Süddeutsche Zeitung

Deutschland:Wilde Sachen in Brilon

Lesezeit: 4 Min.

Friedrich Merz und Franz Müntefering stammen aus einer bodenständigen Region, in der man nicht immer zärtlich miteinander umgeht. Ein Lob des Sauerlands.

Von Kurt Kister

Wenn man nicht gerade aus Dortmund kommt, liegt das Sauerland weitab vom Schuss. Kommt man aber aus Dortmund, fährt man zum Wandern ins Sauerland, das in Dortmund ungefähr einen ähnlichen Ruf hat wie der Bayerische Wald in München. Manche Nicht-Dortmunder halten die Sauerländer, und mutmaßlich auch die Sauerländerinnen, für leicht bewaldete Steinköpfe, die am Ende jedes Satzes "woll" sagen. In Norddeutschland sagen sie "ne" oder "nä" am Satzende, in Berlin "wa", in Teilen Bayerns "gell" - und im Sauerland eben "woll". Friedrich Merz sagt das nicht, weil er die immer noch eher seltene Erscheinung eines sich weltläufig gebenden Sauerländers ist. Merz stammt aus Brilon, das zwischen Bestwig und Marsberg liegt. Wer alle drei Orte nicht kennt, muss keine fünf Euro in die Kaffeekasse zahlen.

Übrigens meldet die Westfalenpost, dass Merz' Elternhaus in Brilon gerade zum Verkauf steht. Es ist denkmalgeschützt, seit langer Zeit in der Familie, und im Oktober 1813 übernachtete dort mal Jérôme Bonaparte, der jüngste Bruder Napoleons, der, ohne dass er sich einer Mitgliederbefragung hätte stellen müssen, von seinem Bruder zum König des von Napoleon erfundenen Königreichs Westphalen gemacht worden war (damals schrieb man das noch mit ph). Merz wiederum bekam schon 2004 als etwas jüngerer CDU-Politiker gewisse Probleme, weil er die Amtsführung seines früher ebenfalls in diesem Haus residierenden Großvaters Josef Paul Sauvigny gelobt hatte. Sauvigny war von 1917 bis 1933 als kreuzkatholischer Angehöriger der Zentrumspartei Bürgermeister von Brilon. Als die Nazis die Macht übernahmen, blieb Sauvigny Bürgermeister, wohl weil er sich mit den neuen Verhältnissen mehr als nur arrangierte.

Franz Müntefering wiederum, der schon Parteivorsitzender war, was Merz erst noch werden möchte, wenn auch in einer anderen Partei, stammt aus Neheim und wuchs in Sundern auf. Neheim ist noch näher an Dortmund als Brilon, von Sundern sind es etwa vier Katzensprünge nach Iserlohn. In Sundern ging Müntefering von 1946 an zur Volksschule. Die Volksschule von Sundern ist Freunden des Sauerlandes sowie Rentenpolitikern im allgemeinen durch einen der vielen unsterblichen Sätze Münteferings bekannt. Als Bundesarbeitsminister sagte Müntefering im Januar 2006, als er die Rente mit 67 begründete: "Da muss man kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen."

Friedrich Merz und das Mofa: War da wirklich was?

Franz Müntefering gehört zu jenen Politikern, die einem, wenn man Spaß an Menschen in der Politik hat, wirklich fehlen. Vielleicht liegt das auch daran, dass er Sauerländer ist. Allerdings hat man noch nie gehört, dass sich Friedrich Merz auf die Volksschule in Brilon bezogen hätte. Merz hat vor zwanzig Jahren mal was davon erzählt, dass er mit einem Mofa wilde Sachen in Brilon gemacht hätte. Allerdings hat ein früherer Kumpel von Merz daraufhin der damals noch fast linken Zeit erzählt, dass Merz gar kein Mofa gehabt habe, sondern nur mal mit dem DKW-Moped von Heinzi über ein Feld gebrettert sei. Was weiß man, was in den Sechzigerjahren in Brilon passiert ist? Und will man es wissen?

Jedenfalls weiß jede Oberpfälzerin, jeder Vogtländer und vielleicht auch manche Sauerländerin, dass die Lebensklugheit eher in Regionen gedeiht, die andere für Randregionen halten. Im Sauerland, so heißt es, verstehe man alle, die wegziehen, um in der Fremde, vielleicht sogar weiter weg als Dortmund, ihr Glück zu machen, und sei es bei Blackrock. Was man nicht so gern mag, weder im Sauerland noch in Schleswig, sind jene auf Dauer Verreisten, die sich immer dann an ihre Wurzeln erinnern, wenn es ihnen zum Vorteil gereicht.

Bei Müntefering, um nochmal auf ihn zu kommen, war das nie so. Müntefering sagte häufig "getz" wenn er "jetzt" meinte, weil das "j" am Anfang eines Satzes in Sundern eben eher wie "g" gesprochen wird. Das ist in Ordnung, und hat die SPD nicht daran gehindert, Müntefering gleich zweimal zum Parteichef zu wählen. Einmal musste er ran, weil Schröder nicht mehr wollte; das andere Mal hatten der heute sanfte Herr Steinmeier und einige Freunde den unglücklichen Kurt Beck vom Parteivorsitz vertrieben. Allerdings, das muß getz doch gesagt werden, mobbte auch Müntefering ein wenig mit. Der Sauerländer kann im Umgang mit anderen Menschen durchaus unzärtlich sein. Friedrich Merz würde das nicht bestreiten, auch wenn ihm die gehobene Unzärtlichkeit im politischen Umgang 2002 durch eine ein paar Jahre danach Kanzlerin werdende Frau aus der Uckermark widerfahren ist. Andererseits könnte man sagen, die Uckermark sei das Sauerland mit anderen Mitteln und weniger Bergen.

Menschen, die dem Sauerland, und sei es geografisch, eher fernstehen, haben weniger heiße Gefühle als solche, die in seiner Nähe geboren oder aufgewachsen sind. Die Journalistin Birgit Schönau zum Beispiel, die seit Langem in Italien lebt, stammt aus Hamm, von wo aus man mit dem Mofa in einer entschiedenen Tagestour nach Brilon fahren könnte. In ihrem Blog wütet Schönau mit wohlgesetzten Worten gegen jenen Teil des Sauerlands, den sie mit einem gewissen "Friedrich M." verbindet: "Immer noch vorherrschend: Die Draußen-nur-Kännchen-Mentalität, die Schweineschnitzel-Gaststätten ,mit Zigeunersauce' und die Weihnachtsbaum-Monokultur, die ,Holland ist genug Ausland'-Fraktion und Leute, die unter religiöser Mischehe evangelisch-katholisch verstehen." Außerdem holzten die Sauerländer ihre käferbefallenen Wälder ab und verschifften die Stämme nach China.

Das hört sich dramatisch an. Vielleicht ist das Sauerland gefährdeter, als man denkt. Vielleicht ist es aber auch nicht so schlimm, und die schreiben nur so garstig über das Sauerland. Der frühere Bundespräsident Heinrich Lübke hat einmal über Günter Grass gesagt: "Der schreibt so unanständige Dinge, über die nicht einmal Eheleute miteinander sprechen." Heinrich Lübke stammte aus Enkhausen, das bei Sundern liegt; in Brilon ging er zur Schule.

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