Medizin und Wahnsinn, Folge 159:Sag wo die Patienten sind

Mediziner haben eine neue Geschäftsidee: Wenn der Patient nicht zum Arzt kommt, dann kommt der Arzt eben zum Patienten. Gerne auch an den Jakobsweg oder auf den Luxusdampfer.

Werner Bartens

Wer als Pflegekraft, Sanitäter, Arzt oder anderweitig zertifizierter Ersthelfer in der Bahn unterwegs ist, kennt die Situation. Nach der Durchsage "Ist ein Arzt im Zug?", will man sofort beflissen aufspringen und die kardiopulmonale Reanimation einleiten. Doch die Erfahrung lehrt: Erst einmal umschauen, denn man möchte nur ungern der kardiologischen Abteilung auf der Reise zum Herz-Kongress oder dem Notaufnahme-Team beim Betriebsausflug im Wege stehen, wenn es zwischendurch Leben zu retten gibt.

Medizin und Wahnsinn, Folge 159: Um das karge Einkommen als Kassenarzt aufzubessern, müssen die Mediziner dorthin, wo der Patient ist. Schon bald werden am Jakobsweg Orthopäden, Brandblasenproduzenten und Einlagenhersteller ihre mobilen Servicestationen errichten.

Um das karge Einkommen als Kassenarzt aufzubessern, müssen die Mediziner dorthin, wo der Patient ist. Schon bald werden am Jakobsweg Orthopäden, Brandblasenproduzenten und Einlagenhersteller ihre mobilen Servicestationen errichten.

(Foto: photocase.com)

Ähnlich verläuft die Situation im Flugzeug, in dem bei einem Notfall garantiert 37 Intensivmediziner auf dem transatlantischen Weg zur Fortbildung nach Florida unterwegs sind.

Nun stehen Flugzeuge und Bahnen derzeit zwar meistens schneeverweht still und in anderen Verkehrsmitteln sind Ärzte weitaus seltener anzutreffen. Wer hat beispielsweise je einen Mediziner im Bus gesehen? Dabei sind Busse wie Trambahnen soziale Brennpunkte und tragen bekanntermaßen dazu bei, psychisches wie physisches Leid zu mehren. Für die Dienste in Theatern, Opern oder Konzerthäusern lassen sich Ärzte gerne einteilen, den öffentlichen Nahverkehr scheuen sie hingegen wie sonst nur Lehrer im Wartezimmer oder Vielfachverletzte ohne Versicherungsausweis.

Wie steht es eigentlich um die medizinische Versorgung auf Flüssen, Seen und Weltmeeren? Das ZDF-Traumschiff zählt seit 1986 den umsichtigen Schiffsarzt Dr.Horst Schröder zu seiner Stammbesatzung. Aber wie sieht es auf den anderen Kreuzfahrtschiffen, auf Containerriesen, Tankern, Kohlefrachtern, Fähren oder gar Hausbooten aus? Ist hier ein Arzt an Bord? Wer hilft bei Seekrankheit, Wassersucht oder Lagerkoller unter Deck?

Die neue Geschäftsidee unter Ärzten und anderen Heil-, Hilfs- und Pflegedienstleistern ist einfach umrissen: Warte nicht, bis der Patient zu dir kommt, sondern gehe dorthin, wo die Patienten sind. Dies bedeutet nicht, mehr Hausbesuche zu machen - die Ärzte, die diese Barmherzigkeit aufbringen, werden leider immer weniger. Es muss sich vielmehr für die Ärzte lohnen. Sie wollen sicher sein, auf mehrere Patienten gleichzeitig zu treffen, so wie es beim Hausbesuch nur die Großfamilie mit Noro-Virus bieten kann.

Naheliegend daher das Angebot von Carara-Kreuzfahrten. Das Familienunternehmen bietet "Flusskreuzfahrten mit Kurs auf ihr Herz" an. Im Reisepreis sind nicht nur alkoholfreie Getränke und alle Schleusengebühren enthalten, sondern auch die fachärztliche Begleitung durch einen Internisten, täglicher Herzsport an Deck und die medizinische Notfallausrüstung - was offenbar ausreicht, um von der "Deutschen Herzstiftung" und der Stiftung "Der herzkranke Diabetiker" empfohlen zu werden. Andere Anbieter prahlen mit "Urlaub nach Herzenslust" und preisen Reisen an - "sicher und bequem um die Welt". Als ob ein Arzt das garantieren könnte.

Zumindest kann er mit der Illusion einer medizinischen Rundumversorgung sein karges Einkommen als Kassenarzt aufbessern. Schon bald werden am Jakobsweg Orthopäden, Brandblasenproduzenten und Einlagenhersteller ihre mobilen Servicestationen errichten, so wie die Hendl-Brater ihre umgebauten Wohnwagen in den Sozialbrachen rund um die Einkaufszentren und Baumärkte. Und spätestens im Mai schlagen Unfallchirurgen und Proktologen an strategisch wichtigen Übergängen am Alpenhauptkamm ihre Lager auf, um Mountainbiker und Rennradler mit Magnesium, Hämorrhoidensalbe, Gips und ambulantem Gelenkersatz zu versorgen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: