Menschen und Haustiere:Tierische Wohngemeinschaften

"Animal Hoarder" leben mit Hunderten Katzen, Vögeln oder Hunden unter einem Dach - nun wird das Phänomen erstmals untersucht.

Marten Rolff

München - Die Amtstierärzte trauten ihren Augen nicht, als sie im vergangenen Dezember die Zweizimmer-Wohnung des Frührentners Gerhard A. in Berlin-Spandau betraten. Nachbarn hatten beim Hausverwalter moniert, dass Herr A. zu viele Vögel halte. Doch was das konkret bedeutete, hätten die Veterinäre wohl nie erwartet: Der Boden der stickigen 62-Quadratmeter-Wohnung war mit Kot und Federn bedeckt, an den Wänden blühte der Schimmel, und das Wohnzimmer glich einem Wald aus künstlichen Zweigen.

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Experten sehen das Horten von Tieren als Zeichen für Einsamkeit und Depressionen. Diese Wellensittiche wurden in einer Berliner Wohnung gefunden - es waren 1600 Tiere, mit denen ein Frührentner auf 62 Quadratmetern wie in einer Voliere lebte.

(Foto: Foto: ddp)

Mehr als 1500 Wellensittiche flatterten in den Räumen umher, viele von ihnen waren mit Milben befallen. Zwei Tage dauerte es, die Vögel einzufangen, bei ihrer Unterbringung mussten Tierheime in Hamburg, Bremen und Mannheim aushelfen, Berlin hatte nur Platz für 800 Sittiche.

Die "Wohnungsvoliere von Spandau" machte damals bundesweit Schlagzeilen, Tierschützer und Behörden schwankten zwischen Bestürzung und Ungläubigkeit. Man habe es hier mit einem sehr seltenen Extremfall krankhaften Vogelsammelns zu tun, lautete eine Erklärung. Ein Einzelfall war es indes nicht, wie sich schnell zeigen sollten. Ende Mai wurden Tierschützer auf einen weiteren Berliner Vogelhalter aufmerksam, diesmal befreiten sie knapp 500 Sittiche aus seiner Wohnung.

Ein Ausmaß, das Elke Deininger schon lange nicht mehr verwundert. Für die Tierärztin sind die exzessiven Berliner Vogelsammler nur zwei der spektakuläreren Fälle in einer langen traurigen Reihe. Animal Hoarding, also das krankhafte Horten von Tieren, so sagt Deininger, sei zu einem ernsten Problem geworden. Die Zahl der Menschen in Deutschland, die ihren Sammelzwang mit Tierliebe verwechseln, nehme stark zu, "und sie geht durch alle Bevölkerungsschichten - vom Anwalt bis zur Sozialhilfeempfängerin".

Tierheime wegen Sammelwut überfüllt

Elke Deininger leitet die Arbeitsgruppe Animal Hoarding an der Akademie für Tierschutz in Neubiberg bei München. Gegründet wurde die Gruppe vor gut einem Jahr, nachdem ein paar "besonders schwere Fälle" die Akademie aufhorchen ließen. Zudem hatten einige Tierheime gemeldet, dass sie wegen des Sammelzwanges inzwischen überfüllt seien. Bei der Erforschung des Phänomens stehe man erst am Anfang, sagt Deininger. Zahlen für Deutschland gibt es noch nicht, monatlich werden derzeit etwa fünf neue Fälle bekannt.

In den USA, woher bislang alle relevanten Studien zum Thema kommen, werden jährlich schon etwa tausend Animal Hoarder aktenkundig; mit mehr als hunderttausend betroffenen Tieren, wobei Forscher schätzen, dass die tatsächliche Zahl der amerikanischen Hoarder etwa doppelt so hoch liegt. Die Akademie für Tierschutz hat nun eine Forschungsarbeit in Auftrag gegeben und damit begonnen, die deutschen Fälle von Animal Hoarding systematisch zu erfassen.

Mit 93 Terriern in der Wohnung

Wer die Liste von Elke Deininger durchsieht, kann schnell den Eindruck bekommen, dass es gerade in Mode gekommen ist, Privatzoos auf engstem Raum zu gründen: In Pforzheim, im Schwarzwald, fand eine Entrümpelungsfirma bei der Auflösung einer Einzimmer-Wohnung 130 Kaninchen vor, in Kusel in der Westpfalz lebte ein Rentner mit 93 Yorkshire-Terriern auf 80 Quadratmetern, in Mannheim befreite die Polizei 132 vor sich hin vegetierende Katzen aus einer Miniwohnung. Die unbekannt verzogene Halterin war bereits zuvor auffällig geworden, die Rettung und Versorgung der Tiere kostete die Stadt bislang 20.000 Euro.

Und in einer Berliner Wohnung stellten Veterinäre gut 300 Echsen sicher, darunter zwei Warane und mehr als 250 Geckos. Die Liste ließe sich beliebig fortführen, sagt Deininger, und dass die Tiere unterernährt, ungepflegt, krank oder verletzt aufgefunden würden, sei leider an der Tagesordnung.

Einsamkeit und depressiven Störungen

Die Gründe für die Sammelwut und ihre Zunahme ließen sich bislang nur recht allgemein formulieren, sagt der Frankfurter Psychologe Werner Gross. Ähnlich wie verschiedene Suchtformen sei Animal Hoarding nur als Symptom einer weitergehenden psychischen Erkrankung zu werten. Die Zunahme von Einsamkeit und depressiven Störungen in der Gesellschaft spiele eine große Rolle, sagt Gross, "es gibt immer mehr Menschen ohne sinnvolle Tagesstruktur, und diese Menschen suchen sich oft ein Thema."

Was dann mit der Aufnahme von drei, vier streunenden Katzen beginne, werde rasch zum unkontrollierbaren Problem, erklärt der Psychologe. Einer US-Studie zufolge sind etwa 75 Prozent der Betroffenen Frauen. Und mehr als die Hälfte aller pathologischen Tiersammler sind älter als 50 Jahre.

Werner Gross ist eigentlich Spezialist für das sogenannte Messie-Syndrom. Er behandelt Patienten, die daran scheitern, ihren Alltag zu organisieren und Prioritäten zu setzen und die oft unter einer chronischen Sammelwut leiden. Die Parallelen dieser Störung zum Animal Hoarding seien auffällig, sagt Gross. Und auch das Messie-Syndrom nehme zu. Ein Unterschied bestehe jedoch darin, dass Menschen mit Desorganisationsstörung oft freiwillig zum Therapeuten gingen, bei Hoardern, die sich meist als Tierschützer verstehen, fehle das Problembewusstsein dagegen in der Regel völlig, sagt Gross.

Retter und Narzissten

Psychologen unterscheiden dabei drei Hoarder-Typen: Den "Pfleger", der sich aufopferungsvoll, aber planlos kümmert und bei dem sich die Tiere unkontrolliert vermehren. Den "Retter", der aktiv Tiere sammelt, weil er glaubt, nur bei ihm seien sie sicher. Und den "Narzissten" oder "Ausbeuter", der hofft, an den Tieren zu verdienen. Doch selbst unter den eher einsichtigen Pflegertypen, sagt Gross, sei ihm bisher keiner bekannt, der in eine Therapie eingewilligt habe.

Bei der Akademie des Deutschen Tierschutzbundes macht man sich daher keine Illusionen, dass das Problem leicht in den Griff zu bekommen ist. Die strafrechtliche Verfolgung sei schwierig und ziehe sich meist über Jahre hin. Auch weil Tierquälerei schwer nachweisbar sei, sagt Evelyn Ofensberger, die die Rechtsabteilung der Akademie leitet. Erhielten Animal Hoarder Auflagen von örtlichen Ämtern, zögen sie nicht selten einen Landkreis weiter und begännen erneut mit dem Sammeln. Die beschlagnahmten Tiere weiterzuvermitteln, dauert oft Jahre; ihre Unterbringung in Tierheimen sowie die Prozesskosten verschlingen in manchen Fällen sechsstellige Summen.

So bleibt Tierschützern und Ämtern bislang nur, auf das Thema aufmerksam zu machen und die Ursachen zu erforschen. Eine enge Zusammenarbeit werde dann ermöglichen, künftig öfter einzuschreiten, bevor Fälle eskalieren, hofft Deininger. Zumindest an auffälligem Verhalten ließen es die Betroffenen ja nicht fehlen.

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