Mein erstes Mal: Pole-Dancing:Wie sexy ist ein S?

Sheila Kelly trainiert Hollywoods Frauen im Pole-Dancing. Brust, Po und Hüfte kreisen wild gemäß dem "S-Faktor". Und wer nicht biegsam ist, muss fühlen.

Mirja Kuckuk, Video: Marcel Kammermayer

Der Münchner Nachtclub ist nicht nach Sheila Kellys Geschmack. Nachts schauen hier Männer Frauen dabei zu, wie sie sich an der Stange räkeln und sich ihrer Kleidung entledigen.

Sheila Kelly; Riva Verlag

Aufstehen ist nicht gleich aufstehen: Man kann dabei - zur Freude des Partners - nebenbei die Rückenmuskulatur stärken.

(Foto: Foto: Riva Verlag)

Es ist zwar ein sonniger Vormittag, der Club ist leer, doch er wirkt düster, und Sheila Kelly will ihren Lieblingssport doch gerade aus dieser Schmuddelecke bringen: das Pole-Dancing. In ihrer Heimat ist der US-Schauspielerin ("Sisters", "L.A. Law") das bereits geglückt. Der erotische Tanz an der vertikalen Stange ist dort längst Trend.

Hollywoods Frauen schwören auf das Workout, einer Mischung aus Striptease, aufreizendem Tanz, Pilates und Yoga. Natürlich hat es eine Kate Hudson nicht nötig, sich vor gefesselten Augenpaaren lasziv zu räkeln. Auch Nicole Kidman und Cindy Crawford wollen mit dem Power-Strip schlicht ihren Körper stählen - und nicht dabei begafft werden.

In New York, Los Angeles, San Francisco und Houston führt Sheila Kelly insgesamt acht Pole-Dance-Studios. In hellen holzgetäfelten Sälen, ohne gefesselte Blicke oder spiegelnde Wände trainiert sie Promis, aber auch Frauen ohne vorzeigbaren Bekanntheitsgrad - Mütter, Psychologinnen, Ernährungsberaterinnen.

Keine falsche Scham

Heute muss Kelly hingegen mit der Boobs-Bar im Bahnhofsviertel vorlieb nehmen. Es gibt viele Spiegel, Diskokugeln, die das wenige Licht reflektieren, und eine Nebelmaschine, die sich nicht abstellen lässt und ab und zu "pfft" macht. Zuschauer gibt es zum Glück keine.

Die deutschen Fitness-Studios haben bislang von dem Trend aus Übersee keinen Wind bekommen und bieten keine geeignete Stange, an der Sheila Kelly ihren Trimm-dich-Strip vorführen könnte. Deshalb hat sich Sheila Kelly aufgemacht, uns zu bekehren: Auch wir Europäerinnen sollen unsere Sexiness erfahren, ganz ohne Promi-Faktor, dafür aber dank Sheilas "S-Faktor".

"Ich will Frauen mit ihrem Körper vertraut machen. Sie sollen ihre ganz eigene Erotik spüren und dabei ihren Körper trainieren", sagt die Texanerin, die ihr Alter nicht verrät. Sexy ist sie ohne Frage: Ihrer Vita zufolge müsste sie um die 50 Jahre alt sein, ihre tadellose Gesichtshaut aber entspricht dem Hollywood'schen Reinheitsgebot. Das brünette Haar fällt wellig über die Schultern, die Augen strahlen blau, die Lippen glänzen vom Gloss. Dass sie bereits zwei Söhne zur Welt gebracht hat, sieht man ihrem scheinbar 25-jährigen Körper nicht an.

Mancher Feministin im Lande sind Kelly und ihr enthemmter Tanzsport ein Dorn im Auge. Die Schauspielerin, die durch eine Filmrolle als Go-Go-Girl auf den Geschmack gekommen ist, versteht sich selbst als "womanist". Sie wolle Frauen nur etwas Gutes tun, indem sie ihre Körper und damit ihr Selbstbewusstsein stärke.

Mach dich frei!

"Der weibliche Körper entspricht einem 'S'. Wir bewegen uns viel zu selten nach dieser naturgegebenen Form", sagt sie. "Frauen ziehen Brust, Hüfte und Po ein, anstatt sie rauszustrecken. Denn wir sind gesellschaftlichen Zwängen unterworfen oder wollen ganz einfach Männerblicke vermeiden."

Männer sind keine im Raum, als Sheila zeigt, wie man sich hemmungslos und sportlich zugleich auf einer Gymnastikmatte räkelt, sich dabei berührt und das Haar ins Gesicht fallen lässt. Selbst die Bardame musste das Feld räumen, damit keine falsche Scham aufkommt.

Das Training beginnt auf der Matte, denn ohne intensives Aufwärmen lässt Sheila niemanden den "Feuerflug" oder die "Schlange" an der Stange ausprobieren. Sehnen könnten reißen, Muskeln verspannen. Trotz aller guten Vorsätze bewege ich mich verhalten - ich kann mich beim besten Willen nicht so lang machen und geschmeidig wie Sheila die "Katze", eine dem Yoga entlehnte Figur, mimen.

Dennoch stößt sie ein "good girl, yeah!" aus. Blicke in den Spiegel zur Vergewisserung, ob man den Anweisungen auch korrekt folge, sind unerwünscht: "Guck mich an, wir mögen keine Spiegel!"

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Wie sexy ist ein S?

Der "S-Walk"

Sheila Kelly; Riva Verlag

Im Flug um die Stange: Sieht kinderleicht aus, erfordert aber Muskelkraft und Körperbeherrschung.

(Foto: Foto: Riva Verlag)

Mittlerweile hat sich Sheila von der Matte erhoben und beginnt langsam über die silberne Bühne zu schreiten. Michael Jackson machte den Moon-Walk berühmt, Sheila Kelly will den "S-Walk" perfektionieren - den Pfeiler ihrer sportlichen Erotik.

Ganz langsam gehen wir, ein Bein kreuzt das andere, die Zehenspitzen schleifen beim Schwung nach vorn sacht über den Boden, wir fallen in die Hüfte, machen ein Hohlkreuz, Brust und Po heraus - da ist es, das "S" .

Bei Sheila ist es ein großes, geschwungenes; meins zählt eher zum Kleingedruckten. Und dennoch vernehme ich: "Good girl! Oh, you're awesome!" Amerikaner müssen ein Cheerleader-Gen besitzen, sie wollen einem immer Mut machen.

Die Muskeln beginnen zu brennen, die betont langsamen Bewegungen in der Aufwärmphase wirken. Dabei muss ich mir permament einreden, dass ich wenigstens halb so sexy aussehe wie mein prominentes Gegenüber.

Im Feuerflug

Jetzt geht es an die Stange. Sheila setzt zum "Feuerflug" an: Sie umfasst mit beiden Händen weit oben die Stange, hakt die Rückseite ihres linken Fußgelenks an der Tanzstange ein, hält die Zehenspitzen gestreckt. Mit dem rechten Fuß stößt sie sich kräftig vom Boden ab und lässt den Körper in einer schnellen Bewegung im Uhrzeigersinn um die Stange sausen. Sie zieht den rechten Fuß nach, wirft die Haare in den Nacken - und hat offensichtlich großen Spaß dabei.

Ihr Mann fände das übrigens auch ganz toll, erzählt sie, zumindest das Zuschauen. Er stehe zu ihrer expressiven Leidenschaft. Deshalb gönnt sie ihm hin und wieder eine Showeinlage - an der Stange, die sie in seinem Büro montiert hat.

Blaue Flecken sind ein unvermeidbarer Nebeneffekt dieser ambitionierten Übungen am Eisen. In ihrem Workout-Buch empfiehlt Sheila Arnikasalbe für das schmerzende Gewebe. Und verspricht, dass sich mit der Zeit Gewöhnung einstellt und die Schmerzen vergehen.

Ich nehme sie beim Wort, als ich zu meinem ersten Flugversuch ansetze. Beim dritten Mal stimmt die Koordination und es macht wirklich Spaß. Es ist ein bisschen wie damals beim Kinderturnen - mit veränderter Konnotation.

Die Bardame hat nur Justin Timberlake vom Band als Begleitung zu bieten. Dann lieber gar keine Musik, sagt Sheila. Zur ihrem Workout gehört nicht irgendein Soundtrack: Genüsslich langsam bewegt sie sich am liebsten zu Ryan Adams und Nick Cave. Mit mehr Tempo turnt sie zu Eminem und The Whites Stripes.

Mit einem letzten Feuerflug endet das Training, ich spüre jetzt jede Faser meines Körpers. Sexy wie ein S fühle ich mich zwar nicht, aber auch nicht mehr steif wie ein Brett.

Sheila Kelly: Pole Dancing für jede Frau. Riva Verlag 2008, 19,90 Euro.

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