Psychologie:Welche Erinnerungen machen uns glücklich?

Ferienreporter Volksfest Ebersberg

Menschen, die glückliche Erinnerungen haben, sind insgesamt glücklicher.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Dieser Frage ist der dänische Glücksforscher Meik Wiking nachgegangen. Und er hat eine eigene Methode entwickelt, mit der man gute Erinnerungen erzeugen kann.

Von Fabrice Braun

Er ist vor Kurzem vierzig geworden, und das ist nicht spurlos an Meik Wiking vorübergegangen. Ihm wachsen jetzt Haare an Stellen, an denen sie es nicht sollten, die Wörter, die er sagt, klingen manchmal etwas altbacken, und er fängt an, schrullige Gewohnheiten zu entwickeln. Und wie viele Menschen hat er den runden Geburtstag zum Anlass genommen, sein Leben zu hinterfragen, erzählt Wiking bei einem Treffen in München: "Ich habe mir gedacht: Jetzt habe ich die Hälfte meines Lebens hinter mir. An was davon kann ich mich denn noch erinnern?"

Eigentlich sollte Wiking entspannt auf seine Vergangenheit zurückblicken können, schließlich leitet der Däne das Happiness Research Institute in Kopenhagen. Als Glücksforscher erklärt Wiking, der eigentlich Politologie und BWL studiert hat, Städten und Regierungen in Mexiko, Südkorea und anderen Ländern, wie ein gelungenes Leben aussieht. Sein Buch "Hygge", in dem er das dänische Lebensgefühl voll kuschliger Socken und duftender Kerzen populär machte, hat sich weltweit mehr als eine Million Mal verkauft. Kein Wunder also, dass Wiking bald das Positive an seinem Anfall von Midlife-Crisis gesehen hat. "Ich habe mir überlegt, was ich aus der Vergangenheit lernen kann. Welche Erinnerungen machen mich glücklich?" Denn für ihn steht fest: "Menschen, die glückliche Erinnerungen haben, sind insgesamt glücklicher."

Das Ergebnis seiner Überlegungen ist sein neues Buch "Die Kunst der guten Erinnerung" (Lübbe Verlag). Wiking beschäftigt sich darin mit der Frage, wie es gelingt, sich an die glücklichen Momente zu erinnern und wie man sich gezielt Momente schafft, an die man sich gerne erinnern wird. Im Grunde unternimmt er das, was auch Schriftsteller wie Vladimir Nabokov und Marcel Proust vor ihm getan haben, wenn sie aus Fragmenten ihres Lebens eine Erzählung zimmerten.

Für diese Rückbesinnung kehrt er zurück an die Orte seiner Kindheit. Wiking besucht das Haus in der Kleinstadt Haderslev, in dem er aufgewachsen ist, er hofft, dass der Geruch alter Bücher sein Gedächtnis beflügelt, blättert in Fotoalben und befragt mit seinem Institut Tausende Menschen, um den Mechanismus des Erinnerns zu verstehen. Die Erkenntnis aus seinen Recherchen klingt zunächst mal schlicht: "Das Wichtigste ist, aufmerksam zu sein. Wer in einer Situation nicht aufmerksam ist, wird sich daran auch nicht erinnern." Doch man muss kein Achtsamkeitsseminar besucht haben, um zu wissen, wie schwierig es oft ist, sich ganz auf den Moment zu konzentrieren.

Wiking stellt an sich selbst fest, wie der Reminiszenzeffekt funktioniert: Da wir besonders aufmerksam sind, wenn wir etwas zum ersten Mal machen, bleiben uns diese Lebenssituationen intensiver in Erinnerung. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir uns an immer weniger neue Dinge erinnern, je älter wir werden, denn was früher noch neu und aufregend war, wiederholt sich mit der Zeit immer öfter. "Wenn man älter wird, muss man gezielt nach neuen Erfahrungen suchen", empfiehlt der Autor. "Am besten nach welchen, für die man seine Komfortzone verlassen muss, denn wir erinnern uns besonders gut an Dinge, für die wir uns überwinden mussten." Für Wiking heißt das konkret: Obwohl er hohe Geschwindigkeiten nicht mag, lässt er sich im Urlaub von Freunden überreden, mit dem Jetski über die Wellen zu fliegen, statt entspannt ein Buch zu lesen. "Ich fragte mich: Woran wirst du dich in zehn Jahren am ehesten erinnern?" Seine Entscheidung bereut er nicht, auch wenn der Ausflug wenig überraschend mit einer Bruchlandung endet.

Man kann sich nicht nicht erinnern

Nach dem Gespräch wird man den Gedanken nicht los, dass der Däne eine Art Hygge für die Seele propagiert. Während es bei Hygge vor allem darum geht, das Äußere, die Wohnung zu kuratieren, soll es jetzt darum gehen, das Innere zu pflegen, mit gezielt ausgewählten schönen Erinnerungen. Im Instagram-Zeitalter klingt das allerdings eher wie eine Drohung: Sind nicht viel zu viele Menschen ständig damit beschäftigt, die scheinbar glücklichen Momente ihres Lebens zur Schau zu stellen? Für Wiking ist das etwas anderes: "Diesen Menschen geht es nicht darum, sich Erinnerungen zu schaffen. Es geht ihnen darum, wie andere Menschen sie sehen - nicht, wie sie selbst die Welt wahrnehmen."

Man kann das natürlich belächeln, diese hyggelige Wohlfühlatmosphäre, die Wikings Buch mit den Sonnenuntergangsfotos, bunten Illustrationen und Pastelltönen verströmt. Doch mit der Erinnerung ist es wie mit der Kommunikation: Man kann sich nicht nicht erinnern. "Unser Gedächtnis ist nicht perfekt. Wir entscheiden ständig, manchmal bewusst, manchmal unbewusst, welche Erinnerungen wir als unsere Geschichten präsentieren", sagt Wiking. Und wenn man sich sowieso erinnern muss, wieso sollte man sich dann nicht gezielt schöne Erinnerungen schaffen? Letzten Endes ist es mit den Erinnerungsräumen eben wie mit den echten Räumen: Man kann sie auch nachlässig einrichten oder sich gar nicht darum kümmern, aber glücklicher wird man dadurch eher nicht.

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