Mein erstes Mal: Hochseilgarten:Am wackelnden Faden

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Fahr nach Hause, leg dich ins Bett und komm nie wieder. Das sagt die innere Stimme im Hochseilgarten, und die inneren Alarmlampen blinken bis zum Durchbrennen. Genau dieser Kitzel ist das Schöne.

Birgit Lutz-Temsch

Die Beine fühlen sich an, als seien sie aus Stahl. Die Hände benehmen sich wie Greifer, über die man keine Kontrolle mehr hat: Sie wollen das Seil einfach nicht loslassen. Die Bauchmuskeln wimmern, zittern, flehen um Entspannung. Langsam rinnen Schweißtropfen über den ganzen Körper. Aber der Weg ist noch lange nicht zu Ende.

So sieht das aus, wenn man eine der mittelschwierigen Stationen in der höchsten Ebene eines Klettergartens ausprobiert. Jeder einzelne Muskel des Körpers ist gespannt. Jeder Nerv auch. Die Alarmlampen im Kopf blinken dunkeldunkeldunkelrot. Der Instinkt sagt: Lass dieses Seil nicht los. Lass dich bloß nicht nach vorne fallen. Geh den kürzesten Weg zurück zur Plattform, steig den sichersten Weg hinaus aus dem Hochseilgarten. Fahr nach Hause, leg dich ins Bett und komm nie wieder.

Und genau darum geht es. Eben das nicht zu machen. Nicht aufzugeben. Sich selbst zu überwinden. Weiterzugehen, sich weiterzuhangeln, und wenn es noch so schwerfällt. Und wenn es noch so unmöglich erscheint. Und selbst wenn man meint, man stirbt: Alles geht, wenn man nur will.

Mit diesem erhebenden Gefühl verlassen viele Besucher den Hochseilgarten Isarwinkel, sagt Betreiberin Barbara Eckstein. "Zu uns kommen viele Menschen mit Höhenangst. Nach einer Weile winken die mir aus sieben Metern Höhe zu und freuen sich, weil sie über sich selbst hinausgewachsen sind."

Seit August 2007 gibt es den Hochseilgarten Isarwinkel in Lenggries. Drei Ebenen hat die Anlage, die niedrigste beginnt bei einem Meter, an der höchsten Stelle hängt man in mehr als 15 Metern Höhe über der Erde. Die einzelnen Stationen verlaufen zwischen einer an Baumstämmen befestigten Plattform in der Mitte und mehreren sternförmig um diese herum angeordneten Außenplattformen. 90 Stationen sind es insgesamt.

Bei den einfachsten balanciert man einfach auf einem Balken von A nach B. An einer der schwierigsten baumeln verkürzte Schlepplifthaken vom Himmel - zum Hangeln. In 15 Meter Höhe. "Im Hochseilgarten stoßen sogar manche Kletterer an ihre Grenzen", sagt Eckstein. "Sich hier zu bewegen, ist anders als Klettern, und es ist völlig anders als Bergsteigen."

Weil alle Teile beweglich sind, an denen der Besucher Halt finden soll, ist enorme Körperbeherrschung nötig. Und in der höchsten Ebene stellt man fest, dass auch die Baumstämme, an denen die Außenplattformen angebracht sind, schwanken. Schaukelt man sich dort zum Beispiel in einer Seilschlaufe stehend, die wiederum an einem Seil aufgehängt ist, auf eine andere Seilschlaufe zu, um genau im richtigen Augenblick die momentane Position aufzugeben, loszulassen und einen Schritt in die nächste Schlaufe zu machen - dann gehört dazu neben der Fähigkeit, sich selbst zu überwinden auch ein gutes Körpergefühl und eine sehr schnelle Reaktion, damit man die hin- und herschlackernde Schlaufe auch wirklich trifft und nicht ins Leere tritt.

Auf der nächsten Seite: Wenn einen die Kräfte verlassen.

Gnadenlose Spannung

Wobei man hier doch eine Ähnlichkeit mit dem Bergsteigen feststellt: Wenn es an der Technik mangelt, benötigt man umso mehr Kraft. Ist man nicht fit, ist man also sehr schnell am Ende seiner Kräfte. Und kann die richtige Technik erst recht nicht mehr anwenden. Genau, wie am Berg.

Und einige Stationen sind gnadenlos: Von Anfang bis Ende kann man die Muskeln nicht ein einziges Mal entspannen, auch wenn diese schon schreien vor Schmerzen.

Schlimmes würde aber auch dann nicht passieren, wenn einen mitten in einer Station die Kräfte verlassen würden, denn über einen Klettergurt und ein Klettersteigset ist man immer gesichert. Und für den äußersten Notfall haben die Betreiber mit der Bergwacht ein Rettungssystem erarbeitet. 15 Meter erscheinen im Hochseilgarten aber trotzdem seltsam anders als in der freien Natur, wo man beim Bergsteigen schon mal mehrere hundert Meter Wand unter sich hat.

Eckstein und ihr Kompagnon Heinz Tretter haben sich viel einfallen lassen, um den Garten abwechslungsreich zu gestalten. An anderer Stelle hängen Bierbänke in der Luft, und über eines der Drahtseile kann man auf einem Fahrrad fahren - wie im Zirkus. Und für Gruppen wie Betriebsausflüge gibt es die sogenannten Teamstationen, die man nur zu zweit oder in der Gruppe meistern kann, wenn man sich gegenseitig hilft.

Nach zwei Stunden im Hochseilgarten ist man völlig durchgeschwitzt, hat zittrige Knie, hat sich gefühlte 200 Mal selbst überwunden und den Kitzel in der Magengegend ignoriert, entschlossen nach baumelnden Seilen, schwingenden Autoreifen oder in der Luft tanzenden Holzbalken gegriffen, man hat auch die Stationen geschafft, von denen man dachte, das kann schon anatomisch überhaupt nicht hinhauen - und man ist richtig stolz.

Zum Abschluss klettert man dann über ein Halteseil in einen in der Luft baumelnden Sessellift. Bewundert den Blick über Lenggries und das Isartal. Dazu weht ein sanfter Wind das Geläut der Kuhglocken von der angrenzenden Weide herüber. Irgendwie beruhigend.

Der Hochseilgarten Isarwinkel steht in Lenggries neben der Talstation am Brauneck. Kinder müssen mindestens 1,40 Meter groß sein, um in den Hochseilgarten zu dürfen, ansonsten gibt es keine Einschränkung. Mitzubringen sind Turnschuhe, die Kletterausrüstung wird gestellt. Preise: Erwachsene für einen ganzen Tag 28 Euro, Kinder 18 Euro.

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