Süddeutsche Zeitung

Medizin und Wahnsinn, Folge 152:Schwitzende Steine

Gegen Alltagsleiden helfen nicht nur Heilpraktiker, sondern auch "medizinische Wellnesstrainer". Von Floating Tanks und Schwitzen mit Salzsteinchen.

Werner Bartens

Sarah Wiener ist eine deutsch-österreichische Unternehmerin. Sie gilt als ,,Fernsehköchin'', weswegen man sie dennoch nicht für den täglichen Programmbrei verantwortlich machen muss. Trotzdem redet sie manchmal Käse. Es wäre unfair, dies mit ihrer Werbung für Tankstellen-Leberkäse in Verbindung zu bringen, der als Bio-Leberkäse firmiert, weil man den vielen Benzolverbindungen, denen Lebensmittel in Tankstellen ausgesetzt sind, ja was Gesundes entgegenhalten muss.

Kürzlich hat Frau Wiener im Fernsehen Lebensmittel angepriesen. Erst wollte sie wissenschaftlich untermauern, wie gesund das alles ist. Als das nicht klappte, sprach sie vom ,,Feinstofflichen'', das noch nicht ganz erforscht sei. Als sogar ihr das zu diffus klang, erwähnte sie ,,Leute'', die sie kennen würde und dass man ,,auf der Straße'' sehen könne, wie das so ist mit der ungesunden Ernährung.

Herrliche Indizienkette. Adorno, der von Fernsehköchen mit einer italienischen Vorspeise verwechselt werden kann, hat alles Notwendige zu solchen Argumenten gesagt: ,,Das zetert über Materialismus. Aber den Astralleib wollen sie wiegen. Die Objekte ihres Interesses sollen zugleich die Möglichkeit von Erfahrung übersteigen und erfahren werden.''

Patienten geraten da leicht in Verwirrung. Deshalb muss man ihnen unter die Nase reiben, wenn man Feinstoffliches oder Astralleibiges zu bieten hat. ,,Praxis für Naturheilkunde und Gesundheit'' steht auf einem Praxisschild in Köln. Damit klar ist: Hier geht es um Heilkunde und Gesundheit. Die Chefin des Etablissements bezeichnet sich als ,,Heilpraktikerin und medizinische Wellnesstrainerin''. Wann rüsten die Ärzte nach? Wo bleibt das Schild ,,Ärztlicher Hausarzt und Heilkundler, Schwerpunkt Medizin, Gesundheit, Wohlbefinden''?

In Freiburg, Hauptstadt der linksdrehenden Schrotmühlen, klingt das ausgefeilter. Sogar Zahnärzte erklären einem hier ja als Erstes, sie seien Alt-68er - wobei man nicht weiß, ob sie deshalb eine liberale Grundhaltung beim Bohren einnehmen. In Freiburg also gibt es in zentraler Lage mit Blick auf Wohlstands-Punks und Weinstöcke eine ,,Praxis für Selbstheilung''.

Man fragt sich, was man in einer Praxis soll, wenn man sich doch selbst heilen kann. Die Ausstattung zeigt aber, dass die Apparaturen kaum zwischen Sitzgruppe und Kamin zu Hause passen. Es gibt den ,,Floating Tank'', der aussieht wie aus dem Fundus von ,,Raumpatrouille Orion''. In den Kübel wird ,,zum Reizentzug ein körperwarmes Salzwasserschwebebad'' eingelassen, man kann ,,bei geschlossenem wie offenem Deckel floaten'' und vor sich hin entlasten. Höhepunkt ist der Tagesordnungspunkt ,,Stärkung des Urvertrauens (getragen sein wie im Mutterbauch)''.

Anschließend lässt man sich auf der Klangliege, die ,,mit 50 Harfe-Bronze-Saiten bespielt'' wird, durch ,,entstehende Obertöne in Tiefenentspannung'' schwingen. Danach gelangt man in den Salzraum. Der hat es in sich, beim heiligen Leinsamen. Er enthält ,,2,8 Tonnen hochwertiges 500 Millionen Jahre junges Gebirgssalz aus dem Himalaya/Indusgebiet''. Wenn die ,,Salzsteine schwitzen'', so erfährt man, werden ,,über 80 verschiedene Mineralien und Spurenelemente'' in die Luft abgegeben und ,,über Lunge und Haut'' aufgenommen.

Ach, liebe Floater und Steinschwitzer. Ihr seht das Feinstoffliche ja auf der Straße. Für alle anderen gilt: Ist der Käse nicht mehr zu ertragen, hilft Adorno: ,,Es soll streng wissenschaftlich zugehen; je größer der Humbug, desto sorgfältiger die Versuchsanordnung. Die Wichtigtuerei wissenschaftlicher Kontrolle wird ad absurdum geführt, wo es nichts zu kontrollieren gibt.''

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Quelle:
SZ vom 6. November 2010/holl
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