Menschen mit Down-Syndrom:"Wünschen wir uns wirklich eine Zukunft ohne Menschen mit Behinderung?"

Die isländische Fotografin Sigga Ella fotografiert Menschen, die alle eine Gemeinsamkeit haben: das Down-Syndrom. Ein Gespräch über deren Einzigartigkeit - und die Macht von Eltern.

Von Kathrin Stein

SZ: Frau Ella, Sie haben Menschen mit Down-Syndrom porträtiert. Warum?

Sigga Ella: In meiner Heimat Island kommen immer weniger Babys mit Down-Syndrom auf die Welt. Zwischen 2007 bis 2012 gab es 38 Föten mit erhöhtem Down-Syndrom-Risiko. In allen 38 Fällen wurde das Baby abgetrieben. Mich interessiert die ethische Dimension: Eltern habe heute eine enorme Macht. Sie können entscheiden, ob ein Baby leben soll oder nicht. Ich hatte eine liebenswerte Tante mit Down-Syndrom. Wenn ich an Tante Begga denke, frage ich mich schon: Warum sollten Menschen mit Down-Syndrom auf dieser Welt keine Daseinsberechtigung haben?

Viele Eltern, auch in Deutschland, entscheiden sich heute für eine Nackenfaltenuntersuchung und treiben dann ab. Sollten wir das verbieten?

Nein, das ist nicht der richtige Weg. Ich bin nicht gegen Pränataldiagnostik. Eltern haben ein Recht darauf zu erfahren, ob ihr Baby eine Behinderung haben könnte. Aber ich denke auch, dass es an der Zeit ist, innezuhalten und über die Folgen nachzudenken. Wünschen wir uns wirklich eine Zukunft ohne Menschen mit Behinderung? Und ich denke, dass wir mehr Aufklärung brauchen. Und zwar schon in der Schule. Das Down-Syndrom ist keine Krankheit und auch kein Fehler.

Sie haben ihre Modelle alle vor der gleichen Kulisse abgelichtet, einer bunten Blumentapete. Warum?

Ich habe nach einem schlichten, farbenfrohen Hintergrund gesucht, der die Menschen davor in den Mittelpunkt stellt. Und noch etwas wollte ich mit der Blumentapete zeigen: Ganz verschiedene Pflanzen können zusammenwachsen und gedeihen. Wieso sollten das nicht auch verschiedene Menschen können? Menschen mit Down-Syndrom werden oft so behandelt, als seien sie alle gleich. Ich wollte ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten zeigen. Obwohl sie alle das Syndrom haben, ist jeder von ihnen einzigartig.

Das Projekt trägt den Titel "First and Foremost I am". Was bedeutet das?

Das Zitat stammt von Halldóra Jónsdóttir. Sie ist Teil des Projekts. Halldóra hat das Down-Syndrom, sie studiert trotzdem, arbeitet in einer Bibliothek, ist Amateur-Schauspielerin, Musikerin und vieles mehr. Sie ärgert sich, wenn Menschen ihr die Daseinsberechtigung absprechen. Sie mag ihr Leben. Deshalb hat sie einmal gesagt: "Ich habe das Down-Syndrom, aber zuerst und vor alledem bin ich Halldóra."

Fotografin Sigga Ella

Die Fotografin Sigga Ella hat 21 Menschen mit Down-Syndrom fotografiert.

(Foto: Sigga Ella)

Wie war die Zusammenarbeit mit den Menschen mit Down-Syndrom?

Ich habe mit 21 Menschen zwischen neun Monaten und 60 Jahren gearbeitet. 21, weil das 21. Chromosom das Down-Syndrom hervorruft. Meistens war ich mit ihnen allein und wir haben uns über die unterschiedlichsten Themen unterhalten. Ich habe ihnen nicht gesagt, was sie machen sollen, weil ich wollte, dass sie sich einfach nur wohlfühlen. Im richtigen Moment habe ich dann auf den Auslöser gedrückt. Die Emotionen, die man sieht, sind also real. Manchmal gibt es dieses wahre Glück.

Wie reagieren die Menschen auf Ihre Arbeit?

Ich erhalte sehr viel positives Feedback von den unterschiedlichsten Menschen weltweit. Es macht mich glücklich, dass mein Projekt die Leute dazu bringt, über ein solches Thema nachzudenken und zu diskutieren. Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom haben, würden es für nichts in der Welt eintauschen. Genauso wenig wie Eltern mit gesunden Kindern.

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