Süddeutsche Zeitung

Mode: Abercrombie & Fitch:Der Waschbrett-Faktor

Ewige Party, ewiger Sommer: Wie die US-Modemarke Abercrombie & Fitch zum Gegenstand hysterischer Teenagerträume geworden ist. Einkaufen kann so aufregend sein!

Cathrin Kahlweit

Es regnet in London, was sonst; die Regent Street ist überfüllt mit schlechtgelaunten Menschen, die sich gegenseitig ihre Einkaufstaschen in die Knie knallen und ihre Regenschirme ins Gesicht stechen. In überfüllten Kaffees prügeln sich alte Damen um die letzten Sitzplätze, draußen wird der Regen zu Hagel. Na und?

Ein Menschenstrom zieht unbeeindruckt und zielstrebig einmal rechts um die Ecke und weiter geradeaus. 200 Meter entfernt von Londons hoffnungslos verstopfter Einkaufsstraße endet die Tristesse, hier beginnt die Welt von Surfin' USA, California Dreamin', Material Girl. Der Traum aller Teenager, das erste und letzte Ziel aller Klassenfahrten aus dem kontinentalen Europa, der Wallfahrtsort aller jungen Modejunkies: Abercrombie & Fitch.

Zugegeben, die Kleiderfirma aus Ohio, USA verkauft auch nur Hosen und T-Shirts, Hemden und Jeans, Bikinis und Tanktops, wie es Dutzende andere In-Marken tun. Aber sie tut das mit mehr Erfolg als die anderen.

Abercrombie inszeniert sich in Europa wie eine Geheimloge, ist - außerhalb der USA - nur in Mailand und London erhältlich, die Einrichtung eines Flagshipstores in Deutschland wird angekündigt und abgesagt, angekündigt und verschoben (derzeit ist einer in Hamburg im Gespräch); wer die Kleider aus den USA importiert und hierzulande verkaufen will, wird umgehend verklagt. Also wogt durch die Vigo-Street in London täglich eine hysterische Masse, als gebe Tokio Hotel ein Konzert mit Stargast Robbie Williams.

Das Ziel: ein schlammgelbes Stadthaus, über der Tür kein Schriftzug. Das Empfangskomitee: zwei junge Männer mit gut trainiertem Oberkörper, unbekleidet bis zum Nabel, glattrasiert, einen Finger lässig in den Jeansbund geklemmt, die blonden Haartollen aus dem Gesicht gekämmt. Davor Horden kreischender Mädchen mit verwischter Wimperntusche und Fotoapparaten, dazwischen vereinzelte Mütter, die von ihren Töchtern mitgeschleppt wurden und nun etwas verwirrt, aber auch entzückt dort hineinstreben, wo Beats in einer Lautstärke von 90 Dezibel heraustönen.

Drinnen herrscht ewige Party, ewiger Sommer, ewige Jugend: viele kleine, dunkel getäfelte Räume, Holztische voll mit Kleidern, man schiebt sich von Zimmerchen zu Zimmerchen, und mittendrin stehen junge, schöne Männer mit halboffenen Hemden, um den Waschbrettbauch in Szene zu setzen, die Hemdsärmel hochgerollt, um den Bizeps zu zeigen. Ganze Casting-Crews müssen durch Londons Fitnessclubs gezogen sein, um so viel makellose, weiße Schönheit einzusammeln.

"How are you doing today?", säuseln die jungen Beaus, und die jungen Mädchen - zumindest die, die noch bei Bewusstsein sind - klauben brav ihr Schulenglisch zusammen und stammeln: "Fine."

Ob die blaue Sweatshirtjacke auch in M da ist und nicht nur in S, das wissen diese Götter der Schöpfung und des Körperkults nicht, sie sind ja auch "Store-Models" und keine ordinären Verkäufer. An den Wänden riesige Poster, darauf: halbnackte, sehr hübsche Männer, in Szene gesetzt vom Kult-Fotografen Bruce Weber, der stilistisch ein bisschen Arno Breker und ein bisschen Leni Riefenstahl vermischt hat mit Werbepostern für Schiesser-Unterhosen.

Alles sehr sexy, wie übrigens auch die beiden Menschen, Männlein und Weiblein diesmal, die auf einer gusseisernen Empore tanzen und Blickfang für all jene sind, die schon immer mal beim Kauf eines karierten Herrenhemdes eine gemischtgeschlechtliche Chippendales-Einlage genießen wollten. Ach ja, die Kasse: Wartezeiten von einer halben Stunde sind unterer Durchschnitt und die Preise obere Mittelklasse.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Tricks die Marke so mega-erfolgreich gemacht haben.

Wer mit einer Einkaufstüte den Laden verlässt, läuft Werbung, wobei auf den Tüten nicht viel mehr zu sehen ist als "Aber... & Fi..." Der Rest ist ein halbnackter Oberkörper, natürlich. Gott, kann Einkaufen aufregend sein.

Nun aber mal ganz langsam: Es sind nur Kleider. Sie unterscheiden sich von anderen Marken, die junge Menschen gern tragen, von Hilfiger oder Zimtstern, von Ralph Lauren oder Zara, von 7 Jeans oder True Religion durch einen Elch als Emblem - und durch ein sensationell gutes Marketing. Das besteht aus der Weigerung, allgegenwärtig zu sein, plus der Inszenierung. Und die setzt auf: Sex.

Mike Jeffries, der Chef von A&F, ein Mittsechziger mit blondiertem Haar und sehr straffer Gesichtshaut, hat die alteingesessene Firma, die einst mit Outdoorware groß wurde, in den vergangenen 20 Jahren zum Mega-Erfolg geführt. Etwa tausend Läden in den USA gibt es mittlerweile. Nach einem Umsatzeinbruch im vergangenen Krisenjahr hat A&F im März 2010 im Inland knapp 10 Prozent, im Ausland sogar um 120 Prozent zugelegt und macht weit mehr als zwei Milliarden Dollar Gewinn.

Die A&F-Strategen arbeiten in ihren Kampagnen seit Jahren mit Versatzstücken aus der Schwulenästhetik und der Pornografie, das hat ihnen in den USA viel Ärger eingebracht. Gleichwohl hat Jeffries es geschafft, dass als out gilt, wer seine Klamotten nicht trägt: "Wir entwerfen für die coolen Kids, mit denen jeder befreundet sein will, sie sind sportlich, attraktiv, allseits beliebt und beneidet", sagte er vor Jahren der Süddeutschen Zeitung.

So funktioniert Werbung, so funktioniert Mode, das ist nicht neu. Jeffries macht aber auch sehr deutlich, dass der börsennotierte Konzern nicht für die Dicken, nicht für die Pickeligen, nicht für die Durchschnittlichen, nicht für die mit dem H&M-Portemonnaie schneidern lässt. A&F zielt mit seiner Mode vor allem auf weiße, wohlhabende Collegeboys und -girls. Die Kids in Europa, die in der Schule lieber mit einer Louis-Vuitton-Tasche renommieren als mit 15 Punkten in Bio, finden das offenbar toll.

Der Focus auf das weiße Amerika hat der Firma Klagen wegen Diskriminierung eingebracht. A&F zahlte laut Financial Times Deutschland 40 Millionen Dollar Schadenersatz; mittlerweile arbeiten in den Läden von Abercrombie auch Hispanos und Schwarze. In London allerdings ist davon nichts zu sehen. Die Waschbrettbäuche sind alle weiß.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2010/pfau
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