Michelle Obama:Die Frau, die jeder zur Freundin haben möchte

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Perfekt, aber nicht zu sehr: Michelle Obama (Foto: AP)

Gar nicht leicht, in diesen Zeiten noch echte Vorbilder zu finden. Michelle Obama ist eines. Ein Abschieds-Hurra auf die First Lady.

Von Susan Vahabzadeh

James Cordens Carpool-Karaoke ist nur etwas für Leute, die auch unter albernen Umständen noch eine gute Figur machen. Der amerikanische Komiker lädt sich für die "Late Late Show" berühmte Menschen in sein Auto, kutschiert sie herum, unterhält sich mit ihnen und lässt sie dabei singen. Im Sommer fuhr er vor dem Weißen Haus vor und tat dann ganz überrascht, als Michelle Obama bei ihm einstieg. Rosa-weiß gemustertes Sommerkleid, ärmellos natürlich, große Creolen an den Ohren. Strahlendes Lächeln.

So geht es bei Michelle Obama ja schon los: Sie sieht großartig aus, aber gar nicht so furchtbar durchgestylt. Es kommt dann aber noch besser, spätestens, als er das Radio aufdreht, sie sofort ein paar coole Moves auf dem Beifahrersitz macht, in die Hände klatscht und aus voller Kehle schmettert: "Signed, sealed, delivered, I'm yours ...!"

Der Clip ist für sich allein genommen schon eine Erklärung dafür, wie Michelle Obama in den acht Jahren als amerikanische First Lady zum Popstar werden konnte, zu einem Vorbild für ganz viele ordentlich emanzipierte, moderne Frauen, in den USA und anderswo, die sie mögen und bewundern und selbst gerne wären wie sie. Ist der Präsident in seinem Büro? "Das will ich ihm geraten haben!" Was sie vermissen wird am Weißen Haus? "Die Leute, die sich um uns gekümmert haben, die man jeden Tag gesehen hat." Aha, nicht den 24-Stunden-Room-Service, bei dem sie um drei Uhr morgens ein gegrilltes Käsesandwich bestellen kann? Von diesem Privileg, sagt sie, sind acht Jahre genug, weil man es mit Freiheit bezahlt.

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Gute Antwort, genau die, die ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen geben würde, das auf dem Weg nach Washington nicht den Überblick verloren hat. "Hey", sagt sie dann zu Corden, "ich kann mir mein gegrilltes Käsesandwich selber machen. Ich mache sogar verdammt gute gegrillte Käsesandwiches." Für solche Auftritte muss man diese Frau einfach lieben.

Die Konservativen mäkelten an ihren nackten Oberarmen herum - sonst fanden sie nichts

47 Millionen Mal wurde der Clip mit Michelle Obama auf Youtube aufgerufen. Zum Vergleich: Als sich Corden kurz zuvor Gwen Stefani, Julia Roberts und George Clooney gleichzeitig ins Auto geladen hatte, waren es vergleichsweise schlappe 34 Millionen Klicks. Hinter solchen öffentlichen Auftritten steckt bei Michelle Obama natürlich durchaus ein Plan, sie macht das nicht einfach, weil sie gern im Rampenlicht steht. "Erst bringt man die Leute zum Lachen", hat sie in einem Interview mit Variety erklärt, "dann zum Zuhören." Michelle Obama sagt von sich selbst, sie sei ein Produkt der Popkultur; sie hat die Popkultur von Anfang an benutzt, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen. Auch im Auto redet sie dann später über Ausbildung.

Man kann sich kaum noch daran erinnern, aber Michelle Obama war nicht von Anfang an populär. Als Barack Obama seine erste Präsidentschaftskampagne startete, galt sie als allzu aggressive Kämpferin für die Rechte von Schwarzen. Nicht vermittelbar, monierten Kritiker. Der NewYorker, alles andere als ein rechtes Kampfblatt, zeigte sie in einer Karikatur auf dem Cover mit Afro-Krause und Gewehr über dem Arm. Sie wurde noch im Wahlkampf zu Barack Obamas wichtigster Geheimwaffe. Die konservative Stilpolizei mäkelte zwar an den nackten Oberarmen herum, die sie auch bei festlichen Dinners vorzeigte, aber sonst fand sich nichts, was man ihr hätte vorwerfen können.

Sie hätte dann auch acht Jahre lang nur das Weiße Haus umdekorieren können, das haben viele First Ladys vor ihr getan. Jackie Kennedy war eine höchst repräsentative Trophäe, Barbara Bush ein liebes Muttchen und Hillary Clinton selbst eine Politikerin, die sich zu schade war zum Keksebacken (was okay war, sie aber besser für sich behalten hätte).

Michelle Obama ist es gelungen, alle diese unterschiedlichen Positionen und Lebensentwürfe zu versöhnen: Berufstätige Frauen ohne Talent am Herd können sich genauso mit ihr identifizieren wie Vollzeitmütter, die ihre Kinder spannender finden als den Job. Michelle Obama ist eine Harvard-Anwältin und hätte es auch alleine weit gebracht - aber ihre Familie ist ihr wichtiger. Nun wird sie bald wieder ausziehen aus dem Weißen Haus, und für ganz viele Frauen, in Amerika und anderswo, tritt da ein echtes Vorbild ab.

Für die Position der First Lady der Vereinigten Staaten gibt es zwar keine Arbeitsplatzbeschreibung, aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist dieser Job fast so wichtig, als sei er ein echtes Amt. Die Gattin des Präsidenten - ein männliches Pendant dazu gibt es ja nun mindestens vier weitere Jahre nicht - ist eine öffentliche Person. Eleanor Roosevelt war in den Dreißigerjahren die erste First Lady, die ihrer eigenen politischen Arbeit nachging. Deshalb finden Amerikaner es auch völlig normal, die Beliebtheit der jeweiligen Amtsinhaberin mitzumessen in Umfragen, während ein deutsches Politbarometer, das die Werte für Hannelore Kohl oder Doris Schröder-Köpf ermittelt hätte, ein Skandal gewesen wäre. Bei Michelle Obama ist das inzwischen so: Sie hat in Umfragen vor den Wahlen alle Mitbewerber geschlagen, Hillary Clinton, Bernie Sanders, Donald Trump - und ihren eigenen Mann auch.

Im Wahlkampf ließ das Trump-Team keine Beleidigung der Gegenseite aus, nur an Michelle Obama traute sich keiner heran. Die Frau war einfach zu beliebt. Hätte sie Lust, sich selbst zur Wahl zu stellen, die Demokraten würden ihr den roten Teppich ausrollen. Aber sie hat keine Lust, no, than k you.

Barack Obama hat es nach den Wahlen im November noch mal wiederholt: Seine Frau habe es gern ordentlich, und der politische Betrieb sei nun mal kein sauberes Geschäft. Sie hat ja nicht mal gewollt, dass er kandidiert, und acht Jahre im Weißen Haus, sagt sie nun, seien genug; man müsse immer "einen Fuß in der Wirklichkeit haben". Das ist das Vertrackte am politischen Geschäft: Man hat manchmal den Eindruck, dass genau jene Leute, die die Charakterstärke hätten, gute Anführer zu sein, auch klug genug sind, es nicht werden zu wollen.

Einer der Gründe, warum Michelle Obama für viele Frauen ein Ideal erfüllt, liegt genau in diesem Widerstand: Emanzipation und Erfolg fordern einen Preis, und sie weigert sich hartnäckig, ihn zu bezahlen. Sie hat sich von keinem Job korrumpieren lassen, sie trifft ihre Entscheidungen nicht aus Kalkül, sie hat nicht die Härte entwickelt, welche die Arbeit in der Politik verlangt und für die Hillary Clinton immer geprügelt worden ist.

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Von Anna Fischhaber, Jana Stegemann und Oliver Klasen

Michelle Obama klebt nicht an Washington und schon gar nicht am Weißen Haus, das sie mal als sehr angenehmes Gefängnis bezeichnet hat. Das macht sie zum natürlichen Gegenentwurf genau jenes Polit-Establishments, das sich in letzter Zeit so oft hat anhören müssen, es halte die Macht in Washington für ein angeborenes Privileg.

Ihr Geheimnis: Sie scheint alles zu haben, aber von nichts zu viel

Nun ist es nicht so, als stecke hinter dem Bild, das Michelle Obama von sich in der Öffentlichkeit aufgebaut hat, keine Strategie. Aber manche Dinge kann keiner planen, spielen oder sich antrainieren. Charme, beispielsweise. Selbstironie. Überhaupt: Humor! Oder auch ein gesundes Selbstbewusstsein ohne jede Arroganz.

Bei einem Auftritt an der Howard-University in Washington, einer der ältesten afroamerikanischen Universitäten, sollte sie vor ein paar Wochen von ihrem Studium berichten, wie es war, als junges Mädchen aus einer einfachen Familie erst nach Princeton und dann nach Harvard zu kommen. Und Michelle Obama erzählte, wie ihr jeder gesagt habe, allein eine Bewerbung für Princeton sei vermessen. "Als ich dort ankam, sah ich mich um und dachte: So klug wie die Leute hier bin ich auch. Was ist denen eingefallen, mir zu sagen, ich könne das nicht?! Da sind immer Leute, die auf eurem Selbstwertgefühl herumtrampeln, weil sie glauben zu wissen, wer ihr seid."

Das ist ein schönes Beispiel für die Balance, die sie findet, denn diese Antwort ist weder bescheiden noch überheblich. Das ist ein Teil des Geheimnisses von Michelle Obama: Sie scheint alles zu haben, aber von nichts zu viel.

"Why women still can't have it all", hieß vor einigen Jahren ein viel beachteter Essay von Anne-Marie Slaughter, der ehemaligen Stabschefin von Hillary Clinton. Es ging darum, dass Frauen sich entscheiden müssen - eine strahlende Karriere und eine glückliche Familie, das gebe es leider nicht. Es war eine so ernüchterte wie lebensnahe These, aber das Verrückte ist: Für Michelle Obama scheint sie nicht zu gelten.

Sicher, sie hat ihren Beruf als Anwältin auf Eis gelegt, aber Karriere hat sie trotzdem gemacht, ihre Themen gesetzt, sich ins Zeug geworfen für das, was ihr wichtig ist. Und sie hat dabei die Familie zusammengehalten, die Töchter Sasha und Malia beschützt, so gut sie nur konnte. Der Titel, den sie sich selbst verliehen hat, ist "Mom in chief".

Michelle Obamas Perfektion hat nichts Kühles oder Einschüchterndes, sie weckt weder Neid noch Missgunst. Es ist einfach so: Die meisten modernen Frauen wären gern wie diese Frau, so klug, so charmant, so witzig und glamourös, und sie hätten gern, was sie hat, und zwar alles: den tollen Mann, die netten Kinder, die Beliebtheitswerte - und eine Stimme, die gehört wird.

Beim letzten Parteitag der Demokraten hat Michelle Obama eine Rede gehalten, es war vielleicht ihre wichtigste. Sie ist immer dann unschlagbar, wenn sie sich ein Anliegen wirklich von der Seele spricht, und das war hier der Fall. Es ging um Trumps Frauenbild, sie las nicht vom Teleprompter ab, sondern sprach frei, ihre Stimme vibrierte vor Emotion. Sie sagte: "Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich sagen muss: Ein Präsidentschaftskandidat der Vereinigten Staaten hat mit sexuellen Übergriffen gegen Frauen angegeben. Das lässt mich nicht mehr los. Das hat mich bis ins Mark erschüttert auf eine Art, die ich mir nicht habe vorstellen können." Oh ja, das saß.

US-Wahl, Michelle Obama gegen Trump (Video: SZ/wochit)

Der Regisseur J.J. Abrams hat einmal für eine Charity-Veranstaltung mit ihr zusammengearbeitet. "Sie ist so eine Art Naturgewalt", sagt er hinterher, "einer der wenigen Menschen, die wirklich völlig präsent sind, egal, mit wem sie gerade reden. Sei es ein Veteran, ein Kind, eine berufstätige Mutter oder ein Filmstar, sie behandelt jeden gleich, mit dem gleichen Respekt und der gleichen Aufmerksamkeit."

Diese Natürlichkeit trifft sogar auf ihre äußere Erscheinung zu. Mag sein, dass es Menschen gibt, die Donald Trumps Frau Melania schöner finden, aber als natürliche Schönheit kann man sie weiß Gott nicht bezeichnen. Michelle Obamas Look ist da sympathischer - nicht Model-schön, eher alltagstauglich, und ganz sicher nicht Resultat eines OP-Marathons. Selbst die Oberarme, die sie so gern präsentiert, sehen aus, als hätten da nur ein bisschen genetisches Glück und sehr viel Training zusammengefunden. Nichts an ihr wirkt künstlich oder gekünstelt - und alles, was sie sagt oder tut, wirkt zumindest so, als hätte sie es auch gemeint.

Frau Obama beim Sackhüpfen - nicht mal das ist peinlich

Sollte sie in Wahrheit doch ganz anders sein, müsste sie einen Oscar bekommen für ihren Auftritt als First Lady. Sie ist genau der Typ, mit dem jeder gern befreundet wäre, sie wirkt sehr nahbar und immer lässig. Hätte man sich Nancy Reagan beim Sackhüpfen vorstellen können? Unmöglich. Michelle Obama macht sich mit Begeisterung öffentlich zum Narren - solange es einem guten Zweck dient.

Wie viele First Ladys vor ihr hat sie eine Agenda wichtiger Themen verfolgt, sich für Soldaten-Familien engagiert, für Fitness und für gesunde Ernährung eingesetzt. Ihr Lieblingsprojekt aber ist eine weltweite Ausbildungsoffensive für Mädchen: "Let Girls Learn". Das interessiert sie, weil es mit ihrer eigenen Biografie zu tun hat. Das Studium war für sie selbst der einzige Weg auf die andere Seite von Chicago.

Ihr Vater arbeitete bei den Stadtwerken, sie schaffte es an eine Ivy-League-Uni. Was wird wohl Melania Trumps großes Thema werden? Und wenn Angela Merkels Ehemann Joachim Sauer beim nächsten Gipfel in Deutschland den Gastgeber fürs Damenprogramm geben muss: Worüber wird er sich mit Melania Trump wohl unterhalten? Auch das ist eigentlich unvorstellbar.

Über die erste Verabredung von Barack Obama und Michelle Robinson, wie sie damals noch hieß, hat es einen Film gegeben, "Southside With You" heißt er, eine sehr hübsche kleine Romanze. Der Film erzählt von einem Tag, als Michelle in Chicago schon Anwältin bei der angesehenen Kanzlei Sidley & Austin war; Barack ist ihr Praktikant. Er überredete sie, mit ihm in das Gemeindezentrum zu fahren, für das er sich engagiert. Es geht den ganzen Nachmittag darum, dass Michelle nicht möchte, dass ein richtiges Rendezvous daraus wird. Als er nicht kapieren will, was das Problem ist, putzt sie ihn herunter: Aller schnieken Abschlüsse zum Trotz sei sie immer noch schwarz und eine Frau, müsse also schon doppelt um Anerkennung kämpfen - da hat ihr eine Liebschaft mit dem Praktikanten gerade noch gefehlt.

Nur ein Film, sicher, aber es ist tatsächlich so gekommen - sie hat ja wirklich ihre Karriere in den Hintergrund stellen müssen, so wie ganz viele Frauen. Im Film sitzt sie dann im Gemeindezentrum und erlebt mit, wie der Praktikant es mit einer einzigen mitreißenden Rede vor der Schließung bewahrt. Da kommt es einem auch gar nicht mehr unemanzipiert vor, dass sie "nur" First Lady geworden ist - weil sie nicht für einen Mann zurückgesteckt hat, sondern für die Rettung der Welt. Michelle Obama lässt uns glauben, dass es das gibt: immer im richtigen Moment zu wissen, was wichtig ist.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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