Süddeutsche Zeitung

Bischof Michael Curry:Crazy in Love

Bischof Michael Curry wurde bekannt, als er auf Harrys und Meghans Hochzeit predigte. Jetzt hat er neue Pläne: Er will Christen verrückt machen.

Von Julia Rothhaas

65 Mal das Wort Liebe in 13 Minuten und nur einer Predigt? Das schafft nur Michael Curry. Ihm ist es ernst mit der Liebe, auch wenn das Wort auf einer Hochzeit nicht besonders überraschend daherkommt. Trotzdem waren die 65 Wiederholungen, die der amerikanische Bischof auf der Hochzeit von Harry und Meghan im Mai 2018 in seine Predigt webte, ein bisschen mehr als sonst üblich. Die englische Königsfamilie saß erstaunt in der St. George's Chapel und sah ihm mit weit aufgerissenen Augen und verkniffenen Mündern dabei zu, wie er bebte und lachte, wie er fuchtelte und flüsterte. Und das Publikum vor den Fernsehapparaten wunderte sich: Wer ist dieser Typ? Und: So geht Kirche also auch?

Die emotionale Art und Weise, wie Michael Curry da predigte, machte ihn weltweit bekannt. Der heute 66-Jährige wurde daraufhin zu Talkshows eingeladen, in einem Atemzug mit Papst Franziskus genannt und von Fans um Selfies gebeten. Die Satireshow "Saturday Night Live" widmete ihm sogar einen eigenen Sketch.

Curry hat allerdings auch zu Themen jenseits der Liebe etwas zu sagen, und das macht ihn spannender als jede königliche Hochzeit: Er äußert sich auch dann, wenn die Kirche lieber schweigt, etwa wenn es um die Rechte von Geflüchteten geht oder den Missbrauch von Kindern. Er bete sogar für Donald Trump, sagte er mal, schließlich sei auch der ein Kind Gottes - so wie jeder Mensch, der sich aus Mittelamerika auf die Suche nach einem sicheren Leben in den USA aufmacht. In seinen Predigten tauchen regelmäßig der Dalai Lama auf, Martin Luther King oder Desmond Tutu. Aber auch Frauen wie die Dichterin Emma Lazarus, die Anne-Frank-Helferin Miep Gies oder Harriet Beecher Stowe, die als Schriftstellerin eine große Rolle im Kampf gegen die Sklaverei spielte.

Die Aufmerksamkeit, die Michael Curry nun genießt, hat er zum Anlass genommen, seine eigentliche Botschaft jenseits der Liebe zu verbreiten, nämlich: Wir brauchen mehr verrückte Christen! Wie das gehen soll, beschreibt er in seinem Buch "Lasst uns die Welt auf den Kopf stellen!", das eben erschienen ist, eine Sammlung seiner Predigten. Und was soll das sein, ein verrückter Christ? "Wer sich tatsächlich Christ nennen will, darf sich gesellschaftlich und kulturell nicht anbiedern", sagt Curry der SZ am Telefon. "Andere lieben, statt zu hassen. Zu geben, wenn andere nichts geben. Sich zu sorgen, wenn es einfacher wäre, sich keinen Kopf zu machen. Und den Mund aufzumachen, wenn andere schweigen." Ein bequemes, angepasstes Christentum, das sei so was von gestrig.

Nun hat er es auf die Millenials abgesehen, obwohl sie so wenig Interesse an der Kirche haben

Liebe statt Hass, geben, wenn andere nichts geben - das kann man in Trumps USA durchaus unangepasst finden. Michael Curry plädiert dafür, sich nicht mit Gegnern zu streiten, sondern dem Gegenüber stattdessen einfach mal zuzuhören. "Ich versuche immer, etwas über den Menschen hinter seiner politischen Meinung zu erfahren, anstatt mich in einer aussichtslosen Diskussion zu verheddern", sagt Curry. Vielleicht fände man mit der Zeit dann eher zueinander, auch wenn das naiv klingen möge. Vor ihm habe sich nach einer Veranstaltung mal ein massiger Typ aufgebaut, ein white supremacist, aufgewachsen in einer Familie zahlreicher Ku-Klux-Klan-Mitglieder. "Meine Predigt aber hatte ihn berührt. Er kam zu mir, um sich dafür zu bedanken." Liebe vorleben, auch wenn es schwerfällt, und das eigene Ego hintanstellen - das ist sein Credo.

In der Episkopalkirche ist Curry als Querdenker gut aufgehoben. Gegründet 1607 als US-amerikanischer Ableger der Church of England, ist sie bekannt für ihre eher fortschrittlichen Ansichten. So wurde 2003 zum Beispiel Gene Robinson zum Bischof gewählt, der offen in einer homosexuellen Beziehung lebte. Das führte zwar zu heftigen Diskussionen, Robinson blieb trotzdem neun Jahre lang im Amt. Seit 2015 führt die Kirche auch gleichgeschlechtliche Trauungen in den USA durch und macht sich für die Rechte von Bisexuellen und Transgendern stark.

Michael Curry, geboren 1953 in Chicago, verheiratet und Vater von zwei Töchtern, ist hingegen der erste afroamerikanische Bischof der Episkopalkirche. Das ist insofern erstaunlich, als dass neun von zehn Mitgliedern dieser Glaubensgemeinschaft weiß sind, so eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts PEW. Darüber hinaus hat keine andere christliche Kirche mehr US-Präsidenten hervorgebracht wie diese, zu ihnen gehören etwa George Washington, Franklin D. Roosevelt oder George H. W. Bush. Currys Vorfahren wurden als Sklaven ins Land gebracht.

Mehr verrückte Christen in seine Kirchen zu locken dürfte trotzdem eine große Aufgabe werden, obwohl Religion in den USA eine andere gesellschaftliche Bedeutung hat als in Deutschland und dabei mit dem Verkauf von Emotionen nicht gegeizt wird. Er hat es nun auf die Millennials abgesehen, dabei hatte keine Generation vor ihr je so wenig Interesse an Religionsgemeinschaften, wie sämtliche sozialwissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Für seine Mitgliederwerbung macht er sich aktuell beliebte Schlagworte wie Meditation, Achtsamkeit, Selbstliebe zu eigen und versucht, junge Menschen mit Podcasts, täglichen Gebeten auf einer App oder Initiativen wie "Laundry Love" anzusprechen, Gruppen, die sich im Waschsalon treffen, um die Kleider von Obdachlosen und mittellosen Familien zu waschen. "Wir müssen nicht massive Werbung für die Kirche betreiben, um unsere Bänke wieder zu füllen. Sondern wir müssen Gutes tun. Dann schließen sich die Menschen uns von alleine wieder an", sagt Curry.

Die englischen Royals hat er zumindest schon mal auf seiner Seite. "Die waren längst nicht so steif, wie man sie vor den Kameras hat sitzen sehen", sagt er und lacht sein unwiderstehliches Curry-Lachen. Auf dem Empfang nach der Kirche habe man nett miteinander geplaudert, alle seien von seiner Predigt begeistert gewesen, und Harry und Meghan: so glücklich.

Ein bisschen dürfte er an seiner überschwänglichen Hochzeitsrede trotzdem selbst gezweifelt haben. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz sah man ihn jedenfalls laut vor sich hinmurmeln: "Ich hoffe, das war okay." Verrückter Christ.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2019/jael
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