Und wer weiß, dass der Schweizer Albert Kriemler derzeit der erfolgreichste Designer im deutschsprachigen Raum ist und für seine Akris-Kollektion in New York den renommierten "Star Award" erhielt?

Und wer kennt den belgischen Designer Dries Van Noten, den Anna Wintour, allmächtige Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, in der Dezember-Ausgabe mit einem mehrseitigen Porträt samt Fotostrecke adelt? Seine bestickten Jacken und blumengemusterten Röcke hat auch Michelle Obama beim Indien-Besuch ihres Präsidentengatten getragen. Ganz offensichtlich sind nun jene Modemacher am Zug, die, fernab von allem Mediengetöse, Kleider entwerfen, die nicht nur das Rad der Mode in Schwung halten, sondern auch begehrter sind als jene von begnadeten Selbstdarstellern und vertrauten Haushaltsnamen wie Lagerfeld, Armani & Co..

"Dabei entwerfe ich keine kompletten Looks", bemerkt dazu Dries Van Noten aus Antwerpen, "sondern lediglich eine Vielzahl von Einzelteilen, die jede Frau individuell zusammenstellen kann." Ausschlaggebend sei allein die Persönlichkeit der Trägerin. Auch habe er keine Musen oder Diven als Stilvorlage, aus Sorge, sie könnten sein Gesichtsfeld einengen. "Aber ich wäre begeistert, wenn Frauen meine Mode sammeln würden, Altbewährtes durch neue Teile ergänzten, gerne auch aus Kollektionen von Kollegen", sagt er lächelnd mit sprödem Charme.

Er hat ruhige, regelmäßige Gesichtszüge mit dunklen, kritischen Augen. Zu grau gesprenkelten Haaren trägt er ein helles Hemd mit dunkler Hose, was ebenso pragmatisch wirkt wie der schmucklose Raum innerhalb seines Showrooms in einer stillen Straße im Pariser Marais-Viertel. Nur das kunterbunte Sammelsurium der völlig unterschiedlichen Stühle um einen langgezogenen Glastisch irritiert.

Spiegeln sie jene Lust am Gegensätzlichen wider, die seine Mode auszeichnet? Doch ehe man sich fragt, ob Rokokosessel mit Leopardenbezügen zum Bauhaus-Stil passen, antwortet er völlig emotionslos: "Ich befasse mich gerne mit Dingen, die angeblich geschmacklos sind. In meinen Augen hat das allzu Perfekte keine Spannung. Man muss Kontraste wagen und auch mal das Schöne mit Kitsch verbinden."

Genau darin liegt das Geheimnis von Dries Van Notens Erfolg. Denn niemand weiß besser als er, wie man das Klassische mit dem Exotischen kombiniert, das Ethnische mit dem Uniformierten, das Maskuline mit dem Femininen. Deshalb gilt er auch unter Modeexperten als stiller Revolutionär. Ohne viel Aufhebens zu machen, hat er die Art, wie wir uns heute kleiden und was wir kombinieren, nachhaltiger beeinflusst, als wir ahnen. Dank Mango, Zara & Co. haben wir sie nämlich für unseren Alltag übernommen, ohne um deren Ursprung zu wissen.

Seine aktuelle Winterkollektion gilt als eine der besten im Designer-Puzzle: lässig auf Taille gebrachte Männerblazer und weite Sweatshirts begleiten anmutig schwingende Dirndlröcke oder schmale Rockfutterale. Dabei stehen stets die Stoffe im Vordergrund, deren Farben und Dessins. Und dazu: dekorative Schals. In Antwerpen sei es schließlich oft windig und kalt. "Sie wissen", sagt er freundlich und dennoch distanziert, "ich bin nicht nur Designer, sondern auch der alleinige Inhaber meines Modehauses. Das bedeutet, dass ich für viele Menschen verantwortlich bin. Also entwerfe ich nicht nur für den Laufsteg, sondern dafür, dass meine Mode gekauft wird."

Ein geschätzter Umsatz von 50 Millionen Euro, 500 Verkaufsstellen weltweit und Flagship Stores in Antwerpen und Paris, Hongkong und Dubai belegen, dass er diesen Spagat perfekt zu beherrschen scheint. Ob dies an den Genen liegt? Sein Großvater war Textilfabrikant und der Erste, der in Belgien Männeranzüge konfektionierte. Seine Eltern führten mehrere Modegeschäfte. Dries, 1958 als jüngstes von vier Geschwistern in Antwerpen geboren, durfte sie schon mit zwölf Jahren auf ihren Einkaufsreisen nach Paris, Florenz oder Düsseldorf begleiten. "Von Anfang an lernte ich beide Seiten des Metiers kennen, die kreative wie die kommerzielle", bemerkt er dazu, "und ich fand sie beide spannend."

Also studierte er an Antwerpens Akademie der Schönen Künste Fashion-Design, und als er sie 1981 verließ, hatte er zwar ein Diplom, aber keine Zukunft. Wer erwartete schon Mode aus der Stadt der Muscheln und Schokolade, der Stadt von Rubens und Van Dyck?

Mit fünf Kommilitonen, zu denen Ann Demeulemeester und Dirk Bikkembergs gehörten, die einen klingenden Namen in der Branche besitzen, ging er 1986 zur Modewoche nach London, wo sie sich aus Geldmangel einen Messestand teilten. Weil man sie in der hintersten Ecke "vergrub", verteilten sie fotokopierte Handzettel: Besuchen Sie die belgischen Designer! "Come up an see the ,Antwerp Six'!"

Damit war ein kleines Modewunder geboren, das die Stadt bis heute ins internationale Modebewusstsein katapultiert. "Die reiche Kultur Belgiens, die hervorragende Ausbildung und vor allem ein ganz spezielles Gespür für Kleidung, die unaufdringlich und nicht theatralisch ist, zeichnet Antwerpens Designer aus", sollte später Suzy Menkes, die wichtigste Modekritikerin, in der Herald Tribune schreiben. "Honest fashion", ehrliche Mode, nannte sie deren Entwürfe.

Dries Van Noten lässt sich von ganz unterschiedlichen Impulsen inspirieren. "Das kann mit ein paar alten Fotos von Mädchen in albanischer Tracht beginnen. Dann kommen ein Stück Möbelchintz hinzu, ein paar alte Tapetenentwürfe und ein besonders schöner Sari aus Indien. Daraus entwickelt sich dann die Kollektion."

Dass man ihn häufig "Ethno-Designer" nennt, stört ihn nicht, weil ihn die handwerkliche Seite von Folklore schon immer faszinierte, deren Stickereien, Drucke und Dessins. "Dabei reise ich viel weniger, als man vermutet, denn leider bleibt dafür kaum noch Zeit. Also reise ich jetzt mehr im Kopf - mit Hilfe von Büchern, Bildern und Musik", gesteht er. "Aber das Schönste ist, einfach mit dem Rad übers Land zu fahren."

Nach Lier etwa, in der Nähe von Antwerpen. Dort besitzt Dries Van Noten ein Haus mit einem 18 Hektar großen Garten, mit Obstbäumen, Blumenwiesen und Gemüsebeeten. So oft es nur geht, ist er dort, denn er ist ein leidenschaftlicher Gärtner. "Ein Garten ist wie eine Kollektion", erklärt er begeistert, "man mischt, plant das Miteinander und bringt auch mal das Schöne mit dem Kitschigen zusammen. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich glücklicher bin!"

© SZ vom 07.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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