Michelle Obama:Starke Arme verändern alles

Michelle Obama hat schon geschafft, was ihr Mann angekündigt hat: Der Wandel ist nach Amerika gekommen. Im Weißen Haus hat die Spießigkeit ein Ende.

Reymer Klüver, New York

Der Wandel trägt Michael Kors. Schwarz. Ärmellos. Und als habe die Nation nichts Besseres zu tun, erörtern Blogs, Talkshows und Zeitungen außer der nagenden Ungewissheit, wie tief Amerikas Wirtschaft noch abstürzen wird, kaum minder aufgebracht die Frage: Darf sie das? Darf sich die First Lady der Vereinigten Staaten locker im ärmellosen schwarzen Designerkleid ablichten lassen für ihr offizielles Foto aus dem Weißen Haus? Ist das angemessen?

michelle obama

(Nicht) neu im Weißen Haus: Bereits vor 200 Jahren ließen sich Präsidentengattinnen in ärmellosen Kleidern malen. Dennoch sorgten Michelle Obamas ärmellose Kleider jüngst für Furore.

(Foto: Foto: AP)

Sogar der Historiker der National First Ladies Library, eines Archivs für die Geschichte der Präsidentenfrauen, hat sich eingeschaltet und die Wogen glätten wollen mit dem Hinweis, dass schon First Ladies vor 200 Jahren sich im ärmellosen Kleid in Öl malen ließen.

Doch unbeeindruckt geht die Diskussion über die bloßen, durchtrainierten Arme der neuen Präsidentengattin weiter. Sleevegate, Ärmelskandal, haben findige Wortschöpfer den Medienrummel bereits getauft, den nur eines speist: eine ungeheure Neugierde auf die erste schwarze First Lady der Vereinigten Staaten.

Nicht einmal zwei Monate wohnt Michelle Obama nun im Weißen Haus. Und sie ist nicht nur bekannter im Land, sie ist auch beliebter, als es eine ihrer weißen Vorgängerinnen nach einer solchen kurzen Frist je war. Zumindest für die vergangenen drei Jahrzehnte gilt das, da die Meinungsforscher diese Frage stellen. Das Magazin Vogue, in Modefragen in den USA noch immer richtungsweisend, hat Michelle Obama im März den Titel gewidmet. Ihr Modestil ist Kult.

Für schwarze Frauen hat sie ohnehin Ikonenstatus erlangt, ebenso für all die Amerikanerinnen, die im Alltag mühselig Kinder, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen suchen. Und zu einem neuen Symbol für den amerikanischen Traum, für die soziale Durchlässigkeit der US-Gesellschaft, ist die 45 Jahre alte Frau nebenbei auch geworden.

Im Weißen Haus brennt länger Licht

Aus einem einfachen Häuschen in der Southside von Chicago, wo sie sich eine vom Wohnzimmer abgetrennte Kammer mit ihrem Bruder teilen musste, hat sie es nach 1600 Pennsylvania Avenue in Washington gebracht, der ersten Adresse der Nation (mit nicht weniger als 132 Zimmern und 92 Hausangestellten).

Mit ihr als Gastgeberin verbreitet das Weiße Haus, in dem in den vergangenen acht Jahren meist früh am Abend die Lichter ausgingen, auf einmal neuen Glanz. In den ersten sieben Wochen traten dort bereits der Alt-Barde Paul Simon und die Musiklegenden Earth, Wind & Fire sowie Stevie Wonder auf. Die Jonas Brothers waren zu Besuch. George Clooney hat ebenso vorbeigeschaut wie Brad Pitt. Die Gouverneure der Bundesstaaten, Demokraten und Republikaner, tanzten Polonaise im East Room.

Und Michelle Obamas Stab, angeführt von Social Secretary Desiree Rogers, der Chefplanerin der neuen Geselligkeit im Weißen Haus, trägt dafür Sorge, dass die Welt das alles ausführlich erfährt. "Glamelot" hat das Boulevardblatt New York Post das Weiße Haus der Obamas schon getauft in Anspielung an die Zeiten, als Jackie Kennedy dort einen Hofstaat von Künstlern, Intellektuellen und Politikern um sich scharte, damals nach der sagenhaften Tafelrunde König Artus' Camelot genannt.

Die Erwartungen an die neue First Lady sind fast unerfüllbar. Wie ihr Mann soll Michelle Obama in Washington alles irgendwie anders, in jedem Fall besser machen, als es bisher war. "Sie ist dabei, die veränderungswilligste First Lady in der Geschichte zu werden", jubiliert Vogue.

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Starke Arme verändern alles

Sympathisch, systematisch, vorsichtig

Doch tatsächlich tastet sich Michelle Obama erst noch in ihre neue Rolle hinein und versucht den sich mitunter widersprechenden Ansprüchen gerecht zu werden - sympathisch, systematisch, vorsichtig. Erst letzte Woche hat sie Pilzrisotto in Miriam's Kitchen ausgeteilt. Das ist eine Suppenküche für Obdachlose, nur ein paar Blocks vom Weißen Haus entfernt - und die Fernsehaufnahmen waren das bewusst inszenierte Kontrastprogramm zu den schillernden Auftritten im Weißen Haus.

Strahlend stand sie auch hier da, nur eben hinter der gläsernen Kantinentheke. Und anstatt einer auffälligen doppelreihigen Perlenkette und einem ärmellosen Kleid trug sie weiße Einweghandschuhe an den Händen und hatte die Ärmel ihrer pinkfarbenen Strickjacke aufgekrempelt.

Ihre Nachbarschaft wolle sie kennenlernen, hatte sie nach der Inauguration gesagt. So wie man es eben macht, wenn man irgendwo neu in einer Stadt ist. So wie sie es gemacht hatte, als sie vor vier Jahren in ihr Haus in Kenwood eingezogen waren, einem trendigen Akademiker-Stadtviertel in Chicago. In Washington ist sie nun bereits in einer Grundschule gewesen und in einer Einrichtung zur Hausaufgabenbetreuung, die vor allem Latino-Kinder besuchen.

Und in Miriam's Kitchen hat sie mit Samuel Hinton gesprochen, einem Vietnam-Veteranen, der nachts nicht weit vom Weißen Haus entfernt in irgendeinem der Gebäudeeingänge in Washingtons Innenstadt schläft, weil er es im Obdachlosenasyl nicht aushält.

Hinunter in die Welt gekommen

Ob es ihm gut gehe, fragt sie ihn. "Nein, Madam", antwortet Hinton knurrig, "ehrlich gesagt, geht es mir nicht gut." - "Halten Sie durch. Irgendwann wird es besser", antwortet sie da und lässt ihre Assistentin seinen Namen notieren. "Es gab schon viele First Ladies", konstatiert der dürre Mann hinterher sichtlich beeindruckt, "aber noch keine ist hinunter in unsere Welt gekommen."

Wie in Miriam's Suppenküche, so im ganzen Land: Michelle Obama gewinnt die Menschen. 49 Prozent aller Amerikaner haben inzwischen, wie es im Jargon der Meinungsforscher heißt, einen vorteilhaften Eindruck von ihr. Also knapp die Hälfte der US-Bürger findet sie richtig gut. Nur fünf Prozent mögen sie nicht, 44 Prozent haben sich noch kein Urteil gebildet.

Hillary Clinton etwa mochten ein paar Wochen nach der Inauguration zwar 44 Prozent der Amerikaner, aber immerhin 16 Prozent hielten sie für unausstehlich. Laura Bush und ihre Schwiegermutter Barbara schätzte jeweils ein Drittel der US-Bürger, Sympathien für die ätherische Nancy Reagan hegten gar nur 28 Prozent.

Michelle Obamas Zahlen zeigen indes, wie kurz das kollektive Gedächtnis ist - oder wie gekonnt sie ihr Bild in der Öffentlichkeit korrigiert hat. Denn noch kein Jahr ist es her, da erörterten Amerikas Medien ausführlich die Frage, ob sie nicht eher eine Belastung für ihren Mann im Wahlkampf sein könnte.

Die erste Umarmerin der Nation

Auf viele wirkte die Harvard-Absolventin und Anwältin, die in ihrem Job in der Verwaltung der Chicagoer Universitätsklinik mehr verdiente als ihr Mann im Senat, reichlich kühl. Ein Fünftel aller Amerikaner antwortete auf die entsprechende Frage der Meinungsforscher, dass sie Michelle Obama nicht wirklich leiden mochten.

Das hat sich komplett verändert. Inzwischen wird sie in den Medien als hugger-in-chief gefeiert, die oberste Umarmerin der Nation, in Anlehnung an ihren Mann, den commander-in-chief, den Oberkommandierenden.

Und tatsächlich, überall, egal bei welchem Anlass - sie herzt die Menschen. Ob bei ihrem Besuch im Verkehrsministerium, wo sie eine Angestellte spontan in die Arme schließt. Oder im Kongress, wo sie die kleine Ty'Sheoma Bethea aus dem Städtchen Dillon umarmt, die das Parlament um Hilfe für die Sanierung ihrer abrissreifen 150 Jahre alten Schule in South Carolina gebeten hat. Sie drückt eine pensionierte, weißhaarige Brigadegeneralin genauso an sich wie eine Schülerin aus Washington, die mit ihrer Klasse zu Besuch im Weißen Haus ist. Und immer sind natürlich Fotografen zur Stelle, die solche Bilder einfangen.

Überhaupt sind die Obamas bemüht, als zugängliche Menschen zu erscheinen. "Öffentliche Nähe" nennt das die Washington Post, und nach der Steifheit der Bush-Jahre ist der Kontrast jetzt nur um so auffälliger. Das begann am Tag der Inauguration, als die beiden händchenhaltend die Pennsylvania Avenue zum Weißen Haus entlanggingen.

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Starke Arme verändern alles

Nicht nur für Mitglieder

Und beim Konzert von Stevie Wonder hat sie nicht nur bekannt, dass ihre erste Schallplatte eines seiner Alben war, sondern auch, dass sie als Hochzeitslied seinen Song "You and I" ausgesucht hatten. An ihrem ersten Tag im Weißen Haus versammelte sie alle Angestellten und sagte, sie sollten sich nicht als Personal betrachten, sondern als "Teil unseres Teams". Und sie versprach, alle demnächst zu einer großen Pizzaparty mit ihren Kindern einzuladen - wofür sie dann nur die guten Teppiche im East Room mit Zeitungen abdecken müssten.

Tatsächlich betreiben die Obamas eine Politik der offenen Tür, auch das ein bewusster Gegensatz zum Vorgänger. Der pflegte im Weißen Haus eher die Atmosphäre wie in einem exklusiven Klub: nur für Mitglieder.

Die Obamas legen dagegen bewusst Wert auf viel Besuch. So gut es eben geht in einer Umgebung, wo es Spontaneität nicht mehr gibt: Jeder Gast muss angemeldet sein und wird vorher vom Secret Service überprüft. Trotzdem waren bereits ganze Schulklassen da und die Basketballprofis aus ihrer Heimatstadt Chicago. Sozialarbeiter und Gewerkschafter, Nachwuchsmusiker und Professoren standen auf der Gästeliste.

Vor dem ersten Staatsbankett führte Michelle Obama Studenten einer Kochfachschule persönlich durch die Küche im Keller des Weißen Hauses. Und zum Superbowl, dem jährlichen Top-Spiel der Football-Saison, hatten die Obamas Freunde zur TV-Party eingeladen. Zwei Regeln gab es: keine gestellten Erinnerungsfotos und keine Politik.

Eine ganz normale Familie

Bewusst pflegt Michelle Obama auch das Bild der ersten Familie Amerikas als ganz normaler Kleinfamilie. Dem Klatschblatt People vertraute sie an, dass die Präsidententöchter Sasha und Malia nach wie vor selbst ihre Betten machen und den Essenstisch abräumen müssen, trotz der vielen dienstbaren Geister im Weißen Haus.

An einem der vergangenen Samstage hat sie den Präsidenten mit zum Basketballspiel der kleinen Sasha in deren Schulmannschaft geschleppt. Und von der Älteren erzählt sie, dass Malia dem Vater neulich beim Abendessen gönnerhaft zugestand: "Dad, du hast wohl einen ziemlich harten Job."

Nichts von alledem dürfte aus bloßem Zufall geschehen oder an die Öffentlichkeit gelangen. Noch vor der Inauguration hatten Michelle Obamas Berater die ehemaligen Stabschefinnen von Laura Bush und Hillary Clinton zu einem dreistündigen Briefing gebeten. "Best practices and lessons learned", war der Titel der Arbeitssitzung: Was funktioniert und was man besser lässt als First Lady. Anita McBride, die Chefassistentin von Laura Bush, empfahl damals als Geste des guten Willens die Kontaktaufnahme zu den Behördenmolochen des Bundes in Washington: In ihren ersten sieben Wochen hat Michelle Obama bereits vier Ministerien und die Umweltbehörde besucht.

Hillary residierte im Westflügel, Michelle im Ostflügel

Vor der Inauguration hatte sie zunächst gesagt, sie verstehe sich als "mom-in-chief", in erster Linie als Mutter für ihre Kinder. Doch seither ist klar, dass sie sich darauf nicht beschränken wird. Sie hat Kindergartenkindern vorgelesen, hat sich für Soldatenfamilien eingesetzt, hat die schwarze Vorzeige-Universität des Landes besucht, hat für soziales Engagement geworben - alles passend zur innenpolitischen Agenda ihres Mannes. "Sie denkt sehr intensiv darüber nach, welche Rolle sie spielen will", sagt ihre Beraterin Desiree Rogers.

Aber sie betreibt keine Politik auf eigene Rechnung. Im Gegensatz zu ihrer Vorvorgängerin Hillary Clinton, die zumindest am Anfang der Amtszeit ihres Mannes politisch mitmischen und eine Gesundheitsreform durchsetzen wollte. Als Zeichen ihres Einflusses beanspruchte sie damals ein Büro im Westflügel des Weißen Hauses, der eigentlichen Machtzentrale in unmittelbarer Nähe des Oval Office, des Präsidentenbüros.

Hillary Clinton scheiterte mit ihrem Reformunterfangen und war danach herzlich unbeliebt im Land. Michelle Obama hat daraus gelernt, sich mit dem East Wing begnügt, wo die First Ladies traditionell Büros unterhalten, und beherzigt einen weiteren Ratschlag der konservativen Bush-Assistentin Anita McBride: "Letzten Endes sind First Ladies dazu da, ihren Mann zu unterstützen."

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