Mobiler Metzger:Schlachter auf Rädern

Mobiler Metzger: "Totmachen" nennt Kürten seine Arbeit, nicht "Töten".

"Totmachen" nennt Kürten seine Arbeit, nicht "Töten".

(Foto: Alexander Mai)

Matthias Kürten ist der einzige mobile Metzger Deutschlands. Damit die Tiere möglichst stressfrei sterben, kommt er zum Schlachten zu ihnen in den Stall.

Von Angelika Fey

Die vier Schweine sind auf diesem Hof geboren und hier werden sie bald auch sterben. Mächtige Tiere sind es, jedes um die 100 Kilo schwer. Ihr Fell ist dicht, schwarz und lockig, deshalb heißen sie Wollschweine. Archaisch wirken sie, fast wie Wildschweine. Für die vier Sauen beginnt dieser Tag wie jeder andere, nur eines ist neu: Sie sind im Stall eingesperrt und können nicht draußen im Matsch wühlen. Unruhig grunzen sie, schlagen mit dem Nacken gegen eine Metallwand. Sie haben Hunger. Am letzten Morgen ihres Lebens haben sie nichts mehr zu fressen bekommen.

Der Hof liegt am Ende einer schmalen Straße, die sich durch das Bergische Land in Nordrhein-Westfalen windet. Insgesamt sechs Höfe gibt es hier, auf denen knapp 30 Menschen leben. Sehr still ist es, nur die Vögel zwitschern. Dann hört man Motorengeräusche. Oben auf der Bergkuppe hinter dem Hof erscheint ein weißer Lkw. Am Steuer sitzt Matthias Kürten. Er wird die Schweine schlachten.

Kürten ist Metzger, er stammt aus Wipperfürth, sein Schlachthof steckt in einem Lastwagen, acht Meter lang, vier Meter hoch. Der weiße Kasten ist als mobile Schlachtstätte zugelassen. Kürten, 38 Jahre alt, ist ein großer Mann, der mit rheinischem Singsang spricht. Seine Stimme ist sanft, er lächelt viel. Ein Metzger sei rau und brutal, sagt das Klischee. Aber Mara Frohn, die Chefin des Bauernhofs, sagt über ihn: "Er ist so gelassen."

Der Metzger und die Bäuerin gehen zum Stall. Er trägt sein Stromgerät und ein Messer. Sie trägt eine Aluschale und einen Plastikeimer für das Blut. Die Schweine werden in Etappen sterben. Die ersten beiden Kandidaten warten in einer sechs Quadratmeter großen Bucht. Die anderen Sauen, in der Bucht daneben, leben zwei Stunden länger.

Wie viele Tiere Kürten schon totgemacht hat, will er nicht sagen

Für Kürten ist Schlachten der unangenehme Teil seiner Arbeit. Das Verarbeiten des toten Schweins zu Wurst und Schnitzel macht ihm Spaß, er liebt die Handarbeit. Aber noch immer, auch nach 22 Jahren als Metzger, hat er einen Kloß im Hals, wenn er einem Tier das Leben nimmt. "Totmachen" nennt er das, nicht "Töten". Der Unterschied ist ihm wichtig. "Töten" könne man nur einen Menschen. Wenn man dagegen ein Schwein schlachte, um es zu essen, dann sei das "Totmachen". Wie viele Tiere er schon totgemacht hat, will Kürten nicht sagen. "Ich mag es auch nicht, wenn ein Jäger seine Trophäen aushängt." Würde er eine Zahl nennen, käme ihm das so vor, als würde er sich mit dem Tod der Tiere brüsten.

Kürten sprüht jetzt Flüssigkeit auf die Schweineköpfe. So leitet der Strom besser. Der Metzger steigt über die hüfthohe Wand zu den Tieren. Er umfasst eine große Zange, die ans Stromgerät angeschlossen ist. Noch laufen die Tiere um Kürtens Beine herum. Dann aber kippt die Besitzerin trockenes Brot in den Futtertrog und die Köpfe der Schweine senken sich. Kürten packt den Schädel einer Sau mit der Zange, drückt fest zu. Der Strom fließt. Die Sau bäumt sich auf und erstarrt. Einige Sekunden lang ist ihr Körper gestreckt. Kürten löst die Zange, die Sau sackt zusammen - sie ist betäubt. Das Bewusstsein des Schweins ist damit komplett ausgeschaltet, aber sein Körper scheint plötzlich umso lebendiger. Das Tier grunzt und stöhnt. Seine Beine fuchteln rhythmisch, als ob es über eine Wiese galoppieren würde. Das ist kein ästhetischer Tod wie in Filmen, sondern das rohe Zappeln der Nerven.

Er krault das Schwein, das ihn nicht mehr spürt

Schnell zieht Kürten das Messer und schneidet der Sau die Kehle durch, das Blut quillt ins Stroh. Mara Frohn reicht die Schüssel herüber, darin fängt Kürten das Blut auf. Mit einer Hand hält er das Vorderbein des Schweins, malt damit Kreise in die Luft und hebt so, im Rhythmus des Pulsschlags, den Brustkorb an, damit das Blut noch besser abfließt. "Ja, jaaah", so spricht Kürten beruhigend auf die Sau ein, die ihn nicht mehr hört. Er krault das Schwein, das ihn nicht mehr spürt. Dann schlägt das Herz nicht mehr.

Wenn sonst geschlachtet wird, geschieht das Töten in der Regel im Verborgenen. Wer ist schon dabei, wie das Tier stirbt, das er später isst? Und vor allem: Wer will schon dabei sein? Früher, noch vor 50 Jahren, war das öffentliche Schlachtfest in vielen Gegenden normaler Teil des Dorflebens. Heute dagegen wird verdrängt, dass jenes Filetstück, das sauber abgepackt in der gekühlten Auslage des Supermarktes liegt, noch vor Kurzem Teil einer lebenden Kuh war. Fleisch essen, möglichst jeden Tag, ist für viele Deutsche normal, nur ist fast ausschließlich das Fleisch beliebt, das nicht als totes Tier erkennbar ist. Der Akt des Schlachtens ist aus dem Alltag getilgt.

"Das sieht friedlich aus"

Auf dem Hof von Mara Frohn steht das noch lebende Wollschwein in der Ecke und beobachtet, was passiert. Die Sau wirkt dabei entspannt, nichts deutet für sie darauf hin, dass soeben etwas Bedrohliches geschehen ist. Kein Quieken, kein Warnlaut war zu hören. Das andere Schwein hat seinen Tod nicht kommen sehen. Es empfand, so wirkt es jedenfalls, keinen Stress und keine Schmerzen. Die ahnungslose Sau Nummer zwei folgt kurz darauf. Beide liegen sie nun nebeneinander, ihre aufgeschnittenen Kehlen dampfen noch leicht.

"Das sieht friedlich aus", meint Mara Frohn. Sanfter könne ein Tier nicht sterben. Ihre Sauen wurden nicht verladen, mussten nicht in einen Schlachthof, nicht an einen ihnen unbekannten Ort. Auch das Leben der Schweine sei schön gewesen, sagt die Bäuerin, vom Anfang bis zum Ende, die ganzen eineinhalb Jahre lang - soweit das ein Mensch überhaupt beurteilen kann. Die Muttersau habe ihre Ferkel unter freiem Himmel zur Welt gebracht. Nie seien die Ferkel von der Mutter getrennt worden. Im Sommer seien die Kleinen auf der Wiese herumgetapst. Ihr schlimmstes Erlebnis sei vermutlich ein Stromschlag am Elektrozaun gewesen.

Als Matthias Kürten ein Junge war, hatten seine Eltern einen Bauernhof, ein paar Rinder und Schweine. Immer derselbe Mann kam auf den Hof und schlachtete dort die Tiere - ganz in Ruhe. Der Mann beeindruckte Kürten. Seinetwegen wollte er Metzger werden. Doch während der Ausbildung in einer kleinen Metzgerei in Bergisch-Gladbach hatte er wenig mit dem Schlachten zu tun, machte vor allem Wurst. Ab und zu holten sie Fleisch in einem größeren Schlachthof. Wie es dort zuging, erschreckte Kürten. Die Betäubungsmaschine funktionierte nicht richtig, deshalb musste sie bei den Tieren mehrmals angesetzt werden. Ein Arbeiter hatte einen Kasten Bier neben sich stehen. Er war schon mittags betrunken. Für Kürten war klar: Nach der Ausbildung wollte er nicht in so einen Schlachthof. Er arbeitete in einem Hofladen.

Wie Tiere ohne Angst sterben, hat Kürten von dem alten Metzger gelernt, der früher zu ihnen auf den Hof kam. Der Mann war damals schon in Rente. Wenn Kürten im Hofladen Feierabend hatte, fuhren sie los. Der alte Metzger legte Wert darauf, dass alles ordentlich ablief. Kürten musste den toten Kühen die Beine mit einem feuchten Lappen sauber wienern, damit bloß kein Mistkrümel ins Fleisch fiel.

Viele kleine Schlachthöfe geben auf

Doch glückliche Schweineleben und ein stressfreier Tod sind in Deutschland selten geworden. Kleine Landwirte geben auf, die großen Fleischproduzenten dehnen sich aus, das zeigt der "Fleischatlas 2016", herausgegeben von der den Grünen nahestehenden Heinrich Böll-Stiftung und vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Nur wer in effektivere Abläufe investiert, kann sich auf dem Markt behaupten, denn deutsche Fleischkonzerne produzieren zunehmend für den Export. Ihre Konkurrenz, das ist die ganze Welt.

Auch Schlachthöfe und schlachtende Metzgereien gibt es in Deutschland immer weniger, die verbleibenden 5000 Betriebe verarbeiten deshalb immer mehr Tiere. Das liegt vor allem an einer Hygiene-Verordnung der Europäischen Union, die seit sechs Jahren gilt. Sie schreibt vor, dass es getrennte Räume zum Schlachten und zum Zerlegen geben muss. Viele kleinere Schlachthöfe haben diese Räume nicht. Einige von ihnen gaben auf, andere machen seither nur noch Hausschlachtungen. Dann darf das Fleisch aber nicht verkauft, sondern nur von den Besitzern der Tiere gegessen werden.

Matthias Kürten hat es anders gemacht, er hat Geld investiert. Eine halbe Million Euro. Er hat sich einen Laster gekauft und den Innenraum zum Schlachtraum ausgebaut. Bei Ebay hat er noch einen Anhänger ersteigert, ihn zum Zerlegewagen umgebaut und alle notwendigen Geräte an die passende Stelle gesetzt: Fleischwolf, Stopf- und Verpackungsmaschine. Kürten, so sagen Branchenexperten, sei der einzige mobile Metzger in Deutschland, der die EU-Zulassung hat.

"Jetzt ist es schon fast ein Braten"

Mara Frohn fährt ihre toten Schweine jetzt mit dem Trecker zu Kürtens Lastwagen. An den Zinken der Traktorschaufel baumeln die toten Körper. Frohn legt die Schweine neben dem Laster ab. Der Innenraum liegt offen, er wirkt wie eine Bühne. Heraus ragt ein elektrischer Hebekran. Mit ihm greift Kürten den Körper des ersten Schweins und hebt es in den Schlachtwagen. Die Sau plumpst in eine Wanne mit heißem Wasser. Darin wird sie gebrüht. Walzen schaben Haare, Dreck und die oberste Hautschicht ab. Am Ende ist das Tier blass-rosa, das dichte, lockige Fell ist verschwunden.

Auf einem Tisch schneidet Kürten die Augen der Sau heraus und die Ohrmuschel. Durch die Sehnen der Hinterbeine steckt Kürten große Haken. An ihnen zieht der Hebekran das Schwein empor. Es pendelt kopfüber in der Luft. Kürten schneidet das Tier auf. Aus der Brust fällt ein Pfropfen geronnenes Blut, das auf dem Boden wabbelt wie Pudding. Die Gedärme quellen heraus, ein Rest Kot fällt neben Kürtens Gummistiefel. Herz, Lunge, Milz und Leber wirft er in eine mit Wasser gefüllte Plastikwanne. Darin schwimmen die Organe wie rätselhafte Unterwasserpflanzen. Kürten duscht die Sau mit einem Schlauch ab, dann teilt er das Schwein mit einer Säge in zwei Hälften. "Jetzt ist es schon fast ein Braten", sagt Mara Frohn.

Die Bäuerin putzt die Wanne, klaubt schwarze Haare von den Walzen, als Kürten das zweite Schwein zerlegt. Sie muss mithelfen, wie alle Kunden des mobilen Schlachters. Wer nur mit den Händen in den Taschen dasteht und schwatzt, muss sich einen anderen Metzger suchen. 80 Prozent der etwa 250 Kunden seien "kleine Krauter" wie Frohn, die ihre Tiere artgerecht halten. Wenn die Schweine bis zum Bauch im Mist stehen, kommt Kürten nicht wieder. "Manche Bauern sagen, ich sei hochnäsig, mehr Konkurrenz würde mir guttun", sagt er. Sein Service ist teurer. Im nächsten Schlachthof kostet das "Totmachen" eines Schweins ungefähr 100 Euro, Kürten nimmt 150 Euro.

Nachgemacht hat es Kürten noch keiner

Er arbeitet sechs Tage pro Woche, mitunter von morgens um sechs bis abends um zehn. Oft rufen andere Metzger an, wollen sich seinen Laster und den Zerlege-Anhänger anschauen. Nachgemacht hat es Kürten aber noch keiner. Wieso hat er sich entschlossen, mobiler Metzger zu werden, als einziger in Deutschland? Eine "Reihe von Zufällen", sagt er knapp. Carsten, sein Mann, habe ihn bestärkt.

Mit Carsten ist Matthias Kürten seit zehn Jahren verheiratet. Über seinen Mann spricht er ganz selbstverständlich, dass nicht alle Bauern im Bergischen Land diese Beziehung gutfinden, ist nicht sein Problem. "Rosettenstecher" habe einer sie genannt. Aber viele würden gelassen reagieren und Kürten fragen: "Ach, was macht denn der Carsten?" In eine andere Gegend ziehen wollten sie nie. Dafür gefalle es ihnen im Bergischen Land zu gut, sagt Kürten. Mit seinem Job als mobiler Metzger hat er Neues gewagt. Ob er den Mut dazu hatte, weil er schwul ist und in seiner Umgebung ohnehin immer schon ein wenig anders war als die anderen Männer? Das glaubt Kürten nicht.

Bei Familie Frohn sind nun die zwei anderen Schweine fällig, noch warten sie im Stall. Als nächstes ist Sina an der Reihe, das Lieblingsschwein von Mara Frohns acht Jahre alter Tochter. Das Mädchen hat die Sau gebürstet und ist auf ihr geritten. Mara Frohn krault Sina noch einmal hinter den Ohren, da hat das Tier es besonders gern. Kürten legt die Zange an, die Besitzerin wendet sich ab. Als der Metzger sie bittet, ihm die Schüssel für das Blut zu reichen, hört sie ihn erst nicht. Mara Frohn wischt sich die Tränen weg.

Auf diesem Hof kann zumindest keiner verleugnen, dass das Schnitzel auf dem Teller mal ein Tier war, mit einem eigenen Charakter und Lebenswillen. Mara Frohn und ihre Familie haben das Schwein selbst aufgezogen. Wenn das Tier geschlachtet wird, tut es auch den Menschen weh, die sich um das Schwein gekümmert haben. Mara Frohns Tochter hat den Schmerz akzeptiert und eine Lösung gefunden: Wenn Sina schon sterben muss, dann will sie das Fell behalten.

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