Meine Kindheit: Ulrich Wickert:"Wir waren eben die Japaner"

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Ulrich Wickert über seine Kindheit in Japan, seine Vorliebe für Micky-Maus-Hefte und seinen Hass auf die Schule.

Christian Mayer

Meine ersten Jahre habe ich in Japan verbracht, mein Vater war dort Rundfunk-Attaché, und gegen Ende des Krieges schrieb er an seinen Büchern. Wir wohnten in einem kleinen Dorf namens Kawaguchi am Fuß des Fuji, in einem Bauernhaus aus Holz. Ich erinnere mich noch gut an den beheizbaren Holzbottich, in den das Wasser eingelassen wurde - dort wurden wir Kinder, mein älterer Bruder Wolfram und ich, einmal in der Woche gebadet. Wenn das Wasser mal warm war, musste es für die ganze Familie reichen.

Das Schönste ist, wenn Kinder in Freiheit aufwachsen können: Im Wald gab es eine Tempel-Ruine, von der wir uns Bretter besorgten, um daraus etwas zu bauen. Idyllischer kann man kaum aufwachsen! Meist waren meine Eltern sehr beschäftigt, was für uns hervorragend war. Streng waren sie nicht, sie haben uns nie geschlagen, aber sie hatten Richtlinien. Manche Dinge wurden gar nicht erst diskutiert - etwa dass wir um halb acht ins Bett mussten.

1947 kamen wir zurück nach Deutschland und lebten im Sauerland bei der Schwester meines Vaters, da war ich viereinhalb. Glücklicherweise wohnten wir auf dem Land, so hatten wir immer etwas zu essen. Wir haben viel gelesen in dieser Zeit vor der Allgegenwart des Fernsehens, das war beinahe ein Automatismus. Am liebsten habe ich Micky-Maus-Hefte verschlungen. Die waren aus Sicht meines Vaters natürlich Schund, aber deshalb besonders attraktiv.

"Wie ich sie gehasst habe!"

Ich kaufte mir auch oft von meinen Ersparnissen "Pete"-Hefte - es ging da um einen Cowboy, der mit seinen Pferden die tollsten Abenteuer erlebte. Auch die Hefte musste ich verstecken, weil diese Art der Literatur nicht gerne gesehen wurde. Erwünscht waren Märchen, Sagen und historische Romane wie "Quo Vadis?"

Später zogen wir nach Heidelberg, wo ich zur Schule ging. Wie ich sie gehasst habe! Ich empfand sie als etwas sehr Lästiges und habe auch nicht viel gelernt, weil ich anfangs lauter Einser hatte. Das führte zu einigem Ärger, auch mit meinem Vater, als die Noten schlechter wurden.

Bei den anderen Kindern galten mein Bruder und ich damals als absolute Exoten. Wir hatten eine höhere Stimmlage - eine Angewohnheit aus Japan, weil die Kinder dort so sprechen. Außerdem spielten wir seltsame Spiele, mit Bären und Tigern. Das fanden die Kinder im Sauerland der späten vierziger Jahre schon etwas komisch. Bei denen hatten wir bald unseren Spitznamen weg: Wir waren eben die Japaner.

© SZ vom 14.10.2009/aro - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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