Medizin und Wahnsinn, Teil 1:Männer haben weiche Knie

Im Zimmer von Redakteur Werner Bartens steht ein gelbes Sofa. Auf dem sitzen regelmäßig jammernde Kollegen, die seinen Rat suchen. Teil 1: Leidende Männer mit Knieproblemen.

Werner Bartens

Die Männer um mich herum haben weiche Knie. Sie klagen, setzen sich auf das gelbe Sofa in meinem Büro und halten mich für den Betriebsarzt. Dann klagen sie weiter. Während auf dem gelben Sofa sonst nässende Ekzeme, Lipome, Überbeine und Hautanomalien in allen Farben entblößt werden, hat es derzeit alle Welt am Knie.

Knie, dpa

Das Prinzip E-Jugend: Eine Kniemanschette sieht immer kämpferisch aus.

(Foto: Foto: dpa)

Schwer zu sagen, warum.

Es scheint mit der allgemeinen Instabilität zu tun zu haben, so viel ist sicher. Sicher ist auch: Wer es am Knie hat, leidet offenbar seltener an Ekzemen.

Das Knie bietet vielfältigen Grund zur Klage. Einem schlottern die Kreuzbänder, der andere hat angeblich einen Riss im Meniskus, den er sich ausschaben lassen will. Die Männer jammern über Schmerzen im Schlaf, beim Sport, wenn sie die Beine anwinkeln - es ist zum Weinen.

Man muss in Sachen Knie von anatomischem Flickwerk sprechen. Nichts passt richtig zusammen, und die Kniescheibe rutscht auf dem Gelenk herum wie ein loser Bügelverschluss auf einer Bierflasche.

Kampfzeichen Kniemanschette

Die Therapieoptionen sind, freundlich ausgedrückt, vage. Manche kommen bereits elastisch bandagiert auf das gelbe Sofa. Hier gilt das Gleiche wie damals beim Fußball in der E-Jugend: Wer ahnte, dass er beim nächsten Spiel nur Ersatz war oder Ärger mit dem Trainer bekam, rüstete sich mit einer Kniemanschette aus.

Das sah ebenso kampferprobt wie furchteinflößend aus und schien Halt für weiche Gelenke und ein angeschlagenes Selbstwertgefühl zu geben.

Etliche Ärzte empfehlen den Knielahmen heutzutage: Hyaluronsäure oder Chondroitin ins gebeugte Gelenk zu spritzen. Gegen Barzahlung, denn die Kasse kommt für solchen Unsinn nicht auf.

Dass die Stoffe, aus denen die Knorpel sind, ins Gelenk gespritzt, etwas helfen, ist nirgends belegt. Die Prozedur kann sogar gefährlich werden. Die einzig erwiesene Aufbauleistung des Eingriffs betrifft also nicht den Meniskus, sondern den Umsatz in der Praxis.

Die Idee, körpereigene Stoffe dort hinzuspritzen, wo sie herkommen, ist nicht auszurotten. Ein rechtschaffenes Körperteil muss denken, man würde es nicht ernstnehmen. Bauteile dazu zu geben und zu hoffen, dass sich die Sache von selbst erledigt - so läuft das nicht. Der Niere wurde in dieser Hinsicht schon übel mitgespielt.

Das Organ presst 180 Litern Blut, die täglich durch sie strömen, eineinhalb Liter Harn ab. Was unten raus kommt, ist überflüssig. Trotzdem sind sich viele Leute nicht zu blöd, den Urin oben wieder einzufüllen. Als Niere muss man sich verulkt vorkommen, wenn man die Ergebnisse seiner Arbeit wieder vorgesetzt bekommt. In Analogie zum Urin-Trunk haben Orthopäden wohl deshalb für ihre Aufräum- und Auffüllaktionen im Knie den Begriff Gelenktoilette gewählt.

Das Prinzip E-Jugend

Wie fragwürdig die Schnipseleien am Knie sind, hat eine wunderbare Untersuchung bewiesen. 180 Menschen mit Kniebeschwerden - 90 Prozent Männer - wurden in drei Gruppen unterteilt, ohne dass sie davon wussten.

Eine Gruppe bekam die Menisken glatt gehobelt, eine zweite das Gelenk toilettenmäßig gespült. Der dritten Gruppe wurde nur die Haut am Knie angeritzt, dort wo der Schlauch zum Hobeln eingeführt wird.

In allen drei Gruppen ließen die Beschwerden ähnlich stark nach, denn die Placebo-Operation brachte genauso viel Linderung wie der chirurgische Aktionismus. Auch zwei Jahre später unterschied sich das Ausmaß der Kniebeschwerden in den Gruppen nicht. Wenig Nebenwirkungen und erste Hilfe bieten also der Schein-Eingriff oder das Prinzip E-Jugend. In beiden Fällen kann ein elastischer Verband - das Verwundetenabzeichen aller Labilen - angelegt werden.

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