Mein erstes Mal: Kanu:"Ich geb dir zwei Sekunden"

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Olympia-Hoffnung geht von den Karlsruher "Rheinbrüdern" aus. Unsere Autorin stieg bei einem Profi-Kanuten wagemutig ins Boot.

Ines Schipperges

"Zwei Sekunden", sagt Volker Lambeck. "Das ist die Durchschnittszeit, die sich ein blutiger Anfänger in einem Renn-Kanu halten kann." Lambeck ist Trainer der Nachwuchs-Kanuten "Karlsruher Rheinbrüder" - er muss es wissen. An dem Tag, an dem ich dieser mutige Neuling sein soll, gilt mein erster Blick dem Himmel: Die Sonne scheint, 36 Grad sind angekündigt - die besten Bedingungen, um baden zu gehen. Keine Panik also.

Björn Goldschmidt ist ein "Rheinbruder" und eine eine deutsche Medaillenhoffnung in Peking. (Foto: Foto: Rheinbrüder)

Die Kaderschmiede des deutschen Kanu-Rennsports befindet sich in einem niedrigen Haus, dessen Anstrich schon bessere Tage gesehen hat. Das also ist das sportliche Zuhause von Björn Goldschmidt. Goldschmidt weilt zurzeit in Peking - er wird für eine deutsche Medaille kämpfen. In der Kanuwelt wird der Name Goldschmidt voller Ehrfurcht gehaucht, bei den "Rheinbrüdern" spricht man stolz von "unserem Björn".

Doch er ist nicht der Einzige, der es hier zu Ruhm gebracht hat. Wenn Trainer Lambeck von seinen Schützlingen erzählt, wirbeln Namen und Titel nur so durcheinander - Deutscher Meister, Vize-Europameisterin, Juniorenweltmeisterin, Weltmeister und Deutsche Jugendmeisterin... Und vor den Augen all derer soll nun ich ins Boot steigen?

Es wimmelt von Brüdern

Es fängt zum Glück nett an: Vom Motorboot aus darf ich zusehen, wie ein Dutzend leicht bekleideter, muskelbepackter Männer und Frauen schwungvoll und elegant zugleich über das Wasser gleiten. Es gibt schlechtere Tage. Kanufahren ist ein ästhetischer Sport, stelle ich fest.

Die "Rheinbrüder" - die zum Großteil aus Frauen bestehen - gehören zu den erfolgreichsten deutschen Nachwuchsvereinen. Und wer es national geschafft hat, ist oft auch international ganz vorne dabei. Dieses Jahr sind die Kanuten eine der großen Olympia-Hoffnungen Deutschlands. Um dahin zu kommen, ist jedoch vor allem eines nötig: schweißtreibendes Training. 16 bis 18 Stunden die Woche verbringt die Rennmannschaft im Boot oder mit Kraft- und Ausdauerübungen.

Die "Rheinbrüder"-Trainer sind zwar hauptberuflich tätig, in einer "Randgruppen-Sportart" sei das aber keineswegs selbstverständlich, sagt Lambeck. Die Sportler hingegen, obgleich durch Sponsoren gefördert, arbeiten oder studieren "nebenbei".

Doch so hart die Bedingungen auch sein mögen - die Kanuten könnten sich keinen anderen Sport vorstellen. Trotz der leichten Bekleidung blitzt die Leidenschaft aus allen Knopflöchern. Es sei das Element Wasser, das die Faszination dieser Sportart ausmache, erklärt Arnd Goldschmidt, der nicht minder siegreiche Bruder Björns.

Dass es hier von Brüdern nur so wimmelt, liegt nicht am Namen des Vereins, sondern an eben dieser Faszination. Wer einmal den Bruder oder die Schwester elegant übers Wasser gleiten sah, will es sofort selbst versuchen.

Diese Begeisterung kann ich verstehen, dennoch erkeichtert es mich, dass mir zumindest der Alleingang auf dem Wasser erspart bleibt. Aus der hintersten Ecke des Bootshauses wird ein roter Zweier hervorgeholt. Bug und Heck sind übersät mit Staubflocken. Das macht gar nichts: Der Kahn sieht wesentlich stabiler aus als die eleganten Renn-Kajaks.

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Lernen vom Meister

Christoph Baum ist Deutscher Meister. Der 25-Jährige nahm unsere Autorin mit ins Boot. (Foto: Foto: Rheinbrüder)

Christoph Baum nimmt sich Zeit für mich. Der 25-Jährige ist Deutscher Meister und mehrfacher Vizemeister. Er hat um fünf Uhr nachmittags zwei Trainingseinheiten hinter und noch eine weitere vor sich. Nächstes Jahr will er sein Maschinenbaustudium beenden. "Dann wird es schwierig mit dem vielen Training", sagt er. Weitermachen will er auf jeden Fall, das könne er sich auch gar nicht anders vorstellen.

Doch welche Ziele, Träume und Hoffnungen haben Sportler, die schon fast alles erreicht haben? "Olympia", antwortet Baum lapidar. Mindestens acht Jahre, zwei Chancen also, gibt er sich noch. Beispiele wie die Kanutin Birgit Fischer, die in Athen 42-jährig ihr achtes Olympia-Gold holte, zeigen, dass durchaus das Doppelte drin sein könnte.

Der 27-jährige Stefan Holtz, der als Canadier-Fahrer unter lauter Kajaks die "Orchidee" im Verein ist, sieht das genauso: "Olympia ist das Ziel - und wir haben noch genug Zeit. Ich glaube nicht, dass wir körperlich schon am Zerfallen sind." Der Blick auf seine Titel und den muskulösen Oberkörper gibt ihm Recht.

Holtz lässt seinen Canadier ins Wasser gleiten, grinst und wünscht: "Viel Spaß!" Das Ablegen ist gruselig, der erste Paddelschlag die Hölle: Rechts und links von uns schwimmen Algen, in denen man sich nur zu leicht verheddern kann. Inmitten des Grünzeugs baden zu gehen, wäre unangenehm, mit einem Deutschen Meister im Rücken zu kentern, wäre blamabel. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagt der: "Meine Sonnenbrille war übrigens teuer."

Doch da ist sie: die Faszination Wasser. Wasser hat keine Balken, sagt man - und gerade das ist das Schöne an diesem Element. Wir verlassen die Erde, den festen Boden, wir schweben. Auf dem Wasser scheinen menschliche Grenzen überwunden zu werden - zumindest, wenn man weiß, was man tut. Ich weiß das nicht, und meine Grenzen werden mir schneller klar, als mir lieb ist.

"Schön durchziehen", erklingt immer wieder die beruhigende Stimme von hinten. Leichter gesagt als getan. Wer eine neue Sportart ausprobiert, lernt sich selbst ein Stückchen besser kennen. Die rechte Hand bleibt, so wird mir erklärt, auf dem Paddel liegen, während die linke Hand sich dreht. Bei mir klappt das irgendwie nur andersherum. Ich lerne: Es fällt mir leichter, die linke Hand ruhig zu halten als die rechte.

Der Angriff der wilden Horde

Eine Weile paddeln wir ungestört vor uns hin, die Sache beginnt Spaß zu machen. "Wir sind ja noch gar nicht ins Wasser gefallen", rufe ich erstaunt nach hinten. Da sehe ich auf einmal eine wilde Horde auf uns zuschwimmen. "Beweg' dich nicht!", ruft Baum. Ich ziehe das Paddel aus dem Wasser und mit einem Mal flitzen wir dahin.

Ohne den Anfängerklotz an am Bein legt Baum ein rasantes Tempo vor - aber zu spät. Die Horde hat uns erreicht - es sind die Kanuten, die sich schwimmend vom Training erholen sollen und sich stattdessen an unser Boot hängen. Ich lerne: Wenn ich Panik kriege, kann ich ziemlich laut schreien.

Sei es dank meiner Kreischtöne, dank der kraftvollen Paddelschläge des Hintermannes: Wir werden die Angreifer los. Sie zappeln noch ein wenig um das Kanu herum, lassen dann von uns ab. Wir fahren weiter - und als wir schließlich den Steg erreichen, bin ich begeistert. "Ich habe schon mit Anfängern im Boot gesessen, die mehr gewackelt haben", sagt Baum. Ich beschließe, das als Kompliment aufzufassen.

Als unser treuer roter Kahn vor dem Bootshaus liegt, entdecke ich, dass auf dem Heck immer noch ein paar Staubflöckchen kleben. Liebevoll pflücke ich sie ab: Sie sind der Beweis dafür, dass ich nicht baden gegangen bin.

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