Emanuel Tschopp drückt die schwere Stahltür auf und knipst das Licht an. Es riecht muffig, Kellerluft eben, und ein bisschen Kellerchaos herrscht auch: In dem kleinen Raum stapeln sich Holzkisten, es gibt Stahlschränke und hohe Regale. Allerdings lagern hier weder alte Skischuhe, Bücherkisten oder Dreiräder. Auch keine Marmeladengläser, Dosenmais und Kartoffeln. In den Regalen liegen rund 700 Knochen, jeder einzelne mit Schaumstoff gepolstert. Gruselig? Nein, hier geht es um Wissenschaft: Emanuel Tschopp ist Paläontologe, er erforscht das Leben von Dinosauriern.
Die Knochen stammen von vier Langhalssauriern, die 2009 in den USA entdeckt wurden. Die kleinsten Schwanzwirbel sind kaum größer als ein Babyfinger, die größten Oberschenkelknochen fast 1,30 Meter lang und so schwer, dass man sie nur zu zweit anheben kann – dabei waren die vier Dinos noch nicht mal ausgewachsen, als sie starben. Die beiden größten waren immerhin schon 15 Meter lang und wogen mehrere Tonnen. „Vielleicht waren sie als Herde unterwegs, oder ein Fluss hat ihre Knochen zusammengespült“, sagt Tschopp. Zu welcher Saurierart sie gehören, weiß er noch nicht genau. Vermutlich sind sie eng verwandt mit bekannten Langhälsen wie Brontosaurus und Diplodocus.
Nach 150 Millionen Jahren unter der Erde sind die Knochen schwarz und hart wie Stein. Gut verpackt in Gips und Kisten wurden sie per Schiff nach Hamburg gebracht, dort gereinigt und verkauft. Was kostet so ein Dino? Das will der Forscher nicht verraten. Aber sie dürften einige Millionen Euro gekostet haben. Deshalb lagern sie auch an einem geheimen Ort unter der Universität Hamburg, über der Stahltür blinkt eine Alarmanlage. Noch hat die Stadt kein Naturkundemuseum, das groß genug für Langhalssaurier wäre. Für Dinoforscher Tschopp ist das eine große Chance: „Natürlich ist es toll, wenn viele Menschen die Skelette im Museum bewundern können. Aber bis es so weit ist, bin ich sehr froh, dass wir jeden einzelnen Knochen in Ruhe untersuchen können“, sagt er. Gerade durchleuchtete er zum Beispiel die Oberschenkelknochen mit einem Computertomographen, wie man ihn aus dem Krankenhaus kennt. So lässt sich herausfinden, wie alt die Tiere waren oder wie schnell sie gewachsen sind. „Wenn die Langhalssaurier aus dem Ei geschlüpft sind, waren sie kaum grösser als ein Hund. Innerhalb weniger Jahre wurden sie dann über 20 Meter lang und bis zu 30 oder 40 Tonnen schwer.“
Jeder Knochen erzählt etwas über das Leben der Dinosaurier. Die Schädel etwa verraten etwas über ihre Essgewohnheiten: Mit ihren langen, spitzen und ständig nachwachsenden Zähnen rupften die Langhalssaurier wohl Blätter und Zweige von Sträuchern und Bäumen. Zum Kauen hatten sie keine Zeit, sie schlangen das Grünzeug einfach kiloweise im Ganzen hinunter. Tschopp und sein Team haben auch herausgefunden, dass die Jungtiere sehr kräftige Beine hatten. „Vermutlich mussten sie gleich nach dem Schlüpfen loslaufen. Das spricht dafür, dass sich die Eltern nicht um Eier und Nachwuchs gekümmert haben.“
Bis das neue Museum mit den vier Dinos eröffnet wird, dürften einige Jahre vergehen. Bis dahin geht Emanuel regelmäßig in den Keller, um nach seinen Langhälsen zu sehen – und ihren versteinerten Knochen noch mehr Antworten über ihr Leben zu entlocken.