Mein erstes Mal (6): Eisklettern:Panik im Park

Das Erwachen kommt in 25 Metern Höhe. Das Hochklettern hat Spaß gemacht. Aber wie kommt man die Eiswand wieder runter?

Birgit Lutz-Temsch

Normale Menschen, die zum ersten Mal eisklettern, belegen einen Kurs beim Alpenverein, holen sich professionelle Anleitung, wagen sich an unverdächtige Eisflächen in den Alpen, gehen also an die Sache, sagen wir, mit einigem Respekt heran. Andere Menschen lassen sich von Freunden überreden, die sagen: "Das ist viel einfacher als Felsenklettern, wir können also gleich in einen richtigen Eispark fahren." Und wählen als Ziel nicht irgendeine Eisanlage, sondern den Ouray Ice Park in Colorado.

Mein erstes Mal (6): Eisklettern: Eisklettern - im Ouray Ice Park.

Eisklettern - im Ouray Ice Park.

(Foto: Foto: jt)

Der Ouray Ice Park ist eine Schlucht, in die bei tiefen Temperaturen aus dicken Rohren Wasser über die Felsen plätschert. Das Wasser friert. Fertig ist der Eispark. Hier findet jedes Jahr im Januar das Ouray Ice Festival statt, bei dem sich die besten Eiskletterer der Welt messen. Es gibt verschiedene Neigungen, Schwierigkeitsgrade, kombiniertes Gelände oder nur Eis.

Wir folgen der Wasserleitung am oberen Rand in die Schlucht hinein. An der Stelle, an der die ausgewählte Kletterroute von unten auf die Wasserleitung trifft, ziehen meine Freunde ein Seil durch eine Schlaufe und werfen beide Enden nach unten. Das ist das Seil, das mich halten soll, nachher. Die Enden des Seils, das dort in die Tiefe baumelt, sehe ich nicht. Wir setzen unsere Helme auf, ziehen die Steigeisen an und steigen an einer relativ einfachen Stelle einen gefrorenen Weg in die Tiefe.

Vorsicht, gläsernes Eis!

Dann stehen wir vor einer gigantischen Eiswand. Gigantisch scheint sie mir zumindest. In Wahrheit ist sie nur ungefähr 20 Meter hoch. Weiß, an manchen Stellen schimmert das Eis türkisfarben durch.

Ich lerne: Das Eis ist deshalb an der Oberfläche weiß, weil schon Frühjahr ist, und es schon länger warm war. Das türkisfarbene Eis darunter allerdings ist noch fest und hart. Beim Klettern soll ich das Eisgerät mit einem entschlossenen kurzen Schwung in dieses Eis schlagen, kurz daran rucken und prüfen, ob das Gerät hält. Und mich erst dann daran hochziehen.

Eis ist immer anders, es verändert seine Struktur und damit auch seine Festigkeit, erklären mir die Freunde. Aufpassen soll ich, wenn das Eis gläsern wirkt: Es splittert leicht und bietet keinen Halt.

Die eisige Wand strahlt eine Kälte ab, die in unsere Knochen kriecht. Wir heizen also unseren Benzinkocher an und schmelzen Schnee für Tee. Denn die, die gerade nicht klettern, werden viel herumstehen. In Schnee und Eis. Bei minus 15 Grad.

"Lass dich fallen!"

Die Freunde, denen ich mich anvertraut habe, waren schon öfter hier. Sie legen mir die Sicherung an und erklären, dass "nichts, absolut nichts" passieren kann. Ich soll ein paar Meter die Wand nach oben klettern. Und immer drei Punkte am Eis lassen, sprich: Immer nur einen Arm oder ein Bein von der Wand lösen und dadurch weiter nach oben steigen.

"Lass dich ins Seil fallen", sagt der Kumpel, als ich zwei Meter über ihm an der Wand hänge, "damit du merkst, dass du nicht abstürzt." Das klappt. Es ruckt nicht einmal besonders, als ich alle vier Punkte loslasse. Ich hänge. Das macht Mut.

So viel Mut, dass ich ziemlich schnell nach oben klettere. Und es erscheint mir tatsächlich einfacher als Felsenklettern. Ich muss keinen Griff suchen - die Spitzen meiner Eisgeräte graben sich in die Wand, dort, wo es bequem für mich ist. Kein einziges Mal bricht ein Stück Eis aus der Wand, wenn ich meine Eisgeräte in die Wand schlage.

Im Nu bin ich die ganze Wand hochgeklettert. Immer der Meinung, oben sei ich angekommen. Dort ist ja dieser Weg. Ich bin der festen Überzeugung, ich würde mich dort vom Seil lösen und auf dem bereits gegangenen Pfad in die Schlucht zurücksteigen.

Auf der nächsten Seite: Panik am Ende des Weges.

Panik im Park

Tief Luft holen und ...

Mein erstes Mal (6): Eisklettern: Die Sicherung hält - es tut gut, das nach ein paar Metern zu testen.

Die Sicherung hält - es tut gut, das nach ein paar Metern zu testen.

(Foto: Foto: jt)

Aber als ich noch einen Meter unterhalb dieses vermeintlichen Ziels in der Wand hänge, schallt es von unten: "Jetzt geht es ans Abseilen. Komm runter!" Ich blicke über meine Schulter nach unten. Die dort Wartenden erscheinen mir so klein wie die Liliputs bei "Gulliver's Reisen". "Wie? Abseilen? Ich muss hier wieder runter?" rufe ich zurück. In meiner Stimme liegt wohl Panik. Denn aus der Kletter-Route nebenan tönt schallendes Lachen. Dort trainieren zwei Kletterer für die Besteigung des Mount McKinley. Davon bin ich sehr weit entfernt.

"Lass dich einfach ins Seil fallen! Arme nach unten, Beine gegen die Wand! Du musst mit dem Rücken ins Seil fallen! Wie vorhin!" Vorhin war unter mir kein gähnender Abgrund! Meine Eisgeräte von der Wand zu lösen, ist eine schier unmögliche Vorstellung. An diesen Dingern hängt mein Leben! Ich kralle mich an die Griffe der Eisgeräte. Schwöre mir, dass ich niemals, niemals wieder etwas Neues ausprobieren werde, ohne vorher die Techniken in der Theorie zu studieren. Hole ganz tief Luft. Und löse die Spitzen aus dem Eis.

Die ersten beiden Meter pumpen sich so viel Adrenalin in meine Adern, dass ich mir diesen Augenblick noch Wochen danach genau zurückholen kann. Es ist wie der Moment, in dem man bei einem Bungee-Sprung vorne überkippt. Man tut etwas, das nicht vernünftig ist. Bei dem im Gehirn die Birnen aller Warnlampen zerplatzen.

Das Gehirn weiß zwar, dass dort ein Seil zur Sicherung ist, will sich aber auf so einen Strick nicht verlassen. Und schüttet deshalb Adrenalin aus. Weil man gleich am Boden aufprallen wird und das soll wenigstens nicht wehtun.

Man prallt dann aber nicht am Boden auf. Sondern hat nach fünf Metern den Dreh raus, wie man sich mit den Beinen richtig abstößt, und beschwingt an der Wand in die Schlucht hinunterbaumelt. Unten angekommen zittern die Knie. Und dann will man sofort wieder nach oben.

Fazit: Es ist ein tolles Gefühl, die Eiswand hinaufzuklettern. Das Verlassen auf die Hilfsmittel - Eisgerät und Steigeisen - erfordert weniger Mut als gedacht. Fatal ist allerdings, zu denken, Eisklettern sei einfach - das ist es nicht. Eis ändert sich, kann instabil werden - mit tödlichen Folgen für den Kletterer. Wer mit dem Eisklettern beginnen will, sollte sich deshalb mehr als nur fünf Minuten mit dem Eis und den erforderlichen Techniken auseinandersetzen. Kurse bietet zum Beispiel der Deutsche Alpenverein.

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